Kriegsende: Warum es keine Aufnahme vom Hissen der Siegesfahne auf dem Reichstag gibt

Geschichte
GEORGI MANAJEW
Es gab verschiedene Flaggen, doch welche ist die originale Siegesfahne?

Erstaunlich, dass das ikonische Foto von der Sowjetflagge auf dem Reichstag gar nicht authentisch ist. Es wurde erst später zu Propagandazwecken aufgenommen. Dies ist die Geschichte dahinter. 

Sie konnten die Tränen nicht zurückhalten

Der Zweite Weltkrieg neigte sich dem offensichtlichen Ende zu, als sich die Rote Armee im April 1945 Berlin näherte. Die 3. Stoßarmee der 1. Weißrussischen Front erreichte als erste das Reichstagsgebäude, in dem die eingekesselten deutschen Soldaten ihre letzte Bastion verteidigten. 

Der politische Leiter der 3. Stoßarmee, Fjodor Lisizyn, erzählte: „Ich schlug vor, neun rote Banner (die auf dem Reichstagsgebäude gehisst werden sollten) für jede Schützeneinheit unserer Armee nähen zu lassen. Der Militärrat war einverstanden. Wir verzichteten auf Luxus und ließen sie aus rotem Baumwollstoff, in Form und Größe strikt an der sowjetischen Staatsflagge orientiert, fertigen. Die Frauen griffen zu Nadel und Faden und machten sich ans Werk. Viele von ihnen konnten die Tränen dabei nicht zurückhalten. In diesem Moment wurde uns bewusst, dass dieser unmenschliche Krieg bald vorüber sein würde...”   

Die erste Einheit, die den Reichstag erreichte, sollte ihr Banner hissen. Dies geschah auf direkten Befehl von Joseph Stalin, der im Oktober 1944 sagte: „Jetzt steht die Rote Armee vor ihrer letzten großen Mission: Gemeinsam mit unseren Verbündeten soll sie das Debakel der faschistischen deutschen Armee zu Ende bringen und das faschistische Biest aus seinem Versteck zerren und die Siegesfahne über Berlin hissen.”

Kurz darauf wurde in einer Moskauer Fabrik ein rotes Samtbanner mit dem Wappen der UdSSR und der Inschrift: „Unsere Sache ist gerecht, der Sieg ist unser!“ in Auftrag gegeben. Doch diese luxuriöse Version einer Siegesflagge hat Berlin nie erreicht, warum ist nicht bekannt. 

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Flaggenwirrwarr 

Am 30. April begann die sowjetische Armee ihren Angriff auf den Reichstag. Das Gebäude, das von etwa  5.000 deutschen Soldaten, ihren Offizieren und schwerer Artillerie verteidigt wurde, erwies sich als sehr schwer zu erobern.

Das sowjetische Radio hatte bereits berichtet, dass auf dem Reichstag das Siegesbanner wehte, doch das war eine Falschmeldung. Womöglich hatte ein übermütiger Offizier der 3. Stoßarmee dies verkündet, nachdem zwei Soldaten namens Koschkabarew und Bulatow bäuchlings zum Portikus des Reichtages gekrochen waren und dort an einer Säule eine Flagge angebracht hatten. 

Als Teile der 150. und 171. Schützendivision ihren Angriff im Gebäude vorantrieben, hinterließen sie große und kleine rote Fähnchen, um die nun von ihnen kontrollierten Bereiche des Reichtages zu kennzeichnen.

Erst am Abend, nach einer dritten Offensive, befand sich der größte Teil des Reichstagsgebäudes unter sowjetischer Kontrolle. Um 22:40 Uhr schlich sich eine Gruppe sowjetischer Soldaten, die von den Deutschen, die immer noch die oberen Stockwerke kontrollierten, unbemerkt blieben, auf das Dach des Portikus und platzierten ein rotes Banner im Relief des Giebels. Doch das galt noch nicht als Hissen der Siegesflagge. 

Drei Mal wurde versucht, oben auf dem Gebäude ein Banner anzubringen, doch jedes Mal gelang es den Deutschen, es zu zerstören. Die Nazis verteidigten den Reichstag aus allen Richtungen. 

Tanz auf dem Reichstag 

Nur ein einziges Banner ist erhalten, das in den ersten Stunden des 1. Mai von Leutnant Alexei Berest, Sergeant Michail Jegorow und Sergeant Junior Meliton Kantaria auf dem östlichen Teil des Daches angebracht wurde.

Am Morgen des 2. Mai, als das Gebäude noch teilweise von den Deutschen kontrolliert wurde, stiegen Jegorow, Kantaria und Oberst Fjodor Sintschenko erneut auf, um das Banner noch höher zu hissen.

Ihr Vorgesetzter Kapitän Stepan Neustrojew vom 1. Bataillon der 150. Division erinnerte sich: „Mehr als eine Stunde war vergangen. Wir dachten schon, dass es das gewesen sei und niemand überlebt hätte. Doch dann sahen wir es. Auf dem Reichstag tanzten die drei. Doch das war mitnichten ein Freudentanz. Es ist bloß schwieriger, in Bewegung von einer Kugel getroffen zu werden.”  

Einige Tage später wurde das Siegesbanner wieder abgenommen und nach Moskau gebracht. Im Hauptquartier der Armee beschrifteten es Offiziere mit „Neun Artilleriebataillone der 150. Armee der 3. Stoßarmee der 1. Weißrussischen Front”. 

Doch dieses Banner wurde letztlich bei der Siegesparade am 24. Juni 1945 nicht gezeigt. Stepan Neustrojew, der als Fahnenträger vorgesehen war, litt an gleich fünf Kriegsverletzungen. Seine Soldaten beherrschten keinen Parademarsch mehr, denn während des echten Krieges konnten sie dafür nicht üben. 

So dauerte es 20 Jahre, bis zum 9. Mai 1965, bis das Banner erstmals öffentlich präsentiert wurde. Es wurde von Michail Jegorow, Meliton Kantaria und Oberst Konstantin Samsonow getragen. Heute liegt es gut geschützt im Keller des Zentralmuseums der Streitkräfte in Moskau. In einer Glasvitrine ist eine originalgetreue Kopie ausgestellt.  

Warum ist das Foto nicht authentisch? 

Es gab keine Fotos oder Aufnahmen vom Hissen der Siegesflagge. Nach der Eroberung Berlins bat der sowjetische Militärfotokorrespondent Jewgeni Chaldej einige Soldaten der 8. Garde-Armee, Alexei Kowaljow, Abdulchakim Ismailow und Leonid Goritschew, für ein Foto zu posieren, obwohl diese beim Kampf um den Reichstag gar nicht dabei gewesen waren. Auf der Aufnahme ist deutlich zu erkennen, dass die Flagge, die sie halten, nicht das Siegesbanner ist. Der Fotograf hatte eine Flagge fürs Foto mitgebracht. Doch das Foto stellt den historischen Moment nach. 

Vor der Veröffentlichung wurde es jedoch retuschiert. Das Rot des Banners wurde intensiver, der Himmel wurde wolkenverhangen gezeichnet und am Arm des Soldaten Ismailow wurde eine von zwei Uhren, die er trug, entfernt, da man dem Vorwurf, das sowjetische Soldaten plünderten, nicht Nahrung liefern wollte. 

Die unbearbeitete Originalaufnahme wurde erst im Jahr 2013 wiederentdeckt. Sie befindet sich nun im Jüdischen Museum und Zentrum für Toleranz in Moskau.

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