Geschichte Tag für Tag: 27. Dezember

Unser täglicher Geschichtsrückblick zeigt Ihnen, was am heutigen Tag in der Geschichte Russlands und der Welt vor sich ging.

1938: Eines Dichters Ende im GULag-Müll

Mandelstamm nach seiner Verhaftung

Mit Ossip Mandelstamm scheidet ein bedeutender Dichter des Silbernen Zeitalters aus dem Leben: Zuvor hatte er nicht nur das „Stalin-Epigramm“ geschrieben, sondern sich auch noch erdreistet, es laut zu verlesen.

„Wir Lebenden spüren den Boden nicht mehr,

Wir reden, dass uns auf zehn Schritt keiner hört,

 

Doch wo wir noch Sprechen vernehmen, –

Betrifft's den Gebirgler im Kreml.

 

Seine Finger sind dick und, wie Würmer, so fett,

Und Zentnergewichte wiegts Wort, das er fällt,

 

Sein Schnauzbart lacht Fühler von Schaben,

Der Stiefelschaft glänzt so erhaben.

 

Schmalnackige Führerbrut geht bei ihm um,

Mit dienstbaren Halbmenschen spielt er herum,

 

Die pfeifen, miaun oder jammern.

Er allein schlägt den Takt mit dem Hammer.

 

Befehle zertrampeln mit Hufeisenschlag:

In den Leib, in die Stirn, in die Augen, – ins Grab.

 

Wie Himbeeren schmeckt ihm das Töten –

Und breit schwillt die Brust des Osseten.“

(Übersetzung: Kurt Lhotzky)

In dem kleinen Stück beschreibt er das Leben in Angst unter Stalins Herrschaft. Mandelstam war grundsätzlich eher Sowjet-Skeptiker. Dass er diese besonders kritischen Zeilen komplett vorlas, bezeichnete selbst sein Freund und Schriftstellerkollege Boris Pasternak als Selbstmord.

Die Strafe ließ dann auch nicht lange auf sich warten. Mandelstam wurde verhaftet. Fünf Jahre mussten er und seine Frau Nadjeschda – ihre Erinnerungen liefern heute am meisten Informationen über Leben und Weltsicht des Dichters – im Exil in Armut verbringen. Schon damals versuchte der Poet, sich das Leben zu nehmen, indem er aus dem Fenster sprang. Aber der Versuch misslang.

1938 wurde er erneut verhaftet und in ein Arbeitslager im Fernen Osten deportiert. Aber dort kam er niemals an. Völlig entkräftet starb er auf dem Weg dorthin am 27. Dezember 1938 in einem Sammellager. Seine Leiche wurde nicht beerdigt und nie mehr gefunden. Mit vielen anderen Körpern wurde sie wohl buchstäblich auf den Müll geworfen.

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1925: Eines anderen Poeten Selbstmord im Wodka-Delirium

Jessenin nach seinem Selbstmord auf dem Totenbett

Der exzentrische russische Schriftsteller Sergej Jessenin schneidet sich in Sankt Petersburg, wohin er wohl extra zum Sterben kam, nach zwei Tagen im Wodkarausch die Pulsadern auf und erhängte sich dann an den Heizungsrohren an der Zimmerdecke. 

In seinen letzten Lebensjahren provozierte Jessenin zunehmend. Sein Werk „Beichte eines Hooligans“ (1921) zeigte aber auch eine andere Seite seiner Persönlichkeit: beklommen und ordinär.

Er war so etwas wie ein Leinwandidol: blond gelocktes Haar, helle Augen – doch seine rauen Manieren passten nicht zu seiner Erscheinung. Frauen mochten Jessenin, und er verschloss sich ihnen nie. Er war drei Mal verheiratet, und alle drei Ehen scheiterten. Seine berühmteste Frau war die US-amerikanische Tänzerin Isadora Duncan. Sie war 45 Jahre alt, er 28. Nach ihrer Hochzeit brachen sie zu einer einjährigen Reise nach Europa und in die Vereinigten Staaten auf. Zur Freude der internationalen Presse gab es zahlreiche öffentlich ausgetragene Streitereien und heftige Ausbrüche von Jessenin, der stets betrunken war. Im Westen schien sich niemand für Jessenins Werk zu interessieren, und vom Foxtrott abgesehen, fand der Dichter dort auch nichts, was ihn interessierte. Die Rückkehr nach Russland besiegelte das Ende dieser stürmischen Partnerschaft.

Im Jahr 1925 heiratete Jessenin in Moskau eine von Tolstois Enkelinnen, Sophia, die ihn dazu zwang, sich in einem Krankenhaus behandeln zu lassen. Doch die Therapie erwies sich als wirkungslos. Es schien angesichts seiner Depression und seiner Alkoholabhängigkeit keine Hoffnung zu geben. Nachdem Jessenin das Krankenhaus verlassen hatte, hob er das gesamte Geld von seinem Bankkonto ab und begab sich auf eine Zechtour.

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1761: Deutschbaltischer Fürst De Tolly wird russischer Kriegsminister – aber verliert

Im heute litauischen Pamūšis wird Fürst Michael Barclay Tolly geboren. Er entstammte einer deutschbaltischen Familie schottischer Herkunft. Als Oberbefehlshaber aller russischen Truppen setzte er später - 1812 - den Plan durch, Napoleon weit nach Russland hinein zu lassen, um ihn zu schwächen.

Dafür wurde er von russischen Nationalisten harsch angegriffen, und nach der verlorenen Schlacht von Smolensk trat er von seinem Posten zurück.

Barclay wurde von Tolstoi in „Krieg und Frieden“ sehr negativ, von Puschkin in dem Gedicht „Der Feldherr“ aber sehr positiv dargestellt.

>>> Deutschbaltische Kultur: eigenständig und multikulturell

>>> Deutsche der russischen Macht: Karriere im Zarenreich (Teil 1)

>>> Deutsche der russischen Macht: Karriere im Zarenreich (Teil 2)

>>> Deutsche der russischen Macht: Karriere im Zarenreich (Teil 3)

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