Wie Deutsche in sowjetischer Kriegsgefangenschaft schufteten, litten und dennoch überlebten

Geschichte
BORIS JEGOROW
Ein Leben in Gefangenschaft kann sicherlich nicht als besonders angenehm bezeichnet werden. Dennoch lebten deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion deutlich besser als sowjetische Gefangene im Dritten Reich. Sie wurden für ihre Arbeit entlohnt und durften Post aus der Heimat erhalten.

Um den Barbarossa-Plan, die Invasion der Sowjetunion, umzusetzen, setzte Deutschland eine Vielzahl an Alliierten, Satellitenstaaten und Freiwilligen aus ganz Europa ein. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Kriegsgefangene in der UdSSR aus vielen Ländern stammten. Unter ihnen waren Deutsche, Italiener, Rumänen, Ungarn, Finnen, Kroaten, Schweden und viele andere.

Das Thema der Kriegsgefangenen spielte in der sowjetischen Öffentlichkeit keine Rolle. Noch bis heute ist die genaue Zahl der Internierten aus Deutschland und den verbündeten Ländern umstritten. Die Annahmen reichen von 2,3 Millionen bis 3,4 Millionen Gefangenen.

In den abgelegensten Regionen der Sowjetunion wurden für die Gefangenen mehr als 300 Lager eingerichtet. Besonders groß waren sie meist nicht: In jedem Lager waren zwischen 100 und mehreren Tausend Soldaten untergebracht. Einige existierten nur wenige Monate, andere blieben über Jahre in Nutzung.

Deutsche Kriegsgefangene wurden für Arbeiten wie Baumfällen und den Bau von Häusern, Brücken und Dämmen eingesetzt. Der sowjetische Außenminister Wiatscheslaw Molotow sagte einst, kein deutscher Soldat werde heimkehren, bis Stalingrad wieder aufgebaut sei.

Die Einsätze deutscher Gefangener hatte nichts mit Sklavenarbeit zu tun. Arbeitstage dauerten nicht länger als acht Stunden und die Arbeiter wurden bezahlt, wenn auch schlecht. All jene, die ihre Quoten übererfüllten, erhielten einen Bonus, der auf ein Bankkonto eingezahlt werden konnte. Vor ihrer Rückkehr nach Deutschland kauften einige Gefangene die örtlichen Juweliergeschäfte leer, bevor sie sich auf den Heimweg machten.

Die Behandlung von Kriegsgefangenen aus anderen Ländern war besser als die der Deutschen. Ihnen wurden einige Privilegien zuteil und sie durften sogar in den Küchen arbeiten. Deshalb versuchten viele Deutsche, ihre wahre Identität zu verbergen oder sich zumindest von der „Nation der Aggressoren“ zu distanzieren.

Auch Kriegsgefangene verhielten sich nicht immer vorbildlich. Mehrmals kam es zu Ausbrüchen aus Lagern. Zwischen 1942 und 1948 versuchten 11 000 Gefangene, zu fliehen. Nur rund drei Prozent waren dabei aber erfolgreich.

Auch zu Revolten und Aufständen kam es gelegentlich. Im Januar 1945 barrikadierten sich Kriegsgefangene in ihren Barracken und nahmen die Aufseher als Geiseln, weil sie mit der schlechten Verpflegung nicht einverstanden waren. Nachdem Verhandlungen gescheitert waren, rückte die sowjetische Artillerie ins Lager ein. Mehr als 100 Menschen kamen ums Leben.

Die Rückführung von Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion begann kurz nach Kriegsende mit der Freilassung der Kranken und Versehrten im Jahr 1946. Zwischen 1946 und 1955 kehrten insgesamt zwei Millionen Gefangene in ihre Heimat zurück. Die letzten Inhaftierten wurden 1955 nach einem Besuch des westdeutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer in der Sowjetunion freigelassen.

Statistiken legen nahe, dass beinahe 15 Prozent aller Kriegsgefangenen aus Ländern der deutschen Achse ums Leben kamen. Die meisten starben während des Krieges, weil zu dieser Zeit extremer Mangel an Nahrung, warmer Kleidung und angemessener Behausung herrschte. Diese Zahl ist dennoch klein im Vergleich zum Anteil sowjetischer Kriegsgefangener, die während ihrer Inhaftierung in Deutschland ums Leben kamen: Diese Zahl liegt bei geschätzten 58 Prozent.

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