Stalins Erzfeind Leo Trotzki nannte ihn „die größte Mittelmäßigkeit der Kommunistischen Partei“. Später bereute Trotzki diese Aussage vermutlich: “Die Mittelmäßigkeit” gewann nämlich erst den politischen Machtkampf zwischen beiden und warf Trotzki anschließend raus: Zunächst aus der Partei, später wurde er sogar des Landes verwiesen. Beendet wurde die feindliche Beziehung 1940, als Stalin seinen Rivalen umbringen ließ.
Trotzki und andere Führungspersönlichkeiten der Kommunistischen Partei, darunter Grigori Sinowjew und Nikolai Bucharin, ahnten zu keinem Zeitpunkt, dass Stalin einmal der mächtigste Mann der Sowjetunion sein würde. Sie sahen in ihm einen bescheidenen Menschen mit einer rein bürokratischen Position innerhalb des riesigen Parteiapparates. Heute sind die Faktoren für Stalins Erfolg bekannt anhand derer es nachvollziehbar wird, wie er zur „dunklen Macht“ der russischen Geschichte wurde.
(Anmerkung: Russia Beyond distanziert sich deutlich von Stalin und seiner Vorgehensweise)
Dass Stalin nicht zimperlich war, ist keine große Überraschung. Doch der spätere Diktator war nicht nur hart zu anderen (zum Beispiel beim Unterzeichnen von Hinrichtungsbefehlen), sondern erwies sich zu Beginn auch selbst hart im Nehmen. 1901, damals war er Anfang zwanzig, trat er in die Bolschewistische Partei ein. Er tat zunächst alles, was die Partei von ihm wollte. Er schaffte Druckerpressen für bolschewistische Parteizeitschriften an, schrieb Artikel, kontaktiere Abgeordnete der damaligen Staatsduma und nahm sogar an illegalen Aktionen teil.
Der junge Stalin
SputnikDer Plan ging auf: 1912 wurde Stalin ins Zentralkomitee der Bolschewiki aufgenommen. Aus diesem Kreis kam nicht nur die Elite der sozialistischen Bewegung, sondern auch die späteren Führer der Sowjetunion. Einige Zeit später jedoch, nachdem er von der zaristischen Polizei festgenommen wurde, verbrachte Stalin vier Jahre im sibirischen Exil. Als er 1917 nach Petrograd (damals noch und heute wieder Sankt Petersburg) zurückkehrte, trug er eine Wut in sich, die der Antrieb für viele folgende Ereignisse werden sollte.
Anfang der 1910er-Jahre, war Wladimir Iljitsch Lenin der unbestrittene Führer der bolschewistischen Partei. Er war der einflussreichste Ideologe und der wichtigste Feind des Kapitalismus. Stalin stellte seine Autorität nie in Frage, obwohl er vermutlich nicht begeistert davon war, dass Lenin ihm zu Beginn wenig Beachtung schenkte.
Einmal während Stalins Zeit im Exil vergaß Lenin sogar seinen richtigen Namen. „Lenin lies 1915 eine Notiz an verschiedene Bolschewiki senden: „Wisst ihr, wie Kobas (Stalins Pseudonym) richtiger Nachname lautet? Bitte erinnert uns an Kobas richtigen Namen. Josef Irgendwas? Wir haben es vergessen”, schrieb Oleg Chlewniuk in Stalins Biografie.
Nach der Revolution 1917 blieb Stalin dann endgültig in Lenins Gedächtnis verankert. Er war einer der ersten Bolschewiki, die in Petrograd auftauchten und die Arbeiter zur Rebellion mobilisierten. Zunächst galt Stalin als moderat und arbeitete mit anderen sozialistischen Parteien zusammen. Nachdem Lenin seine Ansichten geäußert hatte und von der kompletten Übernahme der Macht und der Weltrevolution redete, änderte jedoch auch Stalin seine Einstellung. „Wie immer folgte Stalin Lenins politischem Vorbild. Er war ein treuer Alliierter. Dieser schätze das natürlich“, schreibt Chlewniuk.
Anders als Trotzki und Sinowjew, die für ihre Eloquenz bekannt waren, war Stalin nie ein guter Redner. Stattdessen konnte er auch in einfachen Positionen hart arbeiten. Nach dem Bürgerkrieg führte er das - relativ kleine - Volkskommissariat für Nationalitätenfragen. Er selbst sagte, dass es hierbei „eher um politische Kampagnen als um administrative Tätigkeiten“ ginge.
1922 wurde Stalin schließlich Generalsekretär der gesamtsowjetischen Kommunistischen Partei und führte den schnell wachsenden bürokratischen Apparat. Diese Position galt zwar als überwiegend technokratisch, andererseits hatte Stalin so Einfluss auf den Mittelbau der Partei und konnte viele Bolschewiki für sich gewinnen.
Trotzdem hielt Stalin sich zunächst weiter zurück. Seine Rivalen unterschätzten ihn. „Dadurch, dass er sich auf Routinetätigkeiten konzentrierte, galt Stalin als ruhiger, überlegter Anführer. Eher ein Arbeiter als ein großer Rhetoriker”, erklärt (rus) der Historiker Alexej Wolynez. So kam es, dass Stalin, als Mitte der 1920er Streitigkeiten innerhalb der Parteielite ausbrachen, die Mehrheit der Basis und des Mittelbaus auf seiner Seite hatte.
In den 1920er Jahren versuchte Stalin, seine Feinde gegeneinander auszuspielen. Er selbst wechselte hierzu regelmäßig die Seiten.
1923 attackierten Stalin, Sinowjew und Sinowjews Verbündeter Lew Kamenew Trotzki. „Vor der Revolution war Trotzki noch gegen die Bolschewiki. Erst im Sommer 1917 schloss er sich Lenin an“, schreibt Wolynez. Die „großen Drei”, Stalin, Sinowjew und Kamenew, nutzten dies aus. Sie ließen ihren gesamten Einfluss spielen und schlossen Trotzki aus der Roten Armee aus.
Dann wandte sich Stalin 1925 gegen Sinowjew und Kamenew. Die beiden mussten sich mit Trotzki verbünden und gründeten die „vereinte Opposition“. In Zusammenarbeit mit Nikolai Bucharin stellte Stalin Trotzki, Sinowjew und Kamenew als Radikale dar. Zwischen 1926 und 1927 zwang er sie dazu, dass Zentralkomitee der Partei zu verlassen.
Schließlich traf es auch Bucharin. 1928 bezeichnete Stalin ihn mit Unterstützung der meisten Parteianhänger als Opportunisten und versagte ihm sämtliche Führungspositionen. Nun hatte Stalin freie Bahn: Alle kommunistischen Anführer der Revolutionszeit waren entweder im Exil (Trotzki) oder in Ungnade gefallen (Sinowjew, Kamenew, Bucharin).
„Die russische Revolution fraß ihre eigenen Kinder, so wie es vorher schon die Französische Revolution getan hat“, schrieb Chlewniuk bereits in den 20er-Jahren.
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