Der Mann in der Mitte: Viktor Suchodrew war die englische Stimme der UdSSR

Richard Nixons Besuch in der UdSSR. Suchodrew befindet sich in der Mitte zwischen dem US-Präsidenten Richard Nixon und dem sowjetischen Generalsekretär der KPdSU Leonid Breschnew.

Richard Nixons Besuch in der UdSSR. Suchodrew befindet sich in der Mitte zwischen dem US-Präsidenten Richard Nixon und dem sowjetischen Generalsekretär der KPdSU Leonid Breschnew.

Getty Images
Von Dwight Eisenhower bis Ronald Reagan: Der sowjetische Dolmetscher Viktor Suchodrew kannte sie alle. Bei den Verhandlungen der Supermächte saß er stets mit am Tisch und übersetzte.

Als Nikita Chruschtschow im September 1959 in die USA kam, war er der erste sowjetische Führer, der Amerika besuchte. Das sorgte in dem Land, das der größte Gegner der UdSSR im Kalten Krieg war, für einiges Aufsehen.

Unter anderem wurde der exzentrische sowjetische Führer durch Los Angeles gefahren. Vom Auto aus betrachtete er sich die gepflegten Vorgärten und Wohnhäuser. Er wandte sich seinem Begleiter, Henry Cabot Lodge, US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, zu und sagte: „Das ist alles sehr ordentlich angelegt, es ist sauber und die Menschen sehen glücklich aus. Aber wir werden euch Kusmas Mutter vorstellen…“ 

Nikita Chruschtschow in den USA im September 1959

Anfang desselben Jahres, am 24. Juli 1959, war in Moskau die American National Exhibition eröffnet worden. Dort sagte der impulsive sowjetische Führer in der Hitze eines Wortgefechts mit dem damaligen US-Vizepräsidenten Richard Nixon ebenfalls: „Wir werden Ihnen Kusmas Mutter vorstellen.“ Dieser Ausdruck bezeichnet eine nicht näher genannte Bedrohung, er bedeutet so viel wie: „Wir werden es euch zeigen“ oder „Wir werden euch fertig machen“. Der damalige Dolmetscher übersetzte es jedoch wörtlich als „Kusmas Mutter“.  

Das passierte Viktor Suchodrew, dem Dolmetscher, der den Sowjetführer auf dessen USA-Reise im September begleitete, nicht. Viktor hatte seine Hausaufgaben nach der Debatte zwischen Nixon und Chruschtschow in Moskau gemacht. „Ich habe alle Wörterbücher durchforstet. Dieser Ausdruck ist schon sehr extrem. Ich habe nach einem Äquivalent gesucht. Nach etwas wie: ‚Wir treten euch in den Hintern‘ oder ‚Wir bereiten euch die Hölle‘“, erzählte der Dolmetscher. 

Als Nikita Chruschtschow im September 1959 nun durch Los Angeles chauffiert wurde und Kusmas Mutter erwähnte, wandte er sich plötzlich an Suchodrew und sagte: „Als ich mit Nixon auf der Ausstellung war, wurde es [der Satz] falsch übersetzt. Es ist ganz einfach. Es bedeutet: Wir zeigen Ihnen etwas, was Sie noch nie zuvor gesehen haben.“ 

„Ich erstarrte für einen Moment: Ich hatte diese Interpretation des Ausdrucks in keinem Wörterbuch gelesen“, erinnerte sich Suchodrew. Chruschtschow hatte einfach eine neue Bedeutung für den bekannten Volksspruch erfunden. 

Mit den Jahren sollte sich Viktor Suchodrews durch seine Professionalität, seine Schlagfertigkeit und sein persönliches Charisma nicht nur unter den sowjetischen Führern Freunde machen, sondern auch bei den Vereinten Nationen, im Außenministerium und sogar im Weißen Haus.  

>>> Wie Chruschtschow und Nixon in einer amerikanischen Küche aneinander gerieten

Ein glücklicher Zufall 

Viktor Suchodrew mit Jimmy Carter (l) und Leonid Breschnew (r), 1979

In gewisser Weise war Viktor Suchodrew dazu bestimmt, Karriere in der Außenpolitik zu machen. Er war in London aufgewachsen, wo seine Mutter bei der sowjetischen Handelsmission arbeitete. Bei seiner Rückkehr in die Sowjetunion sprach Suchodrew Englisch so gut wie seine Muttersprache. Er wurde vom Englischunterricht an der sowjetischen Schule freigestellt. Später schrieb er sich am Institut für Fremdsprachen ein, wo er auch Französisch studierte.

