Nur eine Woche bevor Nikita Chruschtschows Herrschaft an der Spitze der Sowjetunion 1964 zu Ende ging, genehmigte er die Entscheidung, ein 17 Hektar großes Grundstück im Zentrum Jerusalems, das dem Moskauer Patriarchat gehörte, gegen Jaffa-Orangen im Wert von 3,5 Millionen Dollar zu tauschen.
In der Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit.
Legion MediaIn russischer Hand blieb die Dreifaltigkeitskirche, ein Wahrzeichen Jerusalems, mit ihren grünen Kuppeln und vier achteckigen Glockentürmen, und ein weiteres Gebäude. Da Israel damals nicht ausreichend harte Währung hatte, wurde mit Orangen bezahlt. Der Verkauf ist noch immer umstritten, da Russland ein erstklassiges Grundstück im Heiligen Land für die Anhänger von drei der wichtigsten Religionen des Landes verlor.
Der russische Komplex von Jerusalem.
Legion MediaNeben der Kirche beherbergte das einst von einer Mauer umgebene russische Viertel unter anderem ein russisches Konsulat, Männer- und Frauenwohnheime, ein Krankenhaus und eine orthodoxe Mission. Im Jahr 2021 befinden sich dort das Jerusalemer Bezirksgericht, das Polizeipräsidium und teils sogar Nachtclubs. Einige Teile des Viertels sind nun wieder in russischer Hand (lesen Sie unten mehr darüber).
In der Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit.
Legion MediaSeitdem Russland das orthodoxe Christentum angenommen hatte, gehörte eine Pilgerreise ins Heilige Land zu den größten Wünschen vieler Gläubiger. Die osmanische Kontrolle über Palästina erschwerte dies. Im Jahr 1844 gestatteten die Osmanen dem ersten orthodoxen Archimandriten Russlands, in Jerusalem zu leben.
Russische Pilger.
The Library of CongressAnderthalb Jahrzehnte später, nachdem Russland in einem Machtspiel mit den Franzosen um die Kontrolle der orthodoxen Stätten im Heiligen Land den Kürzeren gezogen hatte, nutzte Zar Alexander II. seine guten Beziehungen zu den Osmanen, um ein russisches Konsulat in Jerusalem zu errichten.
Das Russian Compound ist eine von mehreren Gemeinden, die ab den 1860er Jahren außerhalb der ursprünglichen Stadtmauern Jerusalems errichtet wurden.
Michael Maslan/Corbis/VCG/Getty Images/Legion MediaIm Jahr 1860 wurde die kaiserlich-orthodoxe Palästina-Gesellschaft gegründet, deren Ziel es war, Pilger aus Russland zu betreuen. Die Pilgerreisen wurden von Alexander II. gefördert. In den nächsten Jahren wurde unter der Schirmherrschaft des Zaren ein Grundstück außerhalb der Altstadt Jerusalems erworben. Das „russische Viertel“ entstand.
Das Herzstück dieses russischen Viertels war die Dreifaltigkeitskathedrale, die 1872 eingeweiht wurde. Sie erinnert an die großen Kathedralen von St. Petersburg. Das Mittelschiff und die Seitenschiffe der Dreifaltigkeitskathedrale sind in einem Blauton mit hellrosa Akzenten gehalten und stellen das Pantheon der orthodoxen Heiligen dar.
Osterfeiern auf dem russischen Gelände, Ende des 19. Jahrhunderts.
F.M.TimonDas russische Konsulat vereint Elemente der europäischen und der lokalen Architektur. Das wichtigste Gebäude in der Anlage nach der Hauptkathedrale war jedoch die Duhovnia. Sie beherbergte die russisch-orthodoxe Kirchenmission, wurde aber ursprünglich als Hospiz im Jahr 1863 gebaut. Der Name bedeutet übersetzt „geistlich“ oder „kirchlich“. Zu dem Bau gehört eine eigene Kapelle.
