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Im Russischen gibt es einige Wörter, die griechischen oder lateinischen Ursprungs sind und daher ähnlich klingen wie in anderen Sprachen, zum Beispiel in Deutsch, Englisch oder Französisch. Doch keinesfalls sollte man sich darauf verlassen, dass diese Wörter auch im Russischen die gleiche Bedeutung haben. Für unerfahrene Übersetzer lauern hier Stolperfallen.
„akkord": Schnell oder harmonisch?
Im Altfranzösischen bedeutete „accorder" so viel wie „in Übereinstimmung bringen". Auch in anderen Sprachen haben Wörter mit dieser Wurzel oft eine Bedeutung wie „Einverständnis, Abmachung" oder „Übereinkommen". In Deutschland wird der Begriff oft im Zusammenhang mit Akkordarbeit verwendet, ein Begriff, der mit Stress und Hektik verbunden wird. Im Russischen allerdings wird ausschließlich seine musikalische Bedeutung verwendet, das heißt das gleichzeitige Erklingen mehrerer musikalischer Töne, die miteinander harmonieren.
„artist": Schauspieler oder Künstler?
Musik ist eine Kunst und Kunst heißt im Lateinischen „ars", was so viel bedeutet wie „Geschicklichkeit", „Kunst", „Wissenschaft". In der russischen Gegenwartssprache ist die Bedeutung dieses Wortes enger als in vielen anderen Sprachen: Als „Artist" bezeichnet man normalerweise nur einen Schauspieler. „Nu ty artist!" (zu Deutsch: „Na, du bist ja ein Künstler!") kann man Jemandem sagen, der mit seiner Äußerung die anderen in Erstaunen versetzt oder sich ungewöhnlich verhält. Einen Künstler hingegen sollte man in Russland nicht „artist" nennen.
„dekada": Zehn Tage oder zehn Jahre?
Im Altgriechischen bezeichnete „deka" („dekados") einen Zeitraum von zehn Tagen oder zehn Jahren. Das Wort kommt in vielen europäischen Sprachen vor und steht normalerweise für ein Jahrzehnt. In der russischen Sprache dagegen bezeichnet „dekada" ausschließlich den Zeitraum von zehn Tagen.
„familija": Namen oder Verwandte?
Das Wort kam aus dem Lateinischen („familia") über das Deutsche oder Polnische ins Russische. Selbst ein unerfahrener Übersetzer begeht bei diesem Wort selten Fehler, denn zu häufig kommt es im Alltagsleben vor. Wohl kaum ein Ausländer kommt beim Ausfüllen eines Formulars in Russland auf die Idee, unter dem Punkt „familija" sämtliche Familienmitglieder aufzuführen. Gemeint ist nämlich nicht die Familie, sondern der Familienname oder Nachname. Das lässt sich leicht erklären, denn in vielen Kulturen wurden Nachnamen aus der Bezeichnung der Familie oder des Clans abgeleitet.
„schlagbaum, butterbrod und galstuk": Mit oder ohne Butter?
Bei der Übersetzung dieser Begriffe aus dem Russischen ins Deutsche scheint es keine Probleme zu geben, denn alle drei wurden aus der deutschen Sprache entlehnt. Aber auch wenn im Deutschen die Wörter „Schlagbaum", „Butterbrot" und „Halstuch" bekannt sind und verwendet
werden, sind die russischen Pendants doch anders zu übersetzen: Mit „schlagbaum" wird im Russischen nämlich eine „Schranke" bezeichnet, im Deutschen zwar auch, jedoch meist eine Schranke an einem Grenzübergang. Kurios ist der Fall des Butterbrots. Eine mit Butter bestrichene Scheibe Brot heißt im Russischen „butterbrod s maslom", das reine „butterbrod" hingegen muss schon etwas mehr vorweisen, um als solches zu gelten, nämlich einen Belag. Das russische „butterbrod" entspricht dem Sandwich. Ein „galstuk" hingegen ist zwar meist aus Stoff und wird um den Hals getragen, ist aber kein Halstuch, sondern eine Krawatte.
„keks": Plätzchen oder Kuchen?
Wer würde nicht auf die Idee kommen, das russische Wort „keks" auch als „Keks" ins Deutsche zu übersetzen? Tatsächlich stammt das Wort in beiden Fällen vom englischen „cake" (zu Deutsch: „Kuchen"). Im Russischen bezeichnet es allerdings ganz konkret einen Napf- oder Rührkuchen. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sowohl im Russischen als auch im Deutschen die Mehrzahlform des englischen Originals („cakes") verwendet wird.
„menju": Speise oder nur Speisekarte?
Bittet man in einem russischen Restaurant: „Prinesite mnje, poschalujsta, menju!", bedeutet dies etwa nicht „Bringen Sie mir bitte ein Menü!" Eine Speisefolge aus mehreren Gängen wird im Russischen nämlich als „kompleksnyj objed" bezeichnet, wenn es sich um das Mittagessen handelt. Bei einem „menju" dagegen ist die Rede von einer Speisekarte. Das Wort stammt ursprünglich aus dem Französischen und bedeutet „klein".
„zentner": 50 oder 100 Kilo?
Eher in der Vergangenheit als in der Gegenwart führte das Wort Zentner beim Übersetzen zu Verwirrungen. Das liegt allerdings an den Feinheiten der deutschen Sprache und Kultur. Da dieses Wort vom lateinischen „centum" („einhundert") abgeleitet ist, werden in den meisten Kulturen, die diesen Begriff verwenden, einhundert Kilogramm verstanden. Nicht so im Deutschen, wo ein Zentner fünfzig Kilogramm entspricht. Das hat seinen Ursprung in der Definition des ehemaligen Zollvereins von 1858, laut dem ein Zentner aus 100 Pfund zu je 500 Gramm bestand. Ein russischer „zentner" ist also ein deutscher Doppelzentner.
„pervyj etasch" – Erdgeschoss oder erster Stock?
Dieser häufig begangene Fehler, der vor allem bei der Übersetzung von Dokumenten mit Adressangaben begangen wird, dürfte auch den Kollegen
bekannt sein, die aus dem Englischen oder in das Englische übersetzen. In den USA wird nämlich mit „first floor" das Erdgeschoss bezeichnet, wohingegen ein Engländer, der in den „first floor" geht, höchstwahrscheinlich das erste Obergeschoss aufsuchen wird. Nun sind die Bewohner der Insel den Deutschen geografisch und geschichtlich näher und wohl deshalb ähneln sich die Etagennummerierungen. Dass die russische Nummerierung der US-amerikanischen ähnelt, dürfte dagegen nichts damit zu tun haben, dass es sich bei den USA und Russland um zwei Großmächte handelt.
„sardelka" – Fisch oder Wurst?
Das Suffix „-ka" bezeichnet im Russischen die Verkleinerungsform. Eine „sardelka" ist also eine kleine „sardel". Dieses Wort wiederum stammt vom italienischen „sardella", im Deutschen heißt es „Sardelle". Mit der Verkleinerungsform „sardelka" wird im Russischen allerdings vorwiegend eine Bockwurst bezeichnet. Das soll keine Verballhornung sein. Die Bockwurst stammt ohnehin nicht vom Ziegen- oder Schafsbock, wie der Name vermuten ließe. Die Bezeichnung ist auf das Bockbier zurückzuführen, zu dem sie verspeist wird. Das wiederum hat seinen Namen der Hansestadt Einbeck zu verdanken.
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