Ein glücklicher Zufall trug dazu bei, das Suchodrews Karriere ihre steile Fahrt aufnahm und er bald die englische Stimme der Sowjetunion wurde in den Beziehungen der UdSSR zu ihren größten Gegnern im Kalten Krieg. 

„1955 reiste eine Delegation von Immobilienexperten unter der Leitung des Bauministers nach England. Ich habe bei einem Mann studiert, dessen Vater im Bauministerium gearbeitet hat. Er erzählte seinem Vater von mir und ich, ein Student im fünften Jahr, wurde Mitglied der Delegation. Dies war meine erste Erfahrung als offizieller Übersetzer“, sagte Suchodrew. 

Schon bald tauchte Suchodrews auf dem Radar des sowjetischen Top-Dolmetschers Oleg Trojanowski auf, der früher mit Stalin, Molotow und Gromyko zusammengearbeitet hatte. Er suchte einen Nachfolger und befürwortete die Bewerbung des jungen Dolmetschers. Suchodrew bekam eine Stelle im sowjetischen Außenministerium.

„Der Mann in der Mitte“  

Viktor Suchodrew, der sowjetische Außenminister Andrei Gromyko und Nikita Chruschtschow

Immer mehr hochrangige Beamte erfuhren von seiner Professionalität und seiner natürlichen Begabung, vom Russischen ins Amerikanische oder Britische Englisch zu übersetzen. Der virtuose Dolmetscher erlebte sieben US-Präsidenten und fünf sowjetische Führer. Im State Department und im Weißen Haus war er eine bekannte Persönlichkeit, viel bekannter als die ständig wechselnden sowjetischen Delegationsmitglieder. 

Für Suchodrew bedeutete Vertrautheit oft Vertrauen, wenn nicht Freundschaft. Richard Nixon genügte es sogar, Suchodrew als einzigen Dolmetscher im Raum zu haben und er verzichtete auf US-Übersetzer. 

Trotz dieser freundlichen Haltung gegenüber vielen US-Präsidenten hatte Viktor Suchodrew seinen Favoriten: „Ich habe viele ausländische Präsidenten und Premierminister getroffen. Aber Kennedy hat mich am meisten beeindruckt“, erzählte (rus) er. Suchodrew dolmetschte während der Gespräche zwischen John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow im Juni 1961 in Wien.  

US-Präsident John F. Kennedy und der sowjetische Generalsekretär Nikita Chruschtschow am 4. Juni 1961 in Wien

Dies ist ein ziemlich seltsames Eingeständnis, da Kennedy sich an die Gespräche als Katastrophe erinnerte: „Das Schlimmste in meinem Leben, sagte (eng) Kennedy später einem Reporter der New York Times. „Er [Chruschtschow] hat mich genervt.“ Vielleicht scheiterte Kennedys Wunsch, den älteren und erfahreneren sowjetischen Führer zu beeindrucken, einfach an Chruschtschows Dolmetscher. 

Während seiner langen Karriere traf Suchodrew persönlich so viele Machthaber, die das 20. Jahrhundert prägten, dass nur wenige andere Menschen diesen Rekord brechen konnten. Neben sieben US-Präsidenten traf er auch die ehemalige indische Premierministerin Indira Gandhi und einige britische Premierminister.

Doch Suchodrew stand nicht immer nur im Hintergrund mächtiger Männer. Er wurde selbst internationaler Diplomat, arbeitete ab 1989 als Sondergesandter des UN-Generalsekretärs und anschließend als Direktor der Abteilung für Angelegenheiten des Sicherheitsrates, dem mächtigen UN-Gremium.  

Wiktor Suchodrew ging 1994 in den Ruhestand und kehrte von New York in ein neues und  unabhängiges Russland zurück, ein ganz anderes Land als das, was er zurückgelassen hatte.

Der renommierte Dolmetscher, Diplomat und Freund vieler großer Männer des 20. Jahrhunderts verstarb 2014 im Alter von 81 Jahren in seinem Haus außerhalb von Moskau. In der Trauer um ihn waren Russland und die USA einen seltenen Moment vereint (eng)

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!