Meinung: Die Preise in Russland von früher und heute lassen sich nicht vergleichen

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War früher das Geld mehr wert – oder umgekehrt? Welche Güter oder Werte können wir anführen, um die finanzielle Situation der Menschen in der Vergangenheit zu verstehen?

Waren die russischen Zaren reich? Wie lebte der russische Adel? Welcher Luxus stand ihnen zur Verfügung und wie viel war dieser wert? Das sind Fragen, die jeder Historiker beantworten muss, wenn er über das Leben in der Vergangenheit spricht. Aber es reicht nicht aus, einfach zu schreiben „Ein Anzug hat vierzig Rubel gekostet“ – denn wir kennen die Kaufkraft dieser Rubel nicht und müssen die Wertangabe an die heutige Zeit „umgerechnet“. Ich glaube, dass eine solche „Umrechnung“ unmöglich ist, da der Wert des Geldes nicht losgelöst von der wirtschaftlichen Situation beurteilt werden kann. Und diese war in der Vergangenheit grundlegend anders.

Rubel der Moskauer Zaren

Die Vergangenheit umfasst viele verschiedene Epochen und der Rubel des Moskauer Zarenreiches des 17. Jahrhunderts und der Rubel unter Katharina II. Haben einen völlig unterschiedlichen Wert. Außerdem muss zwischen Silber- und Kupfergeld im Moskauer Zarenreich unterschieden werden: Silbermünzen waren für den Handel mit dem Westen bestimmt, Kupfermünzen dagegen für das Inland, und die Kupfermünzen verloren sehr schnell an Wert (1662 bekam man 15 Kupfermünzen für eine Silberkopeke). Das führte schließlich zum so genannten Kupferaufstand von 1662). Unter Katharina II. wurde in Russland das Papiergeld eingeführt. Ab diesem Zeitpunkt muss also auch noch der Wertunterschied zwischen den Banknoten und den Silbermünzen berücksichtigt werden.

Moskauer Münzen des 17. Jahrhunderts

Um sich nicht in Details zu verlieren, versucht man üblicherweise den Preis einer Sache, zum Beispiel, mit dem Preis für 1 kg Kartoffeln oder Fleisch zu vergleichen. Aber bei einem solchen Vergleich muss der Kontext berücksichtigt werden: Vor der Ära von Katharina II. waren beispielsweise Kartoffeln in Russland noch kaum bekannt, so dass man eine andere Ware zum Vergleich wählen muss. Die Preisgestaltung für Fleisch in der vorindustriellen Zeit, in der es keine modernen Schlachthöfe gab, war völlig anders – Fleisch wurde von den einfachen Familien  nur sehr selten, z.B. an Feiertagen, konsumiert und Kühe wurden von den Bauern für die Milch-, aber nicht  die Fleischgewinnung gehalten. Mit einem Wort: Die Preise aus der Vergangenheit sind sehr relativ. Manchmal stehen uns nicht einmal alle Informationen über die Preisbildung zur Verfügung.

Wir können versuchen, den Lebensstandard in absoluten Werten zu vergleichen. Wir wissen zum Beispiel, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine arme Bauernfamilie etwa 30 - 50 Rubel pro Jahr ausgab – ein Rubel war für eine solche Familie viel wert. Ein solcher Bauer musste zum Beispiel ein oder sogar mehrere Jahre für ein neues Pflugpferd sparen. Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass Geld in dieser Zeit viel leichter zu verlieren war.

100-Rubel-Banknote aus der Regierungszeit von Katharine II.

Vor dem Aufkommen von Banknoten und Wertpapieren war das in staatlichen Münzprägeanstalten aus Edelmetallen geprägte Geld nicht durch eine „Goldreserve“, sondern durch seinen eigenen Wert gesichert und war deshalb viel häufiger als heute Gegenstand von Diebstählen. Wenn ein Bauer auf den Basar ging, um ein neues Pferd zu kaufen, trug er oft seine gesamten Ersparnisse in einer kleinen Tasche mit sich. Wurde er auf dem Markt ausgeraubt oder von einem Verkäufer betrogen, wurde er praktisch zum Bettler. Übrigens war es die Unfähigkeit der meisten Leibeigenen, finanzielle Angelegenheiten zu regeln, was sie sehr stark an „ihren“ Gutsherrn band, der seinen Leibeigenen bei Transaktionen und geschäftlichen Angelegenheiten helfen konnte.

Auch die Gutsherren selbst waren oft nicht geschickt in finanziellen Dingen. Nach der Abschaffung der Leibeigenschaft und der Einführung der Ablösezahlungen durch den Staat hatten die Gutsherren Wertpapiere erhalten – fünfprozentige Einlösungsscheine zu den Ablösekrediten für die Güter, auf denen ehemalige Leibeigene  gearbeitet hatten.

Um die Zinsen für diese Wertpapiere zu erhalten, musste der Grundbesitzer den Einlösungsschein bei der Staatlichen Schatzkammer vorlegen. Auch konnte er den Schein einlösen und in Banknoten umtauschen. Der Staat gab den Gutsherren ein Finanzinstrument in die Hand, mit dem sie an der Börse handeln und ihren Reichtum vermehren konnten. Da die meisten russischen Adligen aber nicht wussten, wie sie damit umgehen sollten, ließen sie sich einfach alle ihre Einlösungsscheine auszahlen und verarmten recht schnell – von einem solchen Adligen handelt Tschechows Stück Der Kirschgarten.

10-Rubel-Goldmünze von Zar Nikolaus II.

Ein halbes Jahrhundert später herrschte in den ersten Jahren des bolschewistischen Russlands ein regelrechtes Finanzchaos – der Staat verbot den Besitz von Edelmetallen und Devisen und begann, sie der Bevölkerung zu entziehen. Das Geld verlor schnell an Wert und Anfang der Zwanzigerjahre wurde das Land von einer Hyperinflation erfasst. Erst in den Jahren 1922 - 1924 gelang es, den Geldumlauf zu stabilisieren. Im Laufe des 20. Jahrhunderts erlebte das Land eine Reihe von Währungsreformen des Rubels – so war das sowjetische und postsowjetische Geldsystem nicht weniger chaotisch und schwierig als im zaristischen Russland.

Es ist also eine komplexe Aufgabe, heutige und vergangene Preise zu vergleichen, um den Lebensstandard der Menschen in der Vergangenheit zu beurteilen. Dafür sollten nicht nur die Preise und Löhne, sondern auch die allgemeine Verfügbarkeit und der Wert des Geldes in den einzelnen Epochen betrachtet werden.

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