Zu Sowjetzeiten war die Fabrikanlage „Krasnoje Sormowo" in Gorki (heute Nischni Nowgorod) ein Gelände mit beschränktem Zugang. Dort wurden militärische Wasserfahrzeuge, darunter auch Atom-U-Boote, gebaut. An einem Sonntag, dem 18. Januar 1970, arbeitete man in Krasnoje Sormowo an drei U-Booten: K-320 Skat, K-302 Som und K-308 Syomga. Die Spezialisten mussten bis zum 22. April - dem hundertsten Geburtstag von Wladimir Lenin – auf alle Fälle mindestens eines drei U-Boote fertigstellen. Aus diesem Grund wurde auch am Wochenende gearbeitet. Eine wichtige Tätigkeit stand auf dem Plan: Die Überprüfung, ob der primäre Kühlkreislauf dem Betriebsdruck von 250 Atmosphären standhalten würde. Der Reaktor selbst brauchte nicht eingeschaltet zu werden. Die Schicht, die am Vortag gearbeitet hatte, hatte die Plastikstopfen auf dem Kreislaufdeckel gelassen. Sie hätten gegen Metallstopfen ausgetauscht werden müssen, um eine vollständige Abdichtung zu gewährleisten. Die Arbeiter wussten nichts davon und begannen den Test trotzdem.
Als sich Druck aufbaute, fielen die schwachen Plastikstopfen ab. Dies führte zu einem abrupten Abfall des Kühlwasserdrucks im Kreislauf und die Graphitstäbe des Reaktors begannen sich zu verschieben. Daraufhin setzte eine Kernreaktion ein, die bald ihre maximale Stärke erreichte. Die Temperatur stieg und verwandelte einen Teil des Wassers in radioaktiven Dampf. Fünfzehn Minuten später kam es zu einer starken thermischen Explosion, durch die die Reaktorluke hochflog und ein Loch in das Dach des betreffenden Anlagenteils schlug.
Die Luke wurde im Frühjahr, als der Schnee endlich geschmolzen war, einige Kilometer entfernt gefunden. Ein Teil des Urans trat aus dem Reaktor aus und verursachte eine 60 Meter hohe Rauchwolke, die nach der Explosion aufstieg. Witali Wojtenko, der an den Aufräumarbeiten beteiligt war, erinnerte sich daran, dass die Luft klar und windstill war. Die Temperatur lag bei bis zu -40 °C, so dass die Rauchwolke vollständig auf dem Gelände von Krasnoje Sormowo niederging.
Die Fabrikarbeiter nahmen die Situation zunächst nicht ernst. Niemand wusste, was wirklich passiert war. Nina Solina, die in der Fabrik als Malerin arbeitete, erinnerte sich, dass ihr Team aufgefordert wurde, den Arbeitsplatz zu verlassen, weil eine Heißwasserleitung geplatzt sei. Das Militär hatte die Situation schnell unter Kontrolle. Ein näher gelegener Stützpunkt hatte einige Stunden vor dem Unfall eine Brigade von Technikern zur Dosisüberwachung unter der Leitung von Walentin Dneprowski entsandt. Nur diese trugen Chemikalienschutzanzüge. Dneprowski selbst maß trotz des Risikos überall im U-Boot den Grad der Radioaktivität. Anschließend wurden sechs Spezialisten, die zum Zeitpunkt der Explosion am U-Boot Skat arbeiteten, dekontaminiert und in eine Klinik nach Moskau gebracht. Drei von ihnen starben dort. Ihre ärztlichen Atteste besagten, dass ihre Beschwerden durch Gamma- und Betastrahlen verursacht wurden.
Am Montag bemerkte Anatoli Alexandrow, dass die Tür der betroffenen Abteilung versehentlich offenstand. Als dann der verschmutzte Schnee auf dem Gelände in nur einer Woche auftaute, wurde allen klar, dass Radioaktivität ausgetreten war.
Am Dienstag betrat eine Gruppe von 18 Freiwilligen den Abschnitt, um den Weg zum U-Boot Skat freizumachen und andere zum Mitmachen zu motivieren. An den folgenden Tagen stieg die Zahl der Reinigungskräfte auf 1.000. Alle arbeiteten zwei bis vier Stunden lang unter Aufsicht des Dosisüberwachungsteams. Die Reinigungskräfte benutzten einfache Mittel, um die Strahlung abzuwaschen, wie etwa Lappen. Verschmutztes Wasser wurde einfach in der Wolga entsorgt. Damals war radioaktive Strahlung und ihre Folgen noch nicht so gut erforscht wie heute.
Der Vorfall änderte nichts daran, dass erwartet wurde, dass das Werk Krasnoje Sormowo zum hundertsten Geburtstag von Wladimir Lenin ein U-Boot zu Wasser lassen sollte, so dass die Reinigungskräfte schnell arbeiten mussten, damit der Bau abgeschlossen werden konnte. Es gelang ihnen, U-Boot K-308 fertigzustellen. Später, im Juli, war auch U-Boot K-302 fertig. K-320 Skat, das U-Boot, in dem es zur Explosion gekommen war, wurde gründlich gereinigt, erhielt einen neuen Reaktor und wurde 1971 fertiggestellt. Es diente der sowjetischen Flotte bis April 1990.
Wie viele sowjetische Tragödien wurde auch die Explosion in Krasnoje Sormowo umgehend zur Verschlusssache erklärt. Alle Zeugen und Reinigungskräfte mussten eine Geheimhaltungsvereinbarung unterzeichnen, die bis 1995 galt. Auch die Einwohner von Gorki erfuhren nicht die Wahrheit über die Katastrophe. Um zu verhindern, dass die Menschen mit Strahlung aus der verseuchten Wolga in Kontakt kamen, verbot die Stadtverwaltung in jenem Jahr das Baden im Fluss. Die Behörden erklärten, das Baden sei wegen einer Choleraepidemie gefährlich, die in jenem Jahr in der Georgischen SSR ausgebrochen und über Astrachan in die Wolga gelangt sei. Niemand weiß jedoch, wie viele Menschen das Badeverbot missachtet und eine Strahlendosis abbekommen haben.
Die Geheimhaltung betraf auch die Reinigungskräfte. Als einige von ihnen ernsthaft erkrankten, durften die Ärzte ihnen keine Strahlenkrankheit diagnostizieren. Außerdem wurden sie bis 1996 nicht als Arbeiter aufgelistet. Als ihre Geheimhaltungspflicht auslief, stellten sie einen Antrag bei den örtlichen Behörden, die ihnen den offiziellen Status von Aufräumarbeitern auf regionaler Ebene verliehen. Seitdem erhalten sie von der Anlage Krasnoje Sormowo eine jährliche Entschädigungszahlung von 2.000 Rubel (ca. 25 Euro). Im Jahr 2021 leben weniger als 200 der betroffenen Arbeiter. Viele starben an Krankheiten, die durch die Strahlung verursacht wurden. Bis heute wurde ihnen jede Anerkennung verwehrt.