Flugzeugentführungen: Von dilettantisch bis dramatisch mit tödlichem Ausgang

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Kann man eine Flugzeugentführung verschlafen? Ist es vorstellbar, dass die Kinder hochrangiger Beamten ein Flugzeug kapern? Lesen Sie diese wahren Geschichten.

Selbst im schrägsten Film über eine Flugzeugentführung hätte der Bösewicht nicht das getan, was der 41jährige Pawel Schapowalow sich am Dienstag geleistet hat. Am 22. Januar 2019 kaperte er eine Maschine auf dem Weg von Surgut in Sibirien nach Moskau und forderte, Kurs auf Afghanistan zu nehmen. Dann blickte er eine Weile aus dem Fenster und … schlief ein.

Die misslungene Entführung des Aeroflot Fluges 1515 machte umgehend Schlagzeilen. Es schien alles sehr bizarr. Schapowalow, ein gebürtiger Surguter, fiel zunächst nicht auf unter seinen Mitreisenden. Ruhig saß er dreißig Minuten lang in seinem Sitz. Doch dann sprang er plötzlich auf, erklärte, er sei bewaffnet und wolle, dass das Flugzeug Kurs auf Afghanistan nehme. Er schien weder betrunken noch unter dem Einfluss von Drogen zu sein, so dass die Crew ihn ernstnehmen musste. Als Schapowalow mitgeteilt wurde, dass das Flugzeug einen Tankstopp in Chanti-Mansijsk einlegen müsse, glaubte er das.

Pawel Schapowalow

Während der ganzen Zeit merkten die anderen Passagiere nicht, was vor sich ging. Erst als Sicherheitskräfte die Maschine stürmten, wurde ihnen klar, dass sie gerade Teil einer Flugzeugentführung waren. Schapowalow schlief zu diesem Zeitpunkt noch immer. Er hatte weder Waffen noch explosive Gegenstände bei sich.

Während seiner Vernehmung konnte er nicht erklären, was sein Motiv gewesen ist, ein Flugzeug nach Afghanistan zu entführen. „Ich habe ehrlich gesagt keinen Grund dorthin zu gehen“, sagte er, um dann etwas rätselhaft hinzuzufügen: „Es ist nicht so klar, wie es auf den ersten Blick scheint.“ Was auch immer er damit gemeint haben mag, seine wirre Tat war nicht so schwerwiegend, wie die  in den folgenden, wirklich dramatischen, Geschichten.

Ein Kinderspiel

1982 kaperte eine Gruppe von Schauspiel- und Kunststudenten, alle im Alter von 20 bis 25 Jahren, ein Flugzeug und richtete an Bord ein Blutbad an.

Es handelte sich bei den Entführern um Kinder aus den einflussreichsten Familien Georgiens, was den Vorfall umso skandalöser machte. Darunter waren Soso Zereteli, der Sohn des berühmten Wissenschaftlers Konstantin Zereteli, und Tamara Patiaschwili, die Tochter des Generalsekretärs des georgischen Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion.

Die Gruppe, die unter dem Namen „Goldene Jugend“ bekannt war, wollte eine angebliche Hochzeitsreise nutzen, um aus der Sowjetunion zu fliehen. Der erste Schritt des Planes war die Hochzeit von Soso und Tamara, die dazu die gesamte politische Elite Georgiens und das Flughafenpersonal einluden.

Alle gingen davon aus, dass sie nach der Feier umgehend von Tiflis ins damalige Leningrad in die Flitterwochen fliegen würden. Begleitet wurden sie von Freunden, die in den Plan eingeweiht waren. Ihren privilegierten Status ausnutzend, ging die Gruppe ohne die üblichen Kontrollen an Bord der Maschine, mit Waffen im Gepäck. Allein Tamara hatte drei Panzerabwehrgranaten in ihrer Tasche.

