Wechselbad der Gefühle

Russen kommunizieren digital weit mehr als die Deutschen, schreibt Adele. Foto: PhotoXPress

Russen kommunizieren digital weit mehr als die Deutschen, schreibt Adele. Foto: PhotoXPress

Adele über deutsche Medien, Dienstreisen in die Regionen und Russlands digitale Revolution.

Das Leben im Spagat hält ständig neue Überraschungen bereit. Da komm ich nach längerer Zeit nach Deutschland, hatte mir vorher ein paar verklärte Phantombilder vom guten alten Germanien aufgebaut, und werde gleich bei der Einreise mit einer kalten Dusche übergossen. Der Grenzbeamte in Berlin schurigelt die einreisenden Russen in abstoßender Weise, erniedrigt sie mit Worten und gibt ihnen zu verstehen, dass sie nicht willkommen sind. Da kann ich nicht anders als Partei zu ergreifen, und zwar für die Einreisenden. Ich fliege seit über zwanzig Jahren zwischen Deutschland und Russland hin und her und wurde noch nicht ein einziges Mal in Russland so rüde empfangen.

Während meiner Lesereise im Herbst, als ich mein Buch „Pelmeni und Sauerkraut. Kein Kochbuch" in verschiedenen Städten vorstellte, sah ich ein ganz anderes Deutschland. Aufgeschlossen, neugierig und positiv

gegenüber Russland eingestellt. Viele der Hörer waren früher selbst Touristen im großen Lande oder Dienstreisende, oder hatten engen Kontakt mit der Westgruppe der Streitkräfte, die in der DDR stationiert war.

Dann verfolge ich zu Hause die Nachrichten mit Berichten über die Brennpunkte und bin entsetzt über fehlendes Hintergrundwissen und offene Propaganda, genau wie sich mir die Haare sträuben über die Berichterstattung in den staatlichen Medien hierzulande. Es ist wohl alles etwas aus den Fugen geraten. Und angesichts der eskalierenden Situation all überall stellen sich nicht nur mir die Nackenhaare auf. Nach Marx kommt jetzt das große Loch. Verhüt's Gott kann man da nur noch hoffen. Nicht ganz nach Marx.

Aber allen Unkenrufen zum Trotz funktioniert das Leben hier noch sehr gut, zumindest in den großen Städten. Ich baue mir zum Beispiel Dienstreisen in die Regionen vom heimischen Computer aus zusammen, alles klappt hervorragend. Es ist mir egal, ob jemand meine Daten mitliest, Hauptsache ich muss nicht vor irgendeinem Schalter anstehen, um meine Daten dort kundzutun. Ich kann von zu Hause aus alle Tickets ausdrucken und losfahren. Die gläserne Gesellschaft anzuprangern, zumindest in diesem Falle, halte ich für lächerlich in Zeiten, wo jeder auf dem Lokus überwacht werden kann. Ob in der Taiga oder in der Großstadt.

Dann komme ich in die entfernten Regionen, lande zum Beispiel nachts auf dem Flughafen einer mir bis dahin unbekannten Stadt und treffe auf hilfsbereite Taxifahrer und gastfreundliches Hotelpersonal. Und schon fühle ich mich heimisch in der bisher unbekannten Region. Witzig finde ich, dass alle mir deutsche Restaurants empfehlen wollen, die durch die Bank bayerisch gefärbt sind. Für Russland ist Deutschland Bayern. Also essen wir alle Haxen, Weißwürste und trinken unendlich viel Bier. Wie das die Bayern wohl geschafft haben?

Ohne die Animositäten der Regierenden zu beachten, nutzt das Volk munter die Vorzüge des Fortschritts und kommuniziert nicht nur auf Teufel komm raus sondern erleichtert sich auch den Alltag digital, weit mehr als in Deutschland. WLan gehört hier zum guten Ton, sogar auf einigen Metrolinien gibt es das bereits. Ein Cafe oder Restaurant ohne freies Internet würde viele Gäste verlieren. Alle hämmern auf ihren Spielzeugen herum. Selbst in weit entfernten Regionen bieten die Hotels recht gutes freies Netz an. Das erleichtert die Kommunikation mit zu Hause und spart natürlich auch Geld.

Müsste ich alles mobil abtelefonieren könnte es eng werden im Geldbeutel.

Die Euphorie über diese technischen Vorzüge wird etwas gemindert durch die Härte des Alltags, der mit Schildbürgerstreichen gepflastert ist. Die Jungs aus den sonnigen Republiken kriegen es nicht hin, beim ersten Anlauf einen Hof oder eine Straße so zu asphaltieren, dass das Wasser abfließen kann. Die ohnehin nicht sehr aufnahmefähige Kanalisation hat nichts zu tun, denn das Regenwasser strömt woanders hin und bildet große tiefe Pfützen. Dazu gesellt sich noch das aus den gut einen halben Meter über der Erde endenden Dachrinnen auf Bürgersteige herabstürzende Nass. Gummistiefel in allen Farben sind der Renner der Saison. Die durch die Wasserreservoire fahrenden Autos und Busse sorgen dafür, dass die Reinigungen und Wäschereien genug zu tun haben. So kommen wir beim morgendlichen Pfützenjumping ordentlich in Schwung und können dann in der Metro, eingekeilt in die Masse der zur Arbeit eilenden Moskauer, in Ruhe nachschwitzen und wenn wir genug Raum dafür haben gleich noch die Post im iPhone lesen. Die in den Staus hoffnungslos festsitzenden Autofahrer verlegen ihr mobiles Office am besten gleich in den fahrbaren Untersatz.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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