Sofia Bluwschtein: Die Geschichte von Russlands „Königin der Diebe“

Sie hat vor über einem Jahrhundert gelebt, aber ihr Name ist noch heute in Russland bekannt. Sofia Bluwschtein war wahrscheinlich die professionellste, mutigste und am längsten tätige Gaunerin des Landes, und ihr Leben war bis zum Ende dramatisch.

Heutzutage, in Zeiten der Online-Nachrichten und von Live-Streaming, bekommen Kriminelle sehr schnell die Aufmerksamkeit der Medien. Im Russland des 19. Jahrhunderts schaffte es nur eine sehr schlaue Verbrecherin berühmt zu werden, bevor sie letztendlich ins Gefängnis kam. Sofia Bluwschtein, besser bekannt als „Sonja die Goldene Hand“, erlangte Bekanntheit als „Königin der russischen Diebe“ - wegen ihres umwerfenden Aussehens, ihrer kaltblütigen Professionalität und ihres großen theatralischen Talents. Jeder ihrer Diebstähle war eine akribisch inszenierte Aufführung.

Ein Raub am Morgen

Während eines Raubzuges hat Sonja in ein teures Hotel eingecheckt. Sie zog ihre besten Kleider an und benahm sich wie eine adlige Frau, die sich um ihre Angelegenheiten kümmerte, also wagte niemand zu fragen, wo sie hinging, während sie sich im Hotel umsah und seine Grundrisse studierte. Sonja wusste, dass die Gäste in einer solchen Einrichtung normalerweise die ganze Nacht feierten und deshalb bis zum Mittag schliefen. Früh am Morgen zog Sonja weiche Schuhe an um möglichst leise zu sein und suchte nach ihrer Beute.

Sie suchte nach offenen Türen oder benutzte einen Dietrich, betrat zügig die Zimmer, in denen die Leute schliefen, bevor sie die Jacken nach Geld durchsuchte. Aber was passierte, wenn der Gast aufwachte? Dann war Sonjas schauspielerisches Talent gefragt. Innerhalb von Sekunden versuchte sie den Gast einzuschätzen, der sich über die Anwesenheit einer schönen Frau im Zimmer wundern würde. Wenn es ein älterer Mann war, errötete sie nur, murmelte, dass sie einen Fehler gemacht habe und verließ das Zimmer - manchmal mit dem gestohlen Geld bereits in den Taschen. Aber wenn der Gast sich für sie als Frau interessierte, war ihr Verhalten anders: Sie sagte, dass sie aus Versehen das Zimmer betreten habe, aber ihre Augen sagten, dass sie mehr als glücklich war, mit so einem gutaussehenden Herren dort zu sein... Nachdem die Liebesarbeit beendet war und der Gast erschöpft eingeschlafen war, vollendete Sonja kaltblütig den Diebstahl und verließ das Zimmer. Wenn sie vom Portier angehalten wurde, konnte sie ihn bestechen oder sich wie eine beleidigte, adlige Frau verhalten - und davonkommen.

Ihre Hauptwaffe war ihr Aussehen

Sonja war weit entfernt von einer gewöhnlichen Prostituierten und sie lernte bereits im Kindesalter zu stehlen. Sie wurde um 1850 irgendwo in der Warschauer Gegend nahe der Grenze geboren, wo viele Menschen Schmuggel, Diebstählen und Raubüberfällen nachgingen. Seit ihrer Jugend liebte Sonja vornehme Kleider, aber ihre größte Liebe galt Gold und Diamanten.

Mit 15 Jahren verließ Sonja ihr zu Hause um einen Händler zu heiraten, der sie jedoch aufgrund ihrer sexuellen Freizügigkeit schnell wieder verließ. Ihr zweiter Ehemann war Michail Bluwschtein, ein professioneller Falschspieler, der wusste, wie man Geld verdient und Sonja erneut zum Stehlen und Betrügen brachte. Bald schon übertraf sie ihren Ehemann an Erfahrung und begann, alleine zu arbeiten.

Sonja erlange einen Großteil ihrer Bekanntheit durch ihre Fähigkeit, mit Verbrechen davonzukommen. Wenn es nötig war, konnte sie jeden Mann um den Finger wickeln – einen Polizisten, Ermittler, Gefängniswärter, Konvoisoldaten – oder auch Grafen, Prinzen und Generäle. Wenn sie einen Mann verführte, schien sie aufrichtig verliebt zu sein, ergriffen mit Leidenschaft. Viele Männer riskierten alles und verloren ihre Familien und Positionen bei der Arbeit, nur um ein paar Stunden mit ihr zu verbringen - so gelang es ihr viele Male zu entkommen.

