Heldentat oder Höchstverrat: Die Macht der Wörter

Bild: Nijaz Karim

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Wörter beschreiben Ereignisse und Begriffe keineswegs nur objektiv, sondern geben ihnen auch eine Wertung. Wörter verharmlosen oder verschärfen Ereignisse, werden in juristischen Texten unterschiedlich ausgelegt oder beschwören absichtlich Missverständnisse herauf. Wörter dienen in Konfliktzeiten dem medialen Schlagabtausch. RBTH begibt sich in den Schützengraben der Diplomatie.

Wenn jemand gerne Geld ausgibt und wir das als positiv empfinden, so sagen wir, er sei großzügig, doch wenn es uns missfällt, so nennen wir ihn einen Verschwender. Gibt er ganz im Gegenteil das Geld nicht gerne aus, ist er entweder sparsam oder geizig.

 

Glorreiche Revolution oder verräterischer Umsturz

Ein bekanntes Beispiel für den feinen Unterschied in der Sprache kommt aus dem Alltag des Geheimdienstes: Dort stehen „Aufklärer“ den „feindlichen Spionen“ gegenüber. Ähnlich sieht es mit bewaffneten Aufständischen aus: Kämpfen sie gegen eine Besatzungsmacht, nennt man sie „Partisanen“, wohingegen sie von den Besetzern selbst als „bewaffneter Mob“ bezeichnet werden.

In Russland wird in Zusammenhang mit den oben erwähnten Begriffsgegensätzen gerne an die Worte des englischen Dichters John Harington erinnert: „Treason doth never prosper, what’s the reason? For if

it prosper, none dare call it treason“, auf Deutsch heißt das etwa: „Warum kann Verrat nie Erfolg haben? Man würde ihn sonst nicht Verrat nennen.“ Die Machtergreifung durch die Bolschewiki im Herbst 1917 bezeichnete man anfangs zurückhaltend als „Oktober-Umsturz“ oder „bewaffneten Aufstand“. Als die Sowjetmacht dann aber bereits fest im Sattel saß, wurde dieses Ereignis mit der pathetischen Bezeichnung „Große sozialistische Oktoberrevolution“ versehen. Heutzutage heißt es bescheidener und neutraler schlicht „Oktoberrevolution“.

Was jedoch die Ereignisse vom August 1991, die zum Untergang der Sowjetunion führten, betrifft, findet das Wort „Revolution“ praktisch keinen Gebrauch. Damals setzten konservative Regierungsmitglieder Präsident Gorbatschow ab. Dessen wirtschaftliche Reformen erschienen ihnen gleichbedeutend mit einer Abschaffung des Kommunismus. Sie scheiterten mit dem Augustputsch 1991. Ein „Putsch“ ist somit gewissermaßen ein Begriff für eine gescheiterte Revolution.

Zu einem weiteren Putsch kam es im Herbst 1993, als der Oberste Sowjet, das höchste Machtorgan des Staates, das noch aus Sowjetzeiten stammte, den Versuch unternahm, Präsidenten Jelzin abzusetzen. Auch diesem Aufstand wurde in den Medien und von staatlicher Seite ein negativer Stempel aufgedrückt und er besiegelte als sogenannter „Oktober-Putsch“ das Ende der Sowjetmacht in Russland. Die Anhänger des Obersten Sowjets waren dahingegen der Meinung, dass Jelzin damals einen verfassungswidrigen Umsturz beabsichtige, und bezeichneten den Sturm des Weißen Hauses, in dem die Abgeordneten tagten, als „Hinrichtung des Parlaments“.

 

Kriegszeiten – Hochkonjunktur für die Medien

Die Manipulation der Begriffe ist besonders in Kriegszeiten charakteristisch, wenn jede der Konfliktparteien versucht, ihr eigenes Vorgehen als gerechtfertigt und gerecht darzustellen. So hieß der Einmarsch der Roten Armee in Polen im September 1939 in den sowjetischen Geschichtsbüchern „Befreiung der Westukraine und Westweißrusslands“. Von der deutschen Propaganda wurde der Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 als „Präventivschlag“ bezeichnet.

Im ausgehenden 20. Jahrhundert haben sich neue Euphemismen zur Bezeichnung von Kriegshandlungen im Sprachgebrauch festgesetzt. Der Einmarsch der sowjetischen Streitkräfte in die Tschechoslowakei im August 1968 wurde offiziell als Einführung eines „begrenzten Militärkontingents“ mit dem Ziel, dem tschechoslowakischen Volk „auf Bitten seiner Führung“ „brüderliche Hilfe“ zukommen zu lassen, bezeichnet. Im Dezember 1979 schickte die Sowjetunion ein ebenso „begrenztes Kontingent“ seiner Streitkräfte nach Afghanistan – dieses Mal allerdings nicht, um brüderliche Hilfe anzubieten, sondern zur Erfüllung ihrer „internationalen Pflichten“.

Die Tschetschenien-Kriege in den Neunzigerjahren brachten einen neuen Begriff  hervor:  „satschistka“, zu Deutsch: „Säuberung“. Als eine Säuberung wurde die totale Befreiung der Ortschaften von bewaffneten Gegnern oder, wie man sagte, von „terroristischen Banditen“, genannt. Einer Säuberung konnten dabei aber auch friedliche Bewohner zum Opfer fallen.

Worte und Schlagzeilen sind also ebenfalls Waffen, längst sind die

Redaktionsstuben zum Verbündeten der kämpfenden Truppen geworden. Dazu passt ein beliebter Witz aus den Siebziger- und Achtzigerjahren der Sowjetunion: „Frage: Wird es denn einen Krieg geben? Antwort: Einen Krieg nicht, aber einen solchen Frieden, dass kein Stein mehr auf dem anderen stehen bleibt.“

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