Churchill, ein konsequenter Gegner des Bolschewismus, wurde während des gemeinsamen Kampfes gegen Deutschland ein treuer Verbündeter Stalins. Doch als die Rote Armee immer weiter nach Europa vordrang und die UdSSR die Sowjetherrschaft in den befreiten Gebieten errichtete, änderte sich seine Stimmung zunehmend.
„Schreckliche Dinge sind geschehen. Eine Flut russischer Herrschaft ist im Anmarsch... Wenn es vorbei ist, werden die Gebiete unter russischer Kontrolle die baltischen Provinzen, ganz Ostdeutschland, die gesamte Tschechoslowakei, einen großen Teil Österreichs, ganz Jugoslawien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien umfassen", schrieb Churchill am 4. Mai an den britischen Außenminister Anthony Eden.
Der Premierminister konnte an nichts anderes mehr denken als an die schreckliche Bedrohung, die die Sowjetunion für die „freie Welt“ darstellte. Zehn Jahre später, 1955, beschrieb er in seinen Memoiren die Gedanken jener Tage: „Japan war noch unbesiegt. Die Atombombe war noch nicht geboren. Die Welt war in Aufruhr. Das wichtigste Band der gemeinsamen Gefahr, dass die großen Alliierten geeint hatte, war über Nacht verschwunden. Die sowjetische Bedrohung war in meinen Augen bereits an die Stelle des nationalsozialistischen Feindes getreten."
Am 22. Mai 1945 erhielt der britische Regierungschef endlich den lang erwarteten Plan für die „Operation Undenkbar“ vom Gemeinsamen Planungsstab des britischen Kriegskabinetts. Doch wie die Militärs den künftigen Krieg bewerteten, gefiel ihm überhaupt nicht.
Als Ziel des militärischen Feldzugs gegen die Sowjetunion wurde angegeben, „Russland den Willen der Vereinigten Staaten und des Britischen Empire aufzuzwingen“. Diese vage Formulierung schloss die Vertreibung der Roten Armee und der sowjetischen Verwaltung aus den Gebieten Deutschlands und Polens ein.
Britische Valentine-Panzer werden von einem Landungsboot entladen.
GemeinfreiStart der Militäroperation sollte der 1. Juli 1945 sein. 47 anglo-amerikanische Divisionen sollten zwei starke Schläge gegen die sowjetischen Kräfte in Nord- und Süddeutschland ausführen. Nach Erreichen eines operativen Erfolgs sollten sie in Polen eindringen.
Zusätzlich zu den Hauptkräften sollten zehn Divisionen aus ehemaligen Wehrmachtsangehörigen neu formiert und bewaffnet sowie die antisowjetischen polnischen bewaffneten Verbände im Rücken der Roten Armee in die Kampfhandlungen einbezogen werden. Es wurde betont, dass die westlichen Alliierten in der strategischen Luftfahrt und bei den Seestreitkräften im Vorteil seien.
Die britische Militärführung setzte auf eine schnelle Niederlage der Sowjets, die die Russen (zumindest vorübergehend) dazu zwingen würde, sich dem Willen der westlichen Verbündeten zu beugen und zu verhandeln. Geschah dies nicht, konnte der bewaffnete Konflikt zum totalen Krieg eskalieren.
Als die britischen Generäle Churchill einen Plan für einen Feldzug gegen die UdSSR vorschlugen, versäumten sie nicht, auf die Komplexität seiner Durchführung hinzuweisen. Der totale Krieg versprach langwierig und kostspielig zu werden. Man ging davon aus, dass die Besetzung riesiger sowjetischer Gebiete (nach den deutschen Erfahrungen zu urteilen) weder zum Zusammenbruch des bestehenden politischen Regimes noch zur Beendigung des Widerstands eines Gegners mit „enormen menschlichen Ressourcen“ führen würde.
Sowjetische Pe-2-Bomber.
Grigory Chertov/SputnikvTrotz der Überlegenheit der alliierten Seestreitkräfte auf den Meeren würde sie in einem solchen Krieg kaum eine nennenswerte Rolle spielen. Auch der zweite Trumpf, die totale Überlegenheit in der strategischen Luftfahrt, konnte nicht erfolgreich ausgespielt werden: Die großen Entfernungen zur sowjetischen Industrie und ihre Streuung über ein riesiges Gebiet hätten den Einsatz von Flugzeugen nicht so effektiv wie gegen Deutschland ermöglicht.
Der wichtigste Faktor, der die Operation undurchführbar machte, war jedoch die riesige Zahl der Truppen der Roten Armee. Nach britischen Berechnungen könnte die UdSSR gegen ihre 47 Divisionen eine Truppe aufstellen, die 170 Divisionen der westlichen Alliierten entsprochen hätte, davon 30 Panzerdivisionen.
„Das bestehende Kräfteverhältnis in Mitteleuropa, wo die Russen eine Überlegenheit von etwa drei zu eins genießen, macht es höchst unwahrscheinlich, dass die Alliierten unter den gegenwärtigen Umständen einen vollständigen und entscheidenden Sieg in diesem Gebiet erringen könnten“, heißt es in dem Bericht. „Obwohl die Organisation der Alliierten besser, die Ausrüstung etwas besser und die Moral höher ist, haben sich die Russen als furchtbare Gegner der Deutschen erwiesen. Sie verfügen über fähige Kommandeure, angemessene Ausrüstung und eine Organisation, die, obwohl sie nach unseren Maßstäben möglicherweise unterlegen ist, sich bewährt hat."
Militärexperten waren der Ansicht, dass die Sowjetunion Norwegen, Griechenland und die Türkei besetzen und damit den Zugang der britischen und amerikanischen Flotten zum Schwarzen Meer abschneiden könnte, sollte der Konflikt ausbrechen. Darüber hinaus wurde die Aussicht auf ein Bündnis der Russen mit den Japanern als sehr wahrscheinlich erachtet.
Feldmarschall Alan Brooke.
Yousuf Karsh/Dutch National ArchivesAls das Dokument auf dem Schreibtisch des Premierministers lag, erklärte Generalstabschef Feldmarschall Alan Brook ganz offen, dass die Erfolgsaussichten einer solchen Operation ziemlich gering seien und dass Russland heute die wahre Allmacht in Europa sei.
Schließlich gab Churchill die Idee auf, die Rote Armee anzugreifen, und nahm keine Gespräche mit den Amerikanern zu diesem Thema auf. Stattdessen gab er einen Plan zur Verteidigung der britischen Inseln in Auftrag, der weiter „Unthinkable“ hieß. Der Politiker befürchtete, dass Stalin, wenn die Vereinigten Staaten den größten Teil ihrer Truppen aus Europa abziehen würden, sicherlich nicht den Moment verpassen würde, den gesamten Kontinent zu unterwerfen.
Die vom Krieg erschöpfte Sowjetunion hatte jedoch gar nicht vor, auf dem europäischen Kontinent einen umfassenden Krieg zu entfesseln. Am 23. Juni 1945 wurde das Gesetz über die Demobilisierung von Armee und Flotte erlassen, und innerhalb weniger Jahre schrumpfte die Zahl der sowjetischen Streitkräfte von elf auf drei Millionen.
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