Warum eine SS-Brigade zu sowjetischen Partisanen überlief

Soldaten der Nationalen Befreiungsarmee Russlands

Soldaten der Nationalen Befreiungsarmee Russlands

Archivfoto
Die Sowjetführung wusste im Zweiten Weltkrieg zunächst nicht, wie sie mit der Druschina-SS-Brigade umgehen sollte. Die ehemaligen Kollaborateure hatten den Weg zurück an die Seite der Sowjetunion gefunden. Das Problem löste sich schließlich auf tragische Weise von selbst.

Während des Zweiten Weltkriegs zählten Kollaborateure zu den schlimmsten Feinden der UdSSR. Die Soldaten der Roten Armee erschossen sie häufig sofort.

Aber manchmal erhielten sie die Möglichkeit, „ihre Schuld mit Blut zu büßen“. Tatsächlich wurden besondere Anstrengungen unternommen, um Kollaborateure dazu zu bringen, die Seite zu wechseln und sich wieder den sowjetischen Streitkräften anzuschließen. Manchmal liefen nur einzelne Soldaten über, gelegentlich jedoch auch ganze Einheiten. Der bekannteste Fall eines Seitenwechsels ist der der SS-Brigade Druschina, die sich sowjetischen Partisanen anschloss. 

Strafbataillon 

Oberst Konstantin Kromiadi (in der Mitte), Oberst Wladimir Gil (neben ihm) und Offiziere der Druschina-Brigade

Wie andere kollaborative Einheiten führte die 1. Russische Nationale SS-Brigade, auch bekannt als Druschina-Brigade, hauptsächlich Operationen gegen Partisanen und Strafaktionen gegen die Zivilbevölkerung in den von Deutschland besetzten Gebieten durch.

Der Kern der Brigade bestand aus ehemaligen sowjetischen Soldaten, die von den Deutschen gefangen genommen worden waren und sich freiwillig zur Zusammenarbeit mit den Nazis gemeldet hatten. Das Gleiche gilt für seinen Kommandanten Wladimir Gil (der das Pseudonym Rodionow annahm), der einst Oberstleutnant der Roten Armee war. Darüber hinaus hatte die Einheit eine Reihe von ehemaligen Angehörigen der Weißen Armee in ihren Reihen, die beschlossen hatten, sich an den Bolschewiki für ihre Niederlage im Bürgerkrieg zu rächen.

Die Druschina-Brigade war dafür bekannt, grausame Strafexpeditionen auf dem Territorium von Weißrussland durchzuführen. Sie brannten Dörfer nieder, erschossen Zivilisten und rekrutierten Zwangsarbeiter. Die Deutschen waren überzeugt, dass die Russen in der SS-Einheit nach diesen blutigen Taten niemals mehr auf Seiten der Sowjetunion kämpfen würden. 

Tatsächlich war die Stimmung innerhalb der Brigade zu dieser Zeit eher gedrückt. Man war schockiert, wie schlecht sich die deutsche Armee in der Schlacht von Kursk geschlagen hatte. 

Gil vernachlässigte zudem immer mehr seine Führungsrolle und verfiel den Frauen, dem Kartenspiel und der Trunksucht. Daraufhin überlegten einige Offiziere heimlich, sich wieder der UdSSR zuzuwenden. Andere forderten die Deutschen offen auf, den Kommandanten abzulösen. Die sowjetischen Partisanen beschlossen, sich diese Unzufriedenheit innerhalb der Einheit zunutze zu machen. 

Propaganda-Aktion  

Wenn zu Beginn des Krieges gefangene Kollaborateure noch größtenteils als Verräter an Ort und Stelle erschossen wurden, war nach 1942 geplant, durch Propaganda die Moral innerhalb der von den Deutschen in den besetzten Gebieten geschaffenen Einheiten aus sowjetischen Bürgern zu untergraben, und, wenn möglich, sie dazu zu bringen, die Seite zu wechseln.

