Wie viele Opfer forderte der Rote Terror?

Im Keller der Tscheka in Petrograd von Iwan Wladimirow, 1918

Im Keller der Tscheka in Petrograd von Iwan Wladimirow, 1918

gemeinfrei
Der Russische Bürgerkrieg war eine Zeit des gnadenlosen Kampfes zwischen den Roten und den Weißen. Die Bolschewiki griffen auf den Roten Terror zurück, um den Kampf zu gewinnen.

Was ist der Rote Terror?

Der Rote Terror bezeichnet Repressionen der Bolschewiki gegen ihre politischen Widersacher und „Klassenfeinde“. Er wurde am 5. September 1918 offiziell ausgerufen. Ab diesem Tag galt, dass „alle Menschen, die in Verbindung mit den Weißen Organisationen, Verschwörungen und Aufruhren standen, erschossen werden müssten (rus)“.

Die Aktion endete offiziell nach zwei Monaten, aber für gewöhnlich bezieht sich der Begriff „Roter Terror“ auf alle politischen Repressionen der sowjetischen Regierung im Zuge des Russischen Bürgerkrieges – vom Oktober des Jahres 1917, als die Bolschewiki die Provisorische Regierung stürzten, bis zum Jahr 1922, als sie schließlich all ihre Feinde besiegten.

Welche Hintergründe hatte der Rote Terror?

Manchmal wird betont (rus), die Bolschewiki hätten direkt nach ihrer Machtübernahme keine besondere Härte gegen ihre Gegner und zukünftigen Erzfeinde demonstriert. Das änderte sich jedoch, als sich die Auseinandersetzung verschärfte.

Die Bolschewiki erklärten den Roten Terror direkt nach dem Anschlag auf Wladimir Lenin am 30. August. Drei Schüsse wurden auf ihn abgefeuert, nachdem er eine Rede vor Arbeitern einer Moskauer Fabrik gehalten hatte. Eine der Kugeln verletzte ihn schwer.

Attentat auf Lenin von Pjotr Belousow

Der Anschlag war gefolgt von einer Reihe weiterer Attentate und Angriffe auf hohe Beamte. Insgesamt wurden in der Phase, in der der Bürgerkrieg Fahrt aufnahm, im ganzen Land 4 110 sowjetische Funktionäre ermordet (rus). Die Bolschewiki verstanden deshalb den Roten Terror als legitime Reaktion auf den Angriff ihrer Feinde.

>>> Angriffe auf Lenin – vor und nach seinem Tod

Wie fing er an?

Gleich nach dem gescheiterten Attentat auf Lenin wurden 512 Vertreter der Bourgeoisie und der oberen Klassen, die von den Bolschewiki als Geisel festgehalten worden waren, in Petrograd erschossen. In der zweiten Septemberhälfte wurden mehr als 300 weitere Menschen getötet.

Verhaftung von Generälen von Iwan Wladimirow

Am 5. September wurden in Moskau bis zu 80 Menschen öffentlich hingerichtet. Unter den Erschossenen waren zwei ehemalige Innenminister und der letzte Vorsitzende des Staatsrates, Iwan Schtscheglowitow. „Hier ist der ehemalige Minister des Zaren, der bereits sein ganzes Leben lang das Blut der Arbeiter und Bauern vergießt“, rief (rus) ein Soldat des Erschießungskommandos und zeigte auf ihn, bevor er ihn hinrichtete.

Laut Historikern wurden in diesem Herbst 1 600 bis 8 000 Menschen im ganzen Land getötet.

Befürworteten alle Bolschewiki den Roten Terror?

Nicht die gesamte Führungsriege der Bolschewiki stimmte den Ausmaßen des Terrors zu. Bereits im Oktober forderten viele hochrangige Parteifunktionäre ein Ende der repressiven Taktik. Die Kampagne lief deshalb am 6. November offiziell mit der Erklärung der Amnestie aus.

Gleichzeitig schien sich die Welle der Gewalt nur zu steigern, als der Bürgerkrieg voranschritt, und viele führende Bolschewiki unterstützten den breiten Einsatz des Roten Terrors. „Wir müssen die unproduktiven Klassen auslöschen… Man muss keinen Beweis dafür suchen, dass ein Beschuldigter mit dem Wort oder dem Schwert gegen die Sowjets gehandelt hat. Die erste Frage ist, welcher Klasse er angehört, wo seine Wurzeln liegen, was seine Erziehung, seine Bildung und sein Beruf sind? Diese Fragen werden das Schicksal der Person bestimmen. Dies ist der Sinn und das Wesen des Roten Terrors“, sagte (eng) einer der einflussreichen Beamten der Tscheka, Martin Latsis.

Lenin selbst nannte Latsis Worte „Unsinn”. Er fügte hinzu, das Ziel sei nicht, die gesamte Bourgeoisie physisch auszulöschen, sondern die sozialen Bedingungen zu beseitigen, die eine solche Klasse erschaffen hatten.

Wie viele Menschen wurden während des Roten Terrors ermordet?

Die Zahlen klaffen weit auseinander. Der Historiker Sergej Wolkow schätzt (rus), dass die Bolschewiki in den Jahren von 1917 bis 1922 bis zu zwei Millionen Menschen getötet haben. Gleichzeitig behaupten die Historiker, die sich auf die Archive der für den Terror verantwortlichen Behörden berufen (rus), dass der Rote Terror in diesen Jahren 50 000 Todesopfer gefordert hätte. Einige von ihnen neigen dazu, die Ziffer zu verdoppeln, um die Opfer der Bauernrevolten gegen das sowjetische Regime einzubeziehen.

Leichen von Opfern des Roten Terrors in Jewpatorija im Winter 1918

100 000 Todesopfer ist eine erschütternde Zahl, die jedoch nur einen kleinen Anteil der Opfer des Bürgerkrieges darstellt, deren gesamte Zahl auf zehn bis zwölf Millionen geschätzt wird.

Gab es auch Weißen Terror?

Die Existenz des Weißen Terrors war offiziell einer der Hauptgründe für bolschewistische Repressionen. Er begann in der Mitte des Jahres 1918, als der Kampf gegen die Bolschewiki sich dramatisch intensivierte.

Opfer des Weißen Terrors, die von den roten Marinesoldaten aus der Gefangenschaft befreit wurden, Oktober 1918

Die Zahl der Opfer des Weißen Terrors ist in der Tat eine offene Frage. Sie ist viel schwieriger zu bestimmen, da den Weißen, im Gegensatz zu den Roten, eine organisierte Staatsstruktur fehlte, weil sie lediglich Bündniskräfte vertraten, die gegen den Bolschewismus kämpften.

Sie hatten keine offiziellen Aktionen durch ausgerufenen Terror wie die Roten. Dessen ungeachtet griffen sie als unterliegende Partei im Bürgerkrieg laut vielen Historikern nicht weniger und mitunter mehr auf Repressionen zurück als ihre kommunistischen Gegner. Wie der Verfasser einer aktuellen Studie (rus) urteilt, starben durch die Hände der Weißen nicht weniger als 500 000 Menschen, obwohl die Schätzungen der Wissenschaftler normalerweise einigermaßen zurückhaltend ausfallen.

>>> Schicksalsjahr 1917: Wer trägt die Schuld am russischen Bürgerkrieg?

>>> Schicksalsjahr 1917: Russlands große Revolutionen

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!