Die Stimmung bei der UN-Generalversammlung im Jahr 1951 war aufgeheizt. Durch das Ingangkommen des Kalten Krieges drohten die brodelnden Spannungen überzulaufen. Teodoro B. Castro, ein Berater der costa-ricanischen Delegation, hielt eine Rede, in der er die Einmischung der Sowjetunion in die inneren Angelegenheiten von Zentralamerika kritisierte.
Castros Rede war so eloquent und hämisch, dass prowestliche Delegierte ihn mit Standing Ovations belohnten und der sowjetische Außenminister Andrei Wyschinski ihn als „Wachhund des Imperialismus“ bezeichnete. Wyschinski ahnte nicht, dass Castro tatsächlich ein sowjetischer Mitbürger war, der verdeckt arbeitete.
Sein echter Name war Josef Grigulewitsch und er wurde in der Stadt Vilnius, im heutigen Litauen, im Jahr 1913 geboren. Was aber brachte ihn zur UN als Botschafter von Costa Rica?
Jung und rot
Grigulewitsch wurde in eine arme karäische Familie in Polen hineingeboren – Karäer sind eine jüdische Religionsgemeinschaft – und wuchs als ergebener Kommunist auf. Im Alter von 17 Jahren trat er der Polnischen Kommunistischen Partei bei und wurde verhaftet und inhaftiert bevor er in den frühen 1930er-Jahren aus dem Land floh.
Als linksgerichteter Aktivist kam Grigulewitsch viel herum: Nach einem Studium an der Sorbonne in Frankreich zog er nach Argentinien. Im Jahr 1936 brach in Spanien ein Bürgerkrieg aus, in dem die linken Republikaner sich den rechtsgerichtete Militanten Francisco Francos widersetzten – und Grigulewitsch beeilte sich, sich seinen Kampfgefährten auf dem Schlachtfeld anzuschließen. In Spanien wurde er dann von den Sowjets als Geheimagent rekrutiert.
Die Jagd auf Trotzki und der Kampf gegen die Nazis
Wie schon Grigulewitsch Tochter Nadeschda in einem Interview bestätigt hatte, verließ ihr Vater Spanien, um nach Mexiko zu gehen, wo er die Ermordung von Stalins Erzfeind Leo Trotzki plante. Es gab zwei unabhängige Agentengruppen, die an diesem Plan arbeiteten, und Grigulewitsch gehörte der weniger erfolgreichen an.
Der Mordversuch im Mai 1940 schlug fehl – die Möchtegernmörder durchlöcherten Trotzkis Zimmer mit Kugeln, aber der 60 Jahre alte Politiker versteckte sich unter dem Bett und blieb unverletzt. Ramón Mercaders zweiter Versuch zwei Monate später war jedoch erfolgreich. Was Grigulewitsch anbetrifft, begann er nach dem Zweiten Weltkrieg Hitlers Anhänger in Lateinamerika ins Visier zu nehmen, hauptsächlich in Argentinien.
Obwohl Argentinien offiziell kein Verbündeter Deutschlands war, lieferte es Deutschland Waren – und Grigulewitsch war versessen darauf, dem ein Ende zu bereiten. Er organisierte eine große Gruppe von rund 200 Leuten und machte sich daran, die Schiffe mit Waren zu sabotieren. Die Gruppe plünderte rund 150 Schiffe, die sich auf dem Weg nach Deutschland befanden. Nach einer Serie von Explosionen, die in direktem Zusammenhang mit den Diebstählen standen, stoppte die argentinische Regierung den Handel mit dem Dritten Reich.
Ein entspannter Polyglott
Laut dem Historiker Wladimir Chikow „fiel es Grigulewitsch leicht, auf zehn Sprachen zu sprechen und zu denken“, vom Litauischen und Polnischen bis zum Französischen, Spanischen und Portugiesischen. Besonders brillierte er, wenn er sich unter lateinamerikanische Bürger mischte, weil er genauso aussah, wie sie. Darüber hinaus erschien er immer freundlich und vertrauenswürdig.
Vielleicht war dies der Grund für seine überwältigende Karriere in Costa Rica. Er freundete sich mit dem Expräsidenten des Landes, José Figueres, an (der, natürlich, dachte, dass sie Landsleute waren). Nachdem er den Costa-Ricanern geholfen hatte, in Italien ein Geschäft zu eröffnen, wurde Grigulewitsch (oder Teodoro B. Castro) im Jahr 1952 zum Botschafter des Landes ernannt – ebenso wie zum Botschafter des Vatikans und Jugoslawiens.
Als Undercover-Agent konnte man kaum mehr erreichen. Der Agent, der weltweit das volle Vertrauen der Kapitalisten genoss – sogar der sowjetische Botschafter in Italien bezeichnete Castro als „Feind der UdSSR“ und „Reaktionär“ – ließ dabei Moskau Informationen von unschätzbarem Wert zukommen. Über 200 ausländische Staatsangehörige wurden von ihm rekrutiert.
Ein frühes Ende
Zum großen Bedauern des sowjetischen Geheimdienstes übte Castro in Italien seine Arbeit nicht lange aus: Im Jahr 1956 wurde er nach Moskau zurückberufen und verließ zusammen mit seiner Familie in höchster Eile das Land.
Nach Stalins Tod 1953 und dem darauffolgenden Machtkampf galten viele Agenten laut den neuen Behörden als unzuverlässig. Grigulewitschs unvergleichliche Karriere war vorbei.
Er begann ein neues Leben und wurde zu einem Akademiker und Historiker, der um die 30 Bücher über Lateinamerika sowie die Geschichte des Christentums schrieb. Niemand unter seinen neuen Kollegen wusste von seiner Vergangenheit, aber alle respektierten seinen Erfolg in der Wissenschaft. Grigulewitsch lebte ein ruhiges Leben und starb im Jahr 1988, kurz bevor das Land, dem er gedient hatte, zerfiel.