Dies war wahrscheinlich eine der ungewöhnlichsten Paraden, die Moskau jemals gesehen hatte. Am 7. November 1941 marschierten Soldaten auf dem Roten Platz zum Gedenken an den 24. Jahrestag der Revolution von 1917. Sie zogen sofort an die Front, weil die Nazis nur 30 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt waren.
Die jährliche Parade zu Ehren der Oktoberrevolution wurde in der UdSSR als das wichtigste Ereignis angesehen. Mitte Oktober 1941 glaubten jedoch nur wenige, dass es in dieser Situation möglich sei, sie abzuhalten. Moskau stand am Rande einer Katastrophe: Deutsche Truppen hatten die sowjetische Verteidigung durchbrochen und standen am Stadtrand. Die Evakuierung von Industrie- und Verwaltungsgebäuden war im Gange.
Das Transportsystem war gelähmt. Die Stadt wurde von Plünderungen, Raubüberfällen und Bränden erfasst. In Panik geratene Einwohner flohen mit allem was sie tragen konnten aus Moskau. Um dieses Chaos in den Griff zu bekommen, verhängte die sowjetische Führung am 20. Oktober einen Belagerungszustand und eine Ausgangssperre. Moskau wurde von Truppen des sowjetischen Innenministeriums NKWD unter Kontrolle gebracht, die die Situation mehr oder weniger stabilisierten.
Die eingeführten strengen Maßnahmen reichten jedoch nicht aus, um den Kampfgeist und Widerstandswillen der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Daher beschloss die sowjetische Führung, die Revolutionsparade zu veranstalten, um den eigenen Bürgern und der ganzen Welt zu demonstrieren, dass das sowjetische Volk immer noch kämpfen konnte und kämpfen würde.
Zuerst wollte man den Veranstaltungsort, den Roten Platz, am Tag der Parade vor Luftwaffenangriffen schützen. Am 5. November starteten sowjetische Piloten Präventivschläge auf deutsche Flugplätze. 550 Kampfflugzeuge wurden von anderen Fronten aus abkommandiert. Die Luftabwehrtruppen wurden in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Dank dieser Maßnahmen und starkem Schneefall flog am 7. November kein feindliches Flugzeug am Moskauer Himmel.
Die sowjetische Führung unternahm einige symbolische Schritte: Vom Lenin-Mausoleum und den Kremlsternen wurde die Tarnung entfernt, sodass sie vorübergehend wieder beleuchtet waren. Von der Tribüne des Mausoleums begrüßten den Menschen jene sowjetischen Führer, die in der Hauptstadt geblieben waren, darunter Stalin, der eine feierliche Rede hielt.
Zur gleichen Zeit befand sich der größte Teil der Führung des Landes zusammen mit ausländischen Diplomaten auf einer ähnlichen Parade in Kuibyschew (dem heutigen Samara). Diese Stadt an der Wolga sollte als vorübergehende sowjetische Hauptstadt dienen, falls Moskau fallen würde.
An der Moskauer Parade nahmen 28 500 Soldaten teil. Die meisten davon waren Militärkadetten aus Infanterie-, Kavallerie-, Artillerie- und Panzereinheiten der Moskauer Garnison sowie aus der Reserve des Oberkommandos. Zusammen mit den Soldaten nahmen 140 Artilleriegeschütze, 160 Panzer und 232 Fahrzeuge an der Veranstaltung teil. Wegen des Schneefalls wurden Flüge über den Roten Platz abgesagt.
Normalerweise dauerte es zwei bis drei Monate, um die Truppen auf die Parade auf dem Roten Platz vorzubereiten. Aber 1941 dauerten die Vorbereitungen nur einige Tage. Nach der Parade zogen die Soldaten direkt an die Front.
Sowjetische und ausländische Journalisten, die sich noch in Moskau befanden, berichteten ausführlich über die Parade. Der Kriegsveteran Sergei Kolodin erinnerte sich: „Ich habe die Parade zu Hause in Kalinin [heute Twer - Anm. d. Red.] gehört. Es hat uns junge Menschen sehr inspiriert. Damals war ich 17 und bin an die Front gegangen.“
Nach 1941 fanden in Moskau bis zum Kriegsende keine Paraden mehr statt. Das nächste Mal, als sowjetische Soldaten auf dem Roten Platz marschierten, war erst am 24. Juni 1945, um den Sieg über den Nationalsozialismus zu feiern.
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