Die Bombe, die keine war

Die Berichterstattung der deutschen Medien zum Ukraine-Konflikt ist ein heftig debattiertes Thema. Foto: ITAR-TASS

Die Berichterstattung der deutschen Medien zum Ukraine-Konflikt ist ein heftig debattiertes Thema. Foto: ITAR-TASS

Der Ulenspiegel diskutiert die Ukraine-Berichterstattung der deutschen Medien.

Russland könnte Atomwaffen gegen ukrainische Truppen eingesetzt haben. Diese Spekulation des ukrainischen Verteidigungsministers stieß selbst in Kiew auf Kopfschütteln. Auch westliche Medien stürzten sich ausnahmsweise nicht auf diese Aussage, um sie als weiteren unwiderlegbaren Beweis für russische Skrupellosigkeit zu präsentieren. Ich bin angenehm überrascht darüber, dass man bei uns noch nicht so weit ist, jeden Blödsinn für bare Münze zu nehmen, den sich jemand in Kiew (oder Washington) ausdenkt.

Aber es gibt noch viel erstaunlichere Entwicklungen in unserer Medienlandschaft. Monatelang hatten Verlage und Sender über die hyperaggressiven, von Moskau gesteuerten Trolle gewettert, die es wagen, in den Kommentarspalten abweichende Meinungen zu den fairen und ausgewogenen Berichten über den Ukrainekonflikt zu posten. Einige haben inzwischen sogar ihre Kommentarspalten geschlossen. Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder hergelaufene Putinversteher es wagt, das Informationsmonopol der vierten Gewalt in Zweifel zu ziehen? Frei nach Bertolt Brecht wäre die beste Lösung, die Journalisten suchten sich ein neues Publikum, nachdem das alte seine politische Unreife unter Beweis gestellt hat.

Aber offenbar – und jetzt kommt's – setzen doch nicht alle Medienmacher Kritik an Inhalten mit Majestätsbeleidigung gleich. Bereits im Juni diskutierte der Programmbeirat der ARD – aufgrund der vehementen Kritik der Zuschauer – über die Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt. Das Gremium kam zu dem Schluss, dass die Beiträge der ARD teilweise den "Eindruck der Voreingenommenheit erweckt" hätten, mit Stoßrichtung "gegen Russland und die russischen Positionen". Wesentliche Aspekte seien "nicht oder nur unzureichend beleuchtet" worden, die Berichterstattung sei "nicht ausreichend differenziert" gewesen. Unter den zu kurz gekommenen Themen finden sich die "politischen und strategischen Absichten der NATO" bei der Osterweiterung, die Legitimation des "sogenannten Maidanrats", die "Rolle der radikal nationalistischen Kräfte, insbesondere Swoboda", darunter auch deren Anteil am Scheitern "der Vereinbarung zur Beilegung der Krise in der Ukraine vom 21. Februar".

Der Programmbeirat der ARD setzt sich zusammen aus Rundfunkräten der ARD-Anstalten. In dieser Population gibt es kaum Konspirologen, Stalinisten oder Nazis, die ja nach Meinung der Journaille das Gros der Medienkritiker und Russlandfans ausmachen. Das Urteil des Gremiums hätte einschlagen können wie eine Bombe.

Hat es aber nicht. Wie schade! Über die Kritik des Beirats berichtete zuerst Telepolis. (Meine Zitate stammen aus diesem Artikel, der Rundfunkrat selbst

bringt nichts dazu auf seiner Webseite). Auch das Handelsblatt, der Tagesspiegel und das Neue Deutschland nahmen sich des Themas an, dazu ein paar kleinere Webseiten. Das war es dann aber auch schon. Journalisten halten eben zusammen, wenn es darum geht, die Deutungshoheit der Medien zu wahren. Wenn es sich herumspricht, dass auch hochseriöse Rundfunkräte an den Wahrheiten zweifeln, die uns täglich verabreicht werden, dann könnte die ohnehin schon angeschlagene Glaubwürdigkeit der Medienindustrie noch weiter Schaden nehmen.

Die ARD-Journalisten selbst sehen übrigens keinen Anlass zu Selbstkritik. Laut Telepolis werben wichtige Entscheider der Anstalt „intern offensiv für eine redaktionelle Linie, die sich darauf konzentriert, die ‚westlichen Positionen zu verteidigen'". ARD-Chefredakteur Thomas Baumann weist die Kritik des Beirates „energisch zurück".

PS: inzwischen haben sich die Medien doch noch der Sache angenommen. Ihr Fazit: "Putins langer Arm reicht bis in Gremien der ARD"

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