Tschechow: Große Literatur auf Bestellung

Tschechow hielt sich nicht für einen großen Schriftsteller. Bild: Natalia Michajlenko

Tschechow hielt sich nicht für einen großen Schriftsteller. Bild: Natalia Michajlenko

Der große russische Schriftsteller Anton Pawlowitsch Tschechow (1860-1904) stammte aus einfachsten Verhältnissen und kämpfte sein ganzes Leben gegen finanzielle Probleme. Wenn dem nicht so gewesen wäre, wer weiß, ob wir uns heutzutage an so vielen seiner Meisterwerke erfreuen könnten.

Anton Pawlowitsch Tschechow wurde 1860 in der südrussischen Hafenstadt Taganrog geboren. Er war der Sohn eines einfachen Kaufmannes und wuchs mit seinen fünf Geschwistern in ärmlichen Verhältnissen auf. Nach seinem Abitur begann Tschechow mit einem Stipendium ein Medizinstudium an der Lomonossow-Universität in Moskau. Das Studium schloss er erfolgreich ab, doch die Tätigkeit als Arzt blieb für ihn immer nur eine Nebentätigkeit. Noch während seines Studiums begann Tschechow zu schreiben und trug mit bescheidenen Einkünften aus der Schriftstellerei zum Lebensunterhalt seiner Familie bei.
 

Der Vertrag seines Lebens

Im Jahr 1899 bot der Sankt Petersburger Verleger Adolf Marx Tschechow an, die Rechte an seinen sämtlichen Werken zu kaufen. Das war der vielleicht wichtigste Geschäftsabschluss im Leben des Schriftstellers. Marx erhielt die Eigentumsrechte an allen Werken Tschechows, und zwar auch für die Werke, die noch gar nicht geschrieben waren. Dafür erhielt Tschechow die damals ungeheuerliche Summe von 75 000 Rubel, die Marx ihm in Raten auszahlte. Marx verlangte dafür im Gegenzug von „seinem“ Autor immer neue Manuskripte. Damit hatte sich Tschechow an den Verleger verkauft.

Zwischen 1880 und 1903 verfasste Anton Tschechow über 600 literarische Werke. An Ideen mangelte es ihm nie. Anregung holte er sich bei allem, was er sah. Noch ein Jahr vor seinem Tod soll er dem Schriftsteller Nikolai Garin-Michajlowskij seinen Notizblock gezeigt haben: „Fünfhundert Seiten mit noch nicht veröffentlichtem Material. Das ist Arbeit für die nächsten fünf Jahre. Wenn ich das alles noch schreibe, hat meine Familie ausgesorgt.“

Mit dem Geld konnte Tschechow seine Familie weiter unterstützen. Er kaufte davon ein Landhaus in der Umgebung von Moskau und ließ sich ein Sommerhäuschen in Jalta auf der Krim bauen. 

 

Erfolgreicher Bühnenautor
Der Knebelvertrag mit Marx sollte im Leben Tschechows aber eine noch viel wichtigere Rolle spielen: Er ließ ihn zum Bühnenautor werden. Tschechows späte Werke wurden zwar alle von Marx verlegt, darunter „Der Kirschgarten“ oder „Die Möwe“. Die Einnahmen aus den Aufführungen der Theaterstücke erhielt der Verleger jedoch nicht.

Tschechow geriet nun allerdings in die Abhängigkeit der Theaterregisseure. Die sollen ihn gerne an der Nase herumgeführt haben. Einmal, als Tschechow zu den Proben der „Möwe“ im Moskauer Künstlerischen Theater (dem heutigen Tschechow-Kunsttheater Moskau) kam, vernahm er von der Bühne das Quaken von Fröschen, das Zirpen von Grillen und das Gebell von Hunden. „Was ist das?“, soll er verwundert gefragt haben. „Elemente der Realität“, wurde ihm erklärt. Daraufhin hielt der Schriftsteller der Theatertruppe erst einmal eine Vorlesung über Kunst: „Kramskij hat ein Bild gemalt. Auf diesem sind in genialer Weise verschiedene Gesichter dargestellt. Was passiert, wenn aus einem der Gesichter die gemalte Nase herausgeschnitten und durch eine echte ersetzt wird? Die Nase mag real sein, aber das Bild ist verdorben.“

Kritiker Tschechows warfen ihm oft vor,  keine besondere Weltanschauung vertreten zu haben, was für Schriftsteller der damaligen Zeit untypisch war. Das Publikum war an Literatur mit „Ideengehalt“ gewohnt. Ein Zeitgenosse beschrieb ein Gespräch Tschechows mit Studenten: „Wenn Sie keine Überzeugungen haben“, monierte einer der Studenten, „können Sie auch kein Schriftsteller sein.“ Daraufhin entgegnete Tschechow: „Ich habe aber nun einmal keine Überzeugungen.“ Der Student empörte sich: „Wer braucht dann schon Ihre Erzählungen? Was bringen sie den Menschen? In ihnen sind keine Kritik, keine Ideen enthalten. Amüsement und weiter nichts...“ – „Und weiter nichts“, soll Tschechow mit einem Lächeln bestätigt haben. 

 

Ein bescheidener Mann
 

Er selbst hielt sich auch nicht für einen großen Schriftsteller. Sein Tätigkeitsfeld bezeichnete er als „aktuelle Literatur“: Heute liest man etwas, morgen hat man es bereits wieder vergessen. „Wissen Sie, wie lange man mich noch lesen wird? Sieben Jahre“, soll er einmal zu seinem Schriftstellerkollegen Iwan Bunin gesagt haben. Das konnte sich Bunin nicht vorstellen: „Die Poesie lebt ewig“, soll er entgegnet haben. Doch Tschechow hielt sich nicht für einen Poeten. Das seien nur „ jene, die Wendungen wie ‚silberne Ferne‘, ‚Akkord‘ und ‚Auf in den Kampf gegen die Finsternis!‘ verwenden“.


Für Tschechow war es das Wichtigste, eine gute Arbeit zu leisten und ein ordentliches Produkt abzuliefern. Und das  Resultat dieser guten Arbeit war Wohlstand. Ein Tschechow-Biograf beschreibt eine für den Schriftsteller typische Szene: „Die Kneipe war schmutzig, billig und öffnete bereits in aller Herrgottsfrühe für die Fuhrleute. ‚Und das ist auch gut so‘, sagte Tschechow. ‚Wenn wir gute Bücher schreiben, werden wir auch in guten Restaurants speisen. Aber so lange ist es auch hier großartig.‘“

Tschechow starb am 15. Juli 1904. In Jalta wurde  im Sommerhäuschen ein Tschechow-Museum eingerichtet. Am Anfang der Ausstellung ist ein mit Schreibmaschine getippter Text zu lesen, wie er typisch für so einen Ort ist: „Hier lebte und arbeitete Anton Pawlowitsch Tschechow. Er wird immer in unseren Herzen weiterleben.“ Am Ende wird der Besucher wie zur Ermahnung an Tschechows Tuberkuloseerkrankung aufgefordert: „Lesen Sie Tschechow und bleiben Sie gesund!“

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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