David vs. Goliath: Warum das Russische Reich ein fernöstliches Volk nie wirklich beherrschte

Geschichte
OLEG JEGOROW
Angenommen, eine militärische Supermacht trifft auf eine Gruppe Rentier-Hirten und Fischer: Wer wird wohl siegen? Im 18. Jahrhundert geschah genau das. Aber als das Russische Imperium die Tschuktschen im Fernen Osten überwältigen wollte, erlitt die Großmacht eine Niederlage.

Die Heimat der Tschuktschen ist die Halbinsel Tschukotka unweit der Beringstraße zu Alaska. Sie sprechen ihre eigene Sprache und haben sich bis heute ihr einfaches Leben im Einklang mit der Natur erhalten. Historisch jedoch haben sie als furchtlose Kämpfer das Russische Zarenreich wenn nicht das Fürchten, so doch das Verlieren gelehrt.

Imperialer Expansionstrieb

Im 17. und 18. Jahrhundert breitete sich Russland immer weiter gen Osten aus – immer weiter in Richtung des Pazifiks. Eine Vielzahl einheimischer Volksstämme wurden dabei dem Zaren unterworfen. Sie mussten den russischen Herrschern ihre Verbundenheit versprechen und die sogenannte “Jassak” zahlen, eine spezielle Fell-Maut. Dafür bekamen sie moderne Metallinstrumente, Waffen und andere nützliche Ausrüstung zum Leben und Jagen unter harten klimatischen Bedingungen.

Hirten und Fischer

Die meisten Einheimischen sahen die Vorteile eines solchen „Deals“ und willigten ein. Einige aber blieben standhaft: zum Beispiel die Tschuktschen. Sie weigerten sich, Jassak zu zahlen und, anstatt sich über die neuen Eisenwaffen zu freuen, blieben bei ihren traditionellen Holz-, Stein- und Knochenspeeren und –messern. Das Volk bestand auch damals schon aus nur um die 9000 Seelen, die in lockeren Nomadengemeinschaften lebten. Die meisten von ihnen waren Rentierhirten und Fischer. Also sollten sie doch einer militärischen Großmacht wie dem Russischen Reich mit modern ausgerüsteten Soldaten keinerlei Probleme bereiten. Oder?

Sturheit gegen Übermacht

Zuerst schickte Russland 1711 einen Botschafter zu den Tschuktschen, der die Fellsteuern eintreiben sollte. Der aber scheiterte sofort: Die Tschuktschen sind ein stolzes Volk und waren keinesfalls gewillt, sich unterzuordnen. Sie nennen sich selbst  Luorawetlans, was so viel bedeutet wie „die einzig wahren Menschen“.

Anfang des 18. Jahrhunderts schuf der russische Staat dann mehrere befestigte Vorposten in Tschukotka, unter anderem die damalige Anadyrsk-Siedlung (nicht zu verwechseln mit dem heute gleichnamigen Ort Anadyr!). Aber das reichte nicht aus: Die Tschuktschen forderten mehr und Sankt Petersburg (die damalige neue Hauptstadt des russischen Reiches) ging langsam die Geduld aus. 1727 dann startete Katharina I. eine echte Eroberungsoperation, um den Willen der einheimischen dort am fernöstlichen Ende des Riesenreiches zu brechen.

Erste Zusammenstöße

Der erste russische Feldzug war dann auch ein Erfolg: Rund 450 Russen und deren Verbündete unter den Einheimischen töteten etwa 800 Tschuktschen-Kämpfer. Kein Wunder: Pfeile und Speere sind keine wirkliche Verteidigung gegen Gewehre und Kanonen.

Dies aber war nur der Anfang eines langwierigen, brutalen Krieges, den die Russen dann doch nicht gewinnen konnten. Nachdem die Tschuktschen die ersten schweren Niederlagen eingesteckt hatten, änderten sie ihre Taktik: Sie vermieden große Schlachten und griffen die russischen Eroberer nur noch in kleinen Gruppen und in kleinen Orten an, bevor sie sie in die wilde Tundra lockten. Es entstand praktisch ein Partisanenkrieg. Damit machten sich die Einheimischen ihren Heimvorteil zunutze und durften bald die ersten Erfolge verzeichnen.

Patt. Und matt?

Trotz all ihrer militärischen Erfahrung und moderner Ausrüstung konnten sich die russischen Soldaten den Bedingungen auf Tschukotka nicht vollends anpassen. Die Einheimischen kannten die Gegend besser, bewegten sich schnell und nutzten ihr Wissen über die Landschaft. Nie blieben sie lange an einem Ort, sodass die Russen sie einfach nicht erwischten.

1742 dann befahl Zarin Elisabeth ihren Truppen, “sämtliche unfriedlichen Tschuktschen auszumerzen“. Der Gouverneur Dmitrij Pawluzkij vor Ort war bis dahin schon für seine erbarmungslosen und erfolgreichen Kämpfe gegen die Einheimischen bekannt und organisierte nun eine Reihe von Streifzügen gegen die Tschuktschen. Mit wenig erbaulichem Ende: Noch 1747 wurde sein eigenes Regiment überfallen und Pawluzkij getötet.

Handel statt Kampf

1764 wurden die Kämpfe dann eingestellt: Als zu teuer und fruchtlos stellte sich dieser Krieg heraus. Die Siedlung Anadyrsk brannten die Russen selbst nieder, ums sich dann wieder in Richtung Westen zurückzuziehen. Damit war der militärische Eroberungsversuch Tschukotkas beendet.

Und wie die Zukunft zeigte, hatte die wirtschaftliche Eroberung dann auch bedeutend mehr Erfolg: Russland lieferte bald zahlreiche Warengüter an das Fernost-Volk. Die Nomaden waren sichtlich beeindruckt davon, was das Russische Reich ihnen zu bieten hat, und vergaßen bald die früheren Grabenkämpfe. So wurden die Tschuktschen und Russland enge Handelspartner.

1779 erklärte Jekaterina II. die Tschuktschen offiziell zu russischen Bürgern. Und auch wenn sicher nicht jeder in Tschukotka davon weiß, so stellt diese Art Status quo doch offenbar alle Beteiligten zufrieden – und das bis heute.

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