Muntere Spiele, müde Freiwillige

Foto: Michail Mordassow

Foto: Michail Mordassow

Sie haben lange und viel gearbeitet – nun sehnen sich die Freiwilligen nach weniger Spannung und mehr Schlaf. Nur bei den Wettkämpfen bleibt die Stimmung hervorragend.

Die allgemeine Müdigkeit ist allmählich zu spüren. Die Wochenenden werden seltener mit Ausflügen in die Umgebung oder Spaziergängen verbracht. Jeden Tag mehrt sich die Anzahl meiner Kollegen, die auf meine Frage, was sie am Wochenende gemacht haben, mit „geschlafen" antworten.

Gestern begann mein Tag mit einem schönen Anblick, der besonders treffend den allgemeinen Zustand beschreibt: An der Haltestelle sah ich meinen britischen Kollegen. Er saß auf dem Zaun, von der Freiwilligen-Kleidung nur die Mütze auf dem Kopf, drehte eine Flasche Wasser in den Händen und guckte ein Loch in die Luft. Die Busse fuhren vorbei, aber er schien es nicht zu merken und reagierte kaum. Am Montagmorgen ist das Leben nicht besonders schön.

Es scheint, als ob das Leben sich verlangsamt. Die Besucher schleichen durch den winkligen olympischen Park, anstatt von einer Sportstätte zur anderen zu laufen, wie es in den ersten Tagen gewesen war. Cafés und andere Orte für passive Erholung sind gut gefüllt, man beschäftigt sich kaum mit herausfordernden Aktivitäten. Die Zuschauer begeben sich phlegmatisch zu den Stadien und in die Berge – sie haben es aufgegeben, sich über ihre Verspätung Sorgen zu machen und nach einem Blick auf die Uhr in Panik zu geraten.

Sogar die Möglichkeit, etwas kostenlos zu bekommen, ist nicht mehr so attraktiv wie noch am Anfang – selbst bei den Russen nicht. In einer der Sponsorenhallen im olympischen Park wurden Abzeichen-Wettbewerbe ausgetragen. In den ersten Tagen war man noch bereit, für die Souvenirs zu kämpfen, heute aber hört man öfter Folgendes: „Bekommt man das nicht umsonst? Nee, gehen wir weiter, nebenan verkaufen sie Hotdogs."

Die Mitarbeiter und Freiwilligen betrachten alles, was geschieht, mit stoischer Ruhe: „Fünf aus der Schicht sind krank? Macht nichts, zwei sind ja gesund. Auf gut Glück!" Es scheint keine Situation zu geben, die die Leute aus dem Konzept bringt.

Die Busse fahren auch immer langsamer und seltener, deswegen habe ich jetzt öfter die Gelegenheit zu meinem neuen Lieblingsspiel: „Erreiche-dein-Bett-um-vier-Uhr-morgens-und-schlaf-nicht-mitten-auf-der-Straße-ein". Besonders spannend ist es, wenn ich mal wieder ewig auf einen Bus warten

muss. Dann versuche ich, nicht mehr als 15 Euro fürs Taxi auszugeben.

Die allgemeine Müdigkeit bedeutet allerdings ganz und gar nicht, dass alle das Interesse an den Spielen verloren hätten. Die Wettkämpfe verlaufen wie auch in den ersten Tagen in einer hervorragenden Atmosphäre. Der Zusammenhalt Tausender Menschen auf den Tribünen ist beeindruckend. Gemeinsame Rufe, Emotionen und Erlebnisse waren und bleiben Bestandteil der Olympischen Spiele bis zum Erlöschen des olympischen Feuers.

Nur manchmal muss man auch an den Schlaf denken, denn von Siegen allein bleibt man nicht wach.

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