Warum der britische König Georg der Fünfte die Romanows verriet

Geschichte
ALEXEJ TIMOFEJTSCHEW
Der letzte russische Zar Nikolaus der Zweite und seine Familie wären dem Tod entkommen, wenn sie Russland verlassen hätten. Der britische König Georg der Fünfte bot Nikolaus einen Zufluchtsort an, zog sein Angebot jedoch zurück und versuchte die Tatsache zu vertuschen.

„Der Mord an der russischen Königsfamilie erschütterte das Vertrauen meines Vaters in den angeborenen Anstand der Menschheit. Mein Vater hatte persönlich geplant, Nikolaus den Zweiten mit einem britischen Kreuzer zu retten, aber auf gewisse Art wurde der Plan vereitelt.“ Dies schrieb der Herzog von Windsor in seinem Buch „Eines Königs Geschichte“ über seinen Vater Georg den Fünften. Es gibt jedoch Grund zu der Annahme, dass es eigenhändig Georg der Fünfte war, der den Plan blockierte.

„England verlängert seine Gastfreundschaft nicht“

Das Schicksal des entthronten Zaren und seiner Familie war nach der Februarrevolution von 1917 ein eigentümliches Thema. Sozialistische Politiker, die an die Macht kamen, fürchteten, dass um den Zaren herum eine Gegenrevolution entstehen könnte, während liberale Abgeordnete den Radikalen keinen Antrieb geben wollten, indem sie Vergeltungsmaßnahmen gegen Nikolaus den Zweiten zuließen.

Der ehemalige Zar war sich der Gefahr bewusst und was die Radikalisierung der öffentlichen Meinung für seine Familie bedeuten könnte. Deshalb „bat er die Übergangsregierung, ihm zu erlauben, in seiner Residenz Zarskoje Selo in Sankt Petersburg zu bleiben, bis sich seine Kinder von den Masern erholt haben und anschließend in die Hafenstadt Romanoff, dem heutigen Murmansk, zu fahren, um auf dem Seeweg nach England zu reisen“.

Die Regierung stellte die Zarenfamilie in Zarskoje Selo unter Hausarrest und laut dem damaligen russischen Außenminister Pawel Miljukow wurde die Idee, den Zaren nach Großbritannien zu schicken, tatkräftig unterstützt. Miljukow wandte sich an den britischen Botschafter in Russland, Sir George Buchanan. Dieser berichtete später, dass London bereit war, die Romanows aufzunehmen und „für diesen Zweck einen Kreuzer zu schicken“. Später, als es „weder einen Kreuzer, noch eine königliche Abreise gab“, fragte Miljukow den Botschafter nach den Gründen der Verzögerung. Ihm wurde gesagt, dass „die Regierung nicht mehr darauf besteht, dass die Familie des Zaren nach England kommt“.

Die Geschichte wurde vom Justizminister der Übergangsregierung und ihrem zukünftigen Führer Alexander Kerenski bestätigt. „Die englische Regierung hält es nicht für möglich, durch den andauernden Krieg seine Gastfreundschaft gegenüber dem ehemaligen Zaren zu verlängern“.

Die russische Seite wird beschuldigt

Die Version des Botschafters, welche er 1923 in seinen Memoiren „Meine Mission in Russland“ veröffentlichte, war auffallend anders. „Unser Angebot bestand nach wie vor und wurde nie zurückgezogen“, schrieb Buchanan. Er beschuldigte die russische Seite und argumentierte, dass die Übergangsregierung auf Widerstand von sozialistischen Politikern gestoßen sei und „es nicht gewagt habe, die Verantwortung für die Abreise des Zaren zu übernehmen und sich von ihrer ursprünglichen Position zurückzogen habe“. Als Kerenski 1927 in seinen Memoiren das Gegenteil sagte, wiederholte das Auswärtige Amt Buchanans Bericht und beschuldigte den ehemaligen russischen Ministerpräsidenten der Lüge.

Fünf Jahre später kam die Wahrheit jedoch durch Buchanans Tochter Meriel ans Licht, als sie ihr eigenes Buch „The Dissolution of an Empire“ [zu Deutsch „Die Auflösung eines Reiches“] veröffentlichte. Sie schrieb, dass ihr Vater in seinen Memoiren die Tatsache aufnehmen wollte, dass das Asylangebot zurückgezogen wurde, er jedoch davon abgehalten wurde. „Ihm wurde im Auswärtigen Amt, wo er einige Dokumente prüfte, gesagt, dass er sonst nicht nur wegen Verstoßes gegen das Amtsgeheimnisgesetz angeklagt werden, sondern auch seine Rente verlieren würde“. Die Darstellung der britischen Regierung, den Zaren in England empfangen zu wollen, war daher ein bewusster Versuch, die wahren Fakten zu verschleiern“.

Die „wahren Fakten“ verhielten sich anscheinend wie folgt: „Er [Georg der Fünfte] muss Sie bitten, dem Premierminister klarzumachen, dass, nach allem was in der Presse geschrieben wird, die Anwesenheit der ehemaligen Zarenfamilie die Öffentlichkeit verärgern würde. Dies würde zweifellos die Position des Königs und der Königin gefährden, von denen allgemein angenommen würde, dass sie die Einladung ausgesprochen haben...“ Das ist es, was Lord Stamfordham, der Privatsekretär von Georg dem Fünften, Anfang April 1917 an den britischen Außenminister schrieb.

„Die Schuld muss geteilt werden“

„Wachsende Arbeitsunruhen und der Aufstieg des Sozialismus in Großbritannien verursachten bei Georg dem Fünften ernsthafte Bedenken. Der König befürchtete, dass die Anwesenheit von dem „Blutigem Nikolaus“ auf britischem Boden seine Position gefährden und später die Monarchie stürzen würde“. Dies sagt der britische Historiker Paul Gilbert und verweist auf den Spitznamen von Nikolaus dem Zweiten, nachdem er 1905 die Erschießung friedlicher Demonstranten in Sankt Petersburg angeordnet hatte.

Der Forscher argumentiert, dass „König Georg der Fünfte ein moralischer Feigling war, weil er die Nerven verloren hat und sich um die politischen Folgen des Asyls für den ehemaligen Zaren und seine Familie sorgte. Sie wurden von ihren königlichen Verwandten, anderen Regierungen und russischen Monarchisten im Stich gelassen. Daher müssen sich alle Königshäuser Europas und die russischen Kriegsverbündeten des Ersten Weltkrieges gemeinsam die Schuld teilen“.

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