Bolschewistische Aristokraten

Foto: Reuters/Vostock Photo

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Russland-HEUTE Blogger Der Ulenspiegel diskutiert über die Oppositionsbewegungen und die "richtige" Demokratie.

Demokratie ist ja eine feine Sache. Aber manchmal stört sie einfach nur. Zum Beispiel in Thailand. Dort bietet die gewählte Premierministerin der revoltierenden Opposition Neuwahlen an. Das kann sie machen, weil sie sich ziemlich sicher sein kann, dass sie wieder gewählt wird. Doch der Opposition gefällt das nicht. Sie vertritt nämlich, wie so oft, die städtisch-gebildete Oberschicht. Und die ist, wie überall auf der Welt, aktiv, gut vernetzt, medienaffin, aber nicht sehr zahlreich. In allen Ländern mit bunten, blumigen oder sonstigen Revolutionen gibt es eine Masse kleiner Leute, die eigentlich ganz zufrieden wären mit Politikern vom Schlage Ahmadinedschads, Berlusconis, Putins, Gaddafis, Erdogans oder Shinawatras. Diese wissen das und geben eine Menge Geld aus, um ihre ländlich-ärmliche Klientel bei der Stange zu halten. Manche von ihnen haben sich selbst hochgearbeitet und kokettieren damit, die Sprache des gemeinen Mannes zu sprechen. In solchen Fällen sind Neuwahlen nicht so attraktiv für umstürzlerisch gesinnte Minderheiten.

Solange eine urbane Opposition eine Chance hat, die Stimmung im Lande zu kippen, setzt sie auf demokratische Veränderungen. Ist dieser Weg zu riskant, wird die Moral eingeschaltet und an die Weltöffentlichkeit appelliert. In Thailand fordert die Opposition, anstatt Neuwahlen lieber einen „Volksrat" zu installieren. Wenn irgendwo „Volks" davorsteht, kann man sich eigentlich sicher sein, hier kommt eine Minderheit daher, die sich so lange als Mehrheit ausgibt, bis alle Welt ihr glaubt und sie es am Ende wirklich ist. Wen interessieren Abstimmungen und Gesetze – der Wille des Volkes zählt. Und wer kennt den? Wir! Die Bolschewiki haben das vorgemacht, die sich selbst fälschlich als „Mehrheit" bezeichneten und nach der Machtübernahme alles Mögliche mit dem Etikett „Volks-" adelten. Selbst die Nazis benutzen den Trick, um ein Tribunal, das Unrecht produzierte, als „Volksgericht" zu legitimieren.

Doch hängen wir uns nicht an Worten auf, es geht um das Prinzip. Demokratische Mehrheitsentscheidungen befriedigen nicht immer alle Seiten, also versuchen ambitionierte Minderheiten, sie durch eine Form höherer Legitimität ersetzen. Gottes Wille, die Arbeiterklasse, die Volksgemeinschaft, Europa, der Fortschritt oder Freiheit & Menschenrechte – der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Ideologen alle Couleur haben viel Hirnschmalz darauf verwendet, zu beweisen, dass „richtiger" Demokratie nicht einfach bloß die Meinung der Mehrheit zu Grunde liegt. Die Mehrheit ist bekanntlich dumm, faul und feige. Nein, „richtige" Demokratie vertritt die Interessen der gut Gesinnten. Was letztlich bedeutet, dass „richtige" Demokratie dasselbe ist wie Aristokratie. Der Adel von heute

vermeidet wohlklingende Titel, aber er hat ganz ähnliche Aspirationen wie der historische: zu herrschen.

Eine Regierung die sicher im Sattel sitzt, kann Appelle an höhere Prinzipien locker wegstecken. Ist das nicht der Fall, muss sie sich gut überlegen, wie sie damit umgeht. Jede Form von Gewalt dient sofort als Beweis dafür, dass die Protestierer im Recht sind. Zurückhaltung kann als Schwäche ausgelegt werden. Ist die Regierung unentschlossen und die Minderheit energisch, dann kommt ein Umsturz in den Bereich des Möglichen, denn die lethargische Mehrheit ist kaum zu mobilisieren. Wenn dann auch noch die Weltöffentlichkeit (sprich: USA, EU, westliche Medien) sich der Sache annehmen, dann sind der Herrschaft der Besten alle Türen geöffnet. In Thailand, über dieses Land rede ich hier ja.

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