Wenn der alte Meerrettich der scharfen Paprika hinterherschaut

Bild: Nijas Karim

Bild: Nijas Karim

Sommer ist Erntezeit – genau die rechte Zeit, um über die Doppeldeutigkeit von Obst und Gemüse in der russischen Sprache zu reden.

Die Früchte, die in der russischen Sprache am positivsten besetzt sind, sind definitiv Himbeeren und Sauerkirschen. Über ein angenehmes Leben sagt man: „Das ist kein Leben, sondern ein Himbeerstrauch“ ("ne schisn', a malina"). Und beendet man eine Sache mit einem geplanten Knalleffekt, nennt man das „kandierte Kirschen auf der Torte“ ("wischenka na torte") – ähnlich wie im Deutschen den „krönenden Abschluss“.

Als „pikante“ Frucht gilt die Erdbeere. In der Verkleinerungsform „Erdbeerchen“ ("klubnitschka") dient sie als Symbol der Erotik – schon in den „Toten Seelen“ von Gogol kommt der Ausdruck „Verführung von Erdbeerchen“ vor. Entsprechende Print- und Videoerzeugnisse bezeichnet man ebenfalls so.

An die Kljukwa (Moosbeere) denkt man, wenn es um frei erfundene, unglaubwürdige Geschichten geht. Besonders häufig wird die Variante des „weitverzweigten Moosbeerstrauchs“ ("raswesistaja kljukwa") -  zu Deutsch „Fantasiegespinst“- benutzt – der Ausdruck steht stellvertretend für bewusste Lügenpropaganda. Und wenn man über nicht sehr nette Leute sagen will, dass einer nicht besser wie der andere ist, dann sagt man, dass sie wie„ Früchte vom gleichen Feld“ ("odnogo polja jagody"), also vom gleichen Schlag, sind.

 

Mit der Birne geht ein Licht auf

Wenn es irgendwo wegen einer großen Menschenansammlung sehr eng ist, sagt man, dass dort „kein Apfel zu Boden fallen könnte“ ("jabloku negde upast'"). Ein stehender Begriff ist auch die aus dem Griechischen stammende Wortverbindung „Zankapfel“ ("jabloko rasdora"): So bezeichnet man den Auslöser für eine Meinungsverschiedenheit oder einen Streit.

Die Birne spielt vor allem in dem traditionellen Kinderrätsel „Die Birne hängt, aber man kann sie nicht essen“  ("visit gruscha, nelsja skuschat'") eine Rolle – die Lösung ist übrigens die Glühbirne; allerdings sehen moderne Glühbirnen ihrer Form nach gar nicht immer wie dieses Obst aus.

Die Ananas gilt seit Langem als Symbol für Luxus: Ihre Erwähnung kann man in den berühmt gewordenen Zeilen zweier Poeten vom Anfang des 20. Jahrhunderts finden. Während Igor Sewerjanin den Luxus besingt – „Ananas in Champagner! Ananas in Champagner! (...) Ich bin irgendwie ganz norwegisch! Ich bin irgendwie ganz spanisch!“ –, lehnt Wladimir Majakowski sie mit proletarischer Leidenschaft ab: „Friss deine Ananas, kau deine Haselhühner, dein letzter Tag wird kommen, Bourgeois!“

Die Bananen wiederum fanden ihre metaphorische Lesart erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts. In der Schule nannte man so eine unbefriedigende Note oder auch „dwojka“ („Zweier“), obwohl die Zahl zwei einer Banane eigentlich nicht sehr ähnlich ist. Dann, irgendwann in den 1980er-Jahren, nannte man einen bestimmten Hosenschnitt „Banane“, der der Form nach tatsächlich an die exotische Frucht erinnerte.

 

Ein Baby im Kohlfeld

Kürbis und Rübe sind metaphorische Bezeichnungen für den Kopf. Wenn man jemanden auf den Kopf schlägt, heißt das, er hat „was auf den Kürbis bekommen“ ("polutschil po tykwe"). Und wenn sich jemand „die Rübe kratzt“ ("tscheschet repu"), heißt das, er zerbricht sich den Kopf über irgendein lebenswichtiges Problem. In einer anderen, älteren Bedeutung ist

 

die Rübe Symbol für etwas Elementares, Primitives, wozu es oft heißt: „schlichter als eine gedünstete Rübe“ ("proschtsche parenoj repy").

