„Rote Emma“: Die einst gefährlichste Frau in den USA

Geschichte
BORIS JEGOROW
Emma Goldman war jahrelang Staatsfeindin Nummer 1 für die US-Regierung. Doch das Verhältnis zur Staatsmacht in ihrer Heimat, in der die Sowjets herrschten, war nicht besser…

„Demonstriert vor den Palästen der Reichen! Fordert Arbeit! Wenn Sie keine Arbeit für euch haben, verlangt Brot! Wenn sie euch auch das nicht geben, dann nehmt es euch!“ proklamierte (eng) Emma Goldman leidenschaftlich bei einer New Yorker Arbeiterdemonstration im Jahr 1893. Der „Roten Emma“, einer der bekanntesten Leitfiguren der Anarchie-Bewegung im frühen 20. Jahrhundert, war jedes Mittel recht, soziale Gerechtigkeit zu erreichen.

Ihre umtriebigen Aktivitäten gegen die damalige US-Führung machten sie zur Staatsfeindin. Der erste FBI-Direktor, John Edgar Hoover, bezeichnete (eng) Goldman einst als „die gefährlichste Frau in Amerika“. 

Kampf gegen die Staatsmacht 

Emma Goldman wurde in eine jüdische Familie am westlichen Rand des Russischen Reiches geboren, zog aber mit 17 Jahren in die USA, wo sie sich sofort der lokalen anarchistischen Bewegung anschloss.

Goldman wurde bald eine ausgesprochene Gegnerin traditioneller Machtstrukturen und religiöser Institutionen, setzte sich für die Gleichstellung der Geschlechter ein. Die Ehe lehnte sie ab, da sie die Frauenrechte einschränke. 

„Ich wollte Freiheit, das Recht auf Selbstdarstellung und dass jeder Zugang zu schönen und leuchtenden Dingen hat. Das bedeutete Anarchismus für mich. Ich würde gegen alle Widerstände kämpfen, trotz Gefängnis und Verfolgung und auch, wenn mich meine engsten Freunde dafür verachten. Ich würde versuchen, mein Ideal zu leben“, schrieb sie 1931 in ihrer Autobiografie „Living My Life“. 

1892 half sie ihrem Geliebten und Verbündeten Alexander Berkman bei einem Attentat gegen Henry Clay Frick, den „meist gehassten Mann Amerikas“, einen rücksichtlosen Industriellen, der der schlimmste Alptraum der Gewerkschaften war.

Das Attentat schlug fehl und Berkman wurde zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt. Goldman selbst konnte sich einer Verhaftung entziehen, wurde jedoch mit zahlreichen Haftbefehlen gesucht, wegen der Anstiftung zu Unruhen, der Verbreitung verbotener Literatur und auch wegen versuchten Mordes an US-Präsident William McKinley, obwohl ihre Tatbeteiligung nie bewiesen wurde. 

Goldman wurde bereits 1908 die US-Staatsbürgerschaft entzogen, sie lebte aber weiterhin in den USA und kämpfte für ihre Ideale. Doch die US-Regierung fand einen Weg, sich ihres „schlimmsten Feindes“ zu entledigen. 

Die sowjetische Arche 

Im Juni 1919 fand in mehreren US-Städten eine Reihe von Terroranschlägen statt, die von Anhängern des italienischen Anarchisten Luigi Galleani als Zeichen des Widerstandes gegen Richter und Staatsanwälte durchgeführt wurden. Obwohl es keine Opfer gab, sorgte die Anschlagsserie für Angst und Schrecken im ganzen Land. 

Die Zeit wurde bekannt als erste Periode der „Roten Angst“. Zahlreiche restriktive Maßnahmen wurden umgesetzt. Bekannt wurden vor allem die Palmer-Razzien, benannt nach ihrem Initiator, US-Generalstaatsanwalt Alexander Mitchell Palmer. Insgesamt wurden dabei 249 Linksradikale und Anarchisten festgenommen. Die meisten von ihnen waren russische Einwanderer ohne US-Staatsbürgerschaft. Goldman gehörte zu ihnen. Sie wurde aufrührerischer Aktivitäten beschuldigt, dazu kamen verschärfend ihre früheren Gesetzesverstöße. Die Verhafteten wurden an Bord des Schiffes „USAT Buford“ verfrachtet, das in Richtung Sowjetrussland ablegte. Das Schiff wurde in den Medien die „sowjetische Arche“ genannt. Hoover - damals Assistent des Generalstaatsanwalts - war eine Schlüsselfigur bei der Abschiebung der „Roten Emma“. 

>>> Ein Geschenk für die Bolschewiki: Wie die USA sich radikaler Anarchisten entledigte

Ernüchterung 

Trotz der Tatsache, dass die Anarchistin Goldman den Marxismus ablehnte (eine Ideologie, die sie als „kalte, mechanistische, versklavende Formel“ bezeichnete), setzte sie Hoffnung in das „Land des siegreichen Sozialismus. Es dauerte jedoch nicht lange, bis diese enttäuscht wurde. 

Der „Roten Emma gefiel die bolschewistische Einschüchterungskampagne gegen ihre anarchistischen Kameraden überhaupt nicht. Während eines Treffens mit Wladimir Lenin, dem „Vater“ der russischen Revolution, zeigte sie sich enttäuscht von dessen Ansichten zur Meinungsfreiheit als etwas, das angesichts bestimmter Umstände geopfert werden könnte.

Die Niederschlagung des Kronstädter Seemannsaufstands von 1921 brachte für Goldman das Fass zum Überlaufen, obwohl sie selbst Gewalt durchaus als probates Mittel zum Erreichen ihrer politischen Ziele genutzt hatte. „Man kann im Umgang mit sozialen Missständen nicht zu extrem sein. Außerdem ist das Extreme normalerweise das Wahre“, schrieb sie einmal. 

Doch die Gewalt in Kronstadt war zu viel für sie: „Ich sah vor mir den übermächtigen   bolschewistischen Staat, der jede konstruktive revolutionäre Anstrengung niederschlug, alles unterdrückte, erniedrigte und auflöste“, schrieb sie in einem anderen Aufsatz mit dem Titel „Ernüchterung in Russland“ (eng).

Die Rückkehr  

Goldman und Berkman, die diesen schwierigen Weg gemeinsam beschritten hatten, verließen Russland schließlich, um niemals zurückzukehren. Vor ihnen lagen viele Jahre, in der sie durch fremde Länder zogen, auf der Suche nach einer neuen Heimat. 

Die meisten Anhänger von Goldman wandten sich von ihr ab, weil sie sich weigerte, den Bolschewiki zu folgen. Die „Rote Emma“ verfolgte dennoch weiter ihre eigenen politischen Ziele. Emma Goldman starb am 14. Mai 1940 in Toronto. 

Die US-Regierung schloss daraufhin Frieden mit ihrem alten Feind und erlaubte, dass Goldmans sterbliche Überreste auf US-amerikanischem Boden ruhen durften. Auf ihrer letzten Ruhestätte in Forest-Park, Illinois, ist eines ihrer berühmten Zitate im Grabstein eingraviert: „Die Freiheit wird nicht zu einem Volk herabsteigen, ein Volk muss sich zur Freiheit erheben.“