Ein weiteres beeindruckendes Bauwerk ist der Sergei-Hof (fertiggestellt 1889), benannt nach Großfürst Sergei, dem Bruder von Zar Alexander III. Das Gebäude mit einem Turm im Renaissance-Stil diente als Hospiz für russische Aristokraten.
Sergej-Hof der Imperial Orthodox Palestine Society in Jerusalem, 1889.
F.M.TimonDas russische Viertel wurde bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs staatlich gefördert, als sich Russland und das Osmanische Reich plötzlich als Gegner gegenüberstanden. Die osmanischen Behörden vertrieben die Russen nach Ausbruch des Krieges schnell aus dem Viertel.
Russischer Konsul im russischen Compound Jerusalem.
The Library of Congress1918 übernahmen die Briten die Kontrolle über Palästina. Die neuen Machthaber nutzten das russische Viertel als einen der Stützpunkte für das britische Mandat. In den nächsten drei Jahrzehnten wurden die Bauten dort als Gerichtsgebäude, Gefängnisse und Regierungsbüros genutzt.
Das gesamte Viertel und die umliegenden Straßen wurden zu einer zentralen Sicherheitszone umfunktioniert und mit einem Stacheldrahtzaun versehen. Zyniker nannten das Gebiet „Bewingrad“, eine Kombination aus dem Namen des britischen Außenministers Ernest Bewin (der Holocaust-Überlebenden die Einreise nach Palästina verweigert hatte) und Stalingrad (für die Art und Weise, wie die Stadt während des Zweiten Weltkriegs die Stellung hielt).
Neues Jerusalem und Vororte. Das Städtische Krankenhaus im russischen Komplex.
The Library of CongressDie Anlage wurde während des Palästinakrieges 1947-49 von jüdischen Paramilitärs erobert. Die israelischen Behörden beschlossen, das gesamte russische Eigentum im Land an die Sowjetunion zurückzugeben, nachdem diese den Staat Israel anerkannt hatte.
Die Sowjetunion legte wenig Wert auf das, was später zu einer der teuersten Gegenden im Nahen Osten werden sollte. Da Religion in der UdSSR verpönt war, sahen die Behörden wenig Sinn darin, das Gelände zu behalten und tauschten dieses wichtige und historische Gebiet gegen Orangen ein.
Die israelische Regierung nutzte das Viertel ebenfalls als Verwaltungsstandort. Noch heute beherbergt das Duhovnia die unteren Gerichte Jerusalems und ein Amtsgericht.
Der russische Komplex von Jerusalem.
Legion MediaMit der kaiserlich-orthodoxen Palästina-Gesellschaft, die dort ein Büro unterhielt, blieb eine winzige russische Präsenz nach dem Verkauf 1964 auf dem Gelände. In der Ära des Kalten Krieges betrachtete der israelische Geheimdienst diese Gesellschaft mit großem Misstrauen und Medienberichte deuteten an, dass die Mitglieder tatsächlich KGB-Agenten waren.
Russisch-jüdische Einwanderer in Israel frequentierten die Restaurants und Bars in der Gegend, in denen es Nachtclubs mit Namen wie „Glasnost“ gab und neuerdings auch „Putin“. Das Gelände wird bald einen neuen, hochmodernen Campus der Bezalel Academy of Arts and Design beherbergen.
Im Jahr 2008 stimmte Israel zu, den Sergei-Hof an Russland zurückzugeben. Im Laufe der Jahrzehnte hat er als Büros für verschiedene israelische Ministerien gedient. Die russische Regierung plant, den Hof wieder seinem ursprünglichen Zweck zu widmen, als Herberge für Pilger. Moskau möchte noch mehr Land kaufen, aber es ist unwahrscheinlich, dass noch einmal mit Orangen bezahlt wird.
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.
Abonnieren Sie
unseren kostenlosen Newsletter!
Erhalten Sie die besten Geschichten der Woche direkt in Ihren Posteingang!