Die Königin der Diebe

Sonja wurde eine lebende Legende unter den russischen Dieben. Ihre Fähigkeit, sich immer wieder dem langen Arm des Gesetzes zu entziehen, zog eine Menge kleiner Diebe an, die es als eine Ehre ansahen, neben der „Mutter“ oder „Königin“, wie sie sie nannten, zu arbeiten.

Ein paar junge Leute, luxuriös gekleidet, gehen separat in einen Juwelier. Plötzlich sind etliche Kunden im Laden und eine vornehme junge Frau bittet den Inhaber, ihr die Diamanten zu zeigen. Sie studiert sie genau und hält die Steine in ihren Händen mit langen, polierten Nägeln. Schließlich kauft die Frau einen billigen Anhänger und versucht zu gehen, aber der Besitzer bemerkt, dass einige der Steine fehlen. Er ruft die Polizei und sie durchsuchen alle Besucher, die mit großem Missfallen reagieren. Die Polizei kann nichts finden und der Ladenbesitzer bekommt von der noblen Dame eine Ohrfeige, die daraufhin beleidigt das Juweliergeschäft verlässt. Auch die Steine verlassen den Laden - unter Sonjas langen Fingernägeln oder sogar unter ihrer Zunge, wo niemand es wagen würde, nachzugucken, da sie ist keine Bäuerin und keine Kulturbanausin ist. Am selben Abend trinken alle heutigen „Schmuckkäufer“ den teuersten Champagner, angeführt von Sonja. „Die Goldene Hand“, der Spitzname, den sie von ihren kriminellen Verehrern erhalten hat, wies auf ihre beispiellosen Fähigkeiten hin.

Sonja die Goldene Hand, 1888

Während ihrer Karriere hat Sonja fast alle großen Juweliere Russlands beraubt. Aber sie war daran gewöhnt, ein gutes Leben zu führen, sodass sie fast das ganze Geld verschwendete, das sie gestohlen hatte - aber sie schaffte es, ihre beiden Töchter für ihr Studium nach Frankreich zu schicken. Sie wollte nie, dass sie in ihre Fußstapfen treten.

„Das ist von ihr bis heute übrig“

Auf dem Moskauer Wagankowoer Friedhof befindet sich ein Grab mit einem großen Denkmal einer Frau, die in Stoff gehüllt ist. Auf dem Grabstein steht „Bluwschtein“ und das Denkmal ist mit Inschriften bedeckt. Diebe kommen zum Grab, um Tribut zu zollen, ihre Wünsche zu überbringen und Botschaften zu hinterlassen. Manchmal legen sie auch Blumen oder ein billiges Schmuckstück auf das Grab. Die Legende lebt auch nach 150 Jahren weiter, aber das ist nicht wirklich Sonjas Grab.

Sofia Bluwschtein starb 1902 auf Sachalin und wurde dort begraben. Ironischerweise von dem Mann, der Sonjas Karriere ruinierte. Sie verliebte sich in einen Taschendieb, Wladimir Kotschubtschik, der das Glückspiel liebte. Nach großen finanziellen Verlusten lieh er sich Geld von Sonja. Bald fing er an, auf Kosten von Sonja zu leben, die begann, größere Risiken einzugehen, damit sie es sich leisten konnte, ihren Liebhaber zu finanzieren. Einmal betrat sie das Haus eines reichen Mannes und fragte die Diener, ob der Meister zu Hause sei, und während der Portier ging, um sie anzukündigen, ergriff sie alles, was sie konnte, aus der Lobby und rannte davon. Das war weit entfernt von Sonjas berühmtem Stil. Außerdem wurden in den 1880er Jahren Fotos von ihr veröffentlicht und die Menschen begannen Sonja in der Öffentlichkeit zu erkennen, so dass die Polizei sie immer verfolgte.

Sie schaffte es, aus dem Gefängnis in Smolensk zu entkommen und von einer Strafkolonie in Fernost davonzulaufen, aber als sie ungefähr 40 Jahre alt war, wurde sie schließlich auf die Insel Sachalin geschickt und in Ketten gelegt.

Fotografen machten Fotos von Sonja, während sie in Ketten lag, und verkauften die Fotokopien an Passagiere von vorbeifahrenden Schiffen, so dass sie bis zu ihren letzten Jahren eine Berühmtheit blieb. „Sie haben mich mit diesen Fotos gefoltert“, sagte sie. Die jahrelange Gefangenschaft ließe ihre Hände erlahmen. „Ich habe versucht zu entkommen, aber ich bin nicht mehr so stark wie damals.“

Sie verbrachte das Ende ihres Lebens damit, über ihre Töchter zu trauern, die sie verstoßen hatten, als sie von ihrem wahren Handwerk erfuhren.

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