Das Flugzeug mit 57 Passagieren und sieben Besatzungsmitgliedern an Bord startete. Einer der jungen Leute erkannte einen angeblichen Sicherheitsbeamten unter den Passagieren und griff diesen sofort an, indem er eine Champagnerfalsche auf seinem Kopf zerschlug. Zwei andere griffen sich eine Flugbegleiterin und drangen mit ihr als Schutzschild ins Cockpit ein. Sie verlangten, dass das Flugzeug in die Türkei fliegen sollte und erhielten die übliche Antwort: „Wir müssen einen Tankstopp einlegen“. Daraufhin schossen die Entführer dem Flugzeugmechaniker mehrfach in die Brust. Im Cockpit eröffnete der Navigator das Feuer gegen die Entführer, schubste den Piloten aus dem Cockpit und schloss die Tür. Eine Flugbegleiterin wurde dabei ebenfalls erschossen.

Als das Flugzeug gelandet war und die Entführer realisierten, dass sie zurück in Tiflis waren, schoss sich einer von ihnen in den Kopf. Die anderen konsumierten Drogen und drohten, jede Stunde einen Passagier zu töten, bis ihnen der Flug ins Ausland erlaubt würde.

Die Eltern der Entführer lehnten es ab, an den Verhandlungen mit ihren Kindern teilzunehmen. Am Ende lief die Gruppe Amok, vier blutgetränkte Minuten lang.

Bei der Gerichtsverhandlung wurden alle Beteiligten außer Tamara zum Tode durch Erschießen verurteilt. Letztere erhielt eine Gefängnisstrafe von 14 Jahren.

Studenten als Luftpiraten

Ein anderer Vorfall ereignete sich 1973, als vier Studenten einer Technikschule in Moskau beschlossen ein Flugzeug zu entführen, um Lösegeld zu erpressen. Der älteste Täter war 20, der jüngste erst 16 Jahre alt. Das Flugzeug startete in Moskau Richtung Brjansk. Zehn Minuten vor der Landung standen die vier Männer auf und holten aus ihrem Gepäck zwei Jagdgewehre, eine abgesägte Schrotflinte und mehrere Messer und drangen ins Cockpit ein.  

Der Angriff endete damit, dass ein Flugzeugmechaniker einen Bauchschuss erlitt. Mit dem Notruf wurden auch die Forderungen der Entführer an die Flugsicherung übermittelt: Ein Lösegeld in Höhe von 1,5 Millionen US-Dollar (später erhöhten die Entführer auf fünf Millionen) für die Freilassung der Geiseln. Das Flugzeug wurde zurück nach Moskau geleitet.

Am Flughafen Wnukowo stand eine Spezialeinheit bereit, die das erste Mal ein von Terroristen gekapertes Flugzeug stürmen sollte. Die Spezialisten kletterten unbemerkt am Flugzeug hoch. Einige Stunden später wurde den Terroristen mitgeteilt, dass das Lösegeld bereitstünde. Es sollte von einem KGB-Agenten übergeben werden, der jedoch in letzter Minute einen Rückzieher machte. So wurde der Koffer, eine Attrappe, von einem als Flughafenarbeiter verkleideten Polizisten übergeben. Als der sich der Tür näherte, eröffnete einer der Terroristen das Feuer auf ihn. Umgehend wurde die Maschine von den Spezialkräften unter Beschuss genommen, 90 Treffer gab es im Flugzeugrumpf - ein Wunder, dass kein Passagier verletzt wurde. In die Maschine wurde ein Tränengasbehälter geworfen, der jedoch zwischen den Sitzen stecken blieb und Feuer fing.

Flugkapitän Iwan Kaschin erinnert sich: „Ich war wie in einer anderen Welt. ich versuchte durch ein Handtuch zu atmen, das machte es leichter.“ Als er sich umblickte, sah er einen Mann inmitten seines Blutes. Es war der Anführer der Terroristen, der sich selbst gerichtet hatte. Ein weiterer Terrorist erlag später seinen Verletzungen, der dritte ergab sich. Der vierte überlegte, aus dem Flugzeug zu springen, doch schien ihm dies zu hoch und er wollte über die Gangway entkommen. Dort wurde er von Passagieren überwältigt.

>>> Dossier: So schützt sich Russland vor Terroranschlägen

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