Gefährliche Strahlung: Wie die Sowjets mit Atomexplosionen die Wirtschaft ankurbeln wollten

Das Nationale Nuklearzentrum in Kurtschatow

Das Nationale Nuklearzentrum in Kurtschatow

Alexander Lyskin/Sputnik
Ebenso wie die USA setzte auch die Sowjetunion Atomkraft zu industriellen Zwecken ein. Diese Experimente hatten noch lange schädliche Folgen.

1965 startete die UdSSR das Programm „Nukleare Explosionen für die Volkswirtschaft". Die gefährlichste Waffe der Welt sollte zu zivilen, industriellen Zwecken eingesetzt werden. Das Ziel war es, durch 124 kontrollierte unterirdische Explosionen künstliche Grundwasserreservoirs zu schaffen und Kanäle zu bauen sowie Minen für den Abbau wertvoller Bodenschätze. Man nahm an, eine Atomexplosion im Untergrund würde an der Oberfläche keine Umweltkatastrophe durch Strahlenschäden auslösen. 

Die Sowjets waren nicht die einzigen (und nicht einmal die ersten), die Atomwaffen für zivile Bauprojekte einsetzten. 1957 hatten die Vereinigten Staaten das „Project Ploughshare“ (zu Deutsch „Projekt Pflugschar“) gestartet. 27 Mal wurden in den USA nukleare Sprengungen zu industriellen Zwecken durchgeführt.  Das Programm endete 1973.

Abgesehen von der Nutzung ihres vorhandenen nuklearen Arsenals entwickelte die UdSSR spezielle „saubere“ Sprengladungen mit geringerer Radioaktivität. 

Die erste unterirdische industrielle Atomexplosion wurde am 15. Januar 1965 im Flussbett des Tschagan in Kasachstan durchgeführt. Dabei entstand ein Trichter von 500 Metern Durchmesser und 100 Metern Tiefe und somit ein künstlich geschaffenes Grundwasserreservoir. „Der ‚wundersame See‘ war ein beängstigender Anblick, nicht so sehr in Bezug auf die Strahlung, die im Fluss reichlich vorhanden war, sondern auch weil der Boden um ihn herum, der eine Ansammlung aufgeworfener Klumpen aus dem Erdinneren war, schwarz und leblos aussah“, erinnerte sich der Atomphysiker Wiktor Michailow nach einem Besuch am Grundwasserreservoir nach der Explosion. 

Diese „Seen“ sollten als Wasserquellen für die Landwirtschaft dienen (für die Bewässerung, Viehzucht usw.). Allein auf dem Territorium Kasachstans waren 40 solcher Stauseen geplant.

Über Jahre wurden die Auswirkungen der Verschmutzung auf Flora und Fauna des Tschagan-Sees untersucht. Etwa 36 Fischarten (einschließlich Amazonas-Piranhas!) sowie 150 Pflanzenarten, Dutzende Arten von Weichtieren, Amphibien, Reptilien und Säugetieren wurden in den See eingebracht. 90 Prozent überlebten jedoch nicht, während die übrigen eine Vielzahl von Mutationen entwickelten. Fischer haben einmal einen riesigen Süßwasserkrebs gefangen. Er wog 34 Kilogramm. Zehnmal so viel wie für diese Krebse normal ist. 

Heute wird der Tschagan-See von der kasachischen Regierung als einer der Orte aufgeführt, an denen die Atomtests besonders negative Folgen gehabt haben. Die Radioaktivität im Wasser überschreitet die Grenzwerte um das Hundertfache und macht es für den landwirtschaftlichen Gebrauch ungeeignet und insbesondere auch als Trinkwasser. Dies hindert die Einheimischen jedoch nicht daran, den See als Wasserquelle für ihr Vieh zu nutzen.

See Jadernoe

Ein etwas barmherzigeres Schicksal ereilte ein anderes künstliches Wasserreservoir. Der Yadernoe-See (übersetzt „Nuklearsee“) im Norden der Region Perm im Ural ist weitaus harmloser als der Name vermuten lässt. Die Strahlung bewegt sich hier innerhalb akzeptabler Grenzwerte. Der See ist bei einheimischen Fischern und Pilzsammlern beliebt.

Nicht jede industrielle Atomexplosion in der UdSSR verlief wie geplant. Es gab einige Fälle, in denen radioaktive Stoffe an die Oberfläche gelangten. Der bekannteste dieser Unfälle ist das Projekt „Globus-1“, das als „Iwanowo Hiroshima“ in die Geschichte eingegangen ist. Am 19. September 1971 führte im zentralen Teil Russlands, nur 363 Kilometer vom Roten Platz entfernt, eine unterirdische Detonation an den Ufern des Flusses Schachi dazu, dass die gesamte Umgebung kontaminiert wurde. In den nahegelegenen Städten und Dörfern der Region Iwanowo erkrankten danach viele Menschen an Krebs. Die Behörden bemühten sich um Schadenbegrenzung und ließen das verseuchte Ufer abtragen. Doch noch bis Mitte der 2010er Jahre galt die Gegend als hochtoxisch. 

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen war es unmöglich, eine radioaktive Kontamination von Mineralminen und der Umwelt beim Einsatz nuklearer Sprengstoffen für industrielle Zwecke zu vermeiden. Daher wurde  das Programm 1988 beendet. Dank einer Reihe internationaler Abkommen ist diese Technik heute weltweit verboten.

>>> Unterirdische Atomwaffentests: Wie die UdSSR ihre nuklearen Bomben testete

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