„Kapusta“ – Kohl – ist eines von vielen Slangwörtern für Geld, aber nicht nur: Im Kohl „findet man die Kinder“, zumindest erklärt man so den interessierten Kindern ihre eigene Herkunft. Die Mohrrübe kam in die Sprache als gewisser Anreiz, jemanden zur Arbeit zu bewegen, der nicht gerade dazu geneigt ist: Ihm „zeigt man eine Mohrrübe“ ("pokasywajut morkowku") oder „neckt ihn mit einer Mohrrübe“ ("drasnjat morkowkoj").

Die Zwiebel wird in der Wortverbindung „zwiebeliges Elend“ ("gore lukowoje") im Sinne eines tölpelhaften und chaotischen Menschen, der nur Unglück bringt, gebraucht – ähnlich wie die deutschen Bezeichnungen „Unglücksrabe“ oder „Pechvogel“. Ebenfalls zur Charakterisierung – wenngleich nur zur äußerlichen und auch nur sehr partiellen – wird die Kartoffel herangezogen: Eine dicke und unförmige Nase bezeichnet man gern als „Kartoffelnase“ ("nos kartoschkoj").

Als „Kukurusnik“ (von „kukurusa“, dt. „Mais“) bezeichnet man einen besonderen Typ eines Leichtflugzeugs, das in der Landwirtschaft eingesetzt wird. Aber nicht nur: Genau denselben ironischen Spitznamen

bekam Anfang der 1960er-Jahre der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow, der, nachdem er zu dem Schluss gekommen war, dass das Versorgungsproblem durch den Anbau von Mais gelöst werden könne, anfing, im ganzen Land Mais anbauen zu lassen. Eine bekannte propagandistische Losung dieser Jahre war: „Der Mais ist der König der Felder.“

Gleich in mehreren idiomatischen Wendungen ist der „Chren“ (wörtlich „Meerrettich, Kren“) vertreten; die Ausdrücke tragen einen vulgären Charakter. Einen älteren Mann nennt man verächtlich „alter Chren“ ("staryj chren") - zu Deutsch etwa „alter Sack“. „Kein einziger Chren“ ("ni chrena") bedeutet im Slang „nicht das Geringste“ (vulgär für „nicht der kleinste Furz“), und „Chren tebje!“ bedeutet so viel wie „Rutsch’ mir den Buckel runter!“ Der Ausdruck „Ni chrena sebje!“ hat eine völlig andere Bedeutung: er wird seltsamerweise als Ausruf des Erstaunens benutzt, wie „Wot eto da!“ („Nein sowas!“). Im Jugendjargon kommt auch die Paprika vor: Als „scharfe Paprika“ ("Krutoj perez") kann man attraktive junge Menschen bezeichnen.

Verschiedene metaphorische Bedeutungen hat die Erbse. „Wie Erbsen gegen die Wand“ ("Kak goroch ob stenu"), sagt man, wenn man jemanden lange und ergebnislos von etwas zu überzeugen versucht. Im Deutschen gibt es eine ähnliche Entsprechung, hier heißt es: „gegen eine Wand

reden“. Jemanden, über dessen Verhalten man lacht, nennt man einen Narr, aber wenn man den abfälligen Charakter verstärken will, sagt man wörtlich übersetzt „Erbsen-Narr“  ("Schut gorochowyj")(wie dt. „Knallcharge“). Wenn man sagen will, dass irgendetwas vor langer Zeit geschehen ist, sagt man: „Das war noch unterm Zaren Erbse“ (Eto bylo pri zare Goroche").

Vor dem Nichts stehen heißt „auf den Bohnen sitzenbleiben“ ("Ostatsa na bobach"), also leer ausgehen oder das Nachsehen haben. Jemanden heftig beschimpfen oder kritisieren heißt, „jemanden für ein paar Nüsse geben“ ("Dat' na orechi), also auf gut Deutsch, jemanden abwatschen. Und wenn man von den gewonnenen Ergebnissen profitieren will, dann „erntet man die Früchte“ ("poschinaet plody")– genauso wie im Deutschen.

Wir wünschen allen mehr Himbeeren und achten Sie auf Ihren Kürbis!

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