Die Druschina-Brigade wurde von Mitgliedern des Untergrunds und von Agitatoren infiltriert und mit Propagandaliteratur und Flugblättern geradezu bombardiert. Die Partisanen sandten auch persönliche Nachrichten an jeden der Druschina-Offiziere und forderten sie auf, „sich mit ihrem Blut zu erlösen“.

Wladimir Gil

Ein Überlaufen zu den Partisanen war durchaus nicht ungewöhnlich. Im November 1942 tötete eine der 75 Kompanien der Brigade, die eine Brücke über den Fluss Drut bewachte, 30 deutsche Soldaten und floh in die Wälder, wo sie sich den Partisanen anschloss. 

Im Sommer 1943 waren Gil und die meisten seiner Soldaten soweit, wieder für die UdSSR zu kämpfen.   

Seitenwechsel 

Am 16. August wurden bei einem geheimen Treffen auf neutralem Gebiet zwischen Gil und den Partisanenführern die Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Allen (mit Ausnahme der ehemaligen Angehörigen der Weißen Armee) wurde Immunität versprochen, eine Chance, sich in ihrem Mutterland zu rehabilitieren, die Wiedereingliederung in die Armee und die Möglichkeit, Kontakt zu ihren Familien aufzunehmen. Gil bestand darauf, dass er weiterhin die Einheit befehligen würde.

Noch am selben Tag wechselte die Brigade zur sowjetischen Seite. In Begleitung von Offizieren und loyalen Soldaten ging Gil von einem Dorf zum anderen und überzeugte die Druschina-Kämpfer davon, dass die Deutschen sie getäuscht hatten. Sie hätten kein „neues Russland“ schaffen wollen, sondern hätten ausschließlich das Ziel gehabt, „das russische Volk zu versklaven“.

Infolgedessen schlossen sich am 16. August 1943 insgesamt 1.175 bewaffnete Druschina-Kämpfer den Partisanen an. Später kamen weitere 700 Soldaten hinzu.

So hörte die 1. Russische Nationalbrigade, die Druschina-Brigade, auf zu existieren. An ihre Stelle trat die 1. antifaschistische Partisanenbrigade unter der Führung von Gil. 

Darüber hinaus wurde die Einheit durch rund 400 Partisanen und politische Arbeiter verstärkt. Alle Mitglieder wurden von Sicherheitsbeamten überprüft, die 23 deutsche Geheimdienstagenten unter ihnen identifizierten.

Sowjetische Partisanen in Belarus

Die Beziehungen zwischen den ehemaligen SS-Männern und den Partisanen waren nicht immer einfach.

Trotzdem kämpften die neuen „Antifaschisten“ tapfer und hart und versuchten tatsächlich, ihre Schuld, die Zusammenarbeit mit den Deutschen, mit ihrem Blut zu büßen. Gil war dennoch unsicher, welches Schicksal ihn wohl nach dem Krieg erwarten würde. 

Er hätte sich keine Sorgen machen müssen. Vor allem zu Propagandazwecken wurde Wladimir Gil am 16. September 1943 zum Oberst befördert und mit dem Orden des Roten Sterns ausgezeichnet, ebenso wie viele weitere ehemalige Brigademitglieder unter den Partisanen mit Auszeichnungen geehrt wurden. 

Das Ende 

Im April 1944 starteten die Deutschen eine groß angelegte Operation gegen die Partisanen, darunter auch gegen die 1. Antifaschistische Brigade, im Gebiet Polozk-Lepiel. Gils Einheit hatte Verluste von mehr als 90 Prozent zu beklagen. Der Kommandant selbst wurde am 14. Mai in der Schlacht getötet.

Auch nach seinem Tod hatte Wladimir Gil keine Repressalien zu befürchten. Seine Familie erhielt von 1941 bis 1944 posthum weiterhin seinen Sold als Offizier der Roten Armee.

Erwähnung von Oberst Wladimir Gil auf dem Durchbruch-Gedenkkomplex

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