Der Palastputsch: Wie die Deutschen der Tochter Peters des Großen zur Thronbesteigung verhalfen

Russia Beyond (Gatchina museum-preserve / Public Domain; Legion Media)
Vor seinem Tod im Jahr 1725 hatte Peter der Große keinen Thronfolger ernannt. So tauchte das Russische Reich in die sogenannte „Epoche der Palastrevolutionen“ ein, die das ganze 18. Jahrhundert dauerte. 1741 bestieg Peters Tochter Elisabeth Petrowna den russischen Thron infolge einer Verschwörung. Dies geschah nicht ohne Hilfe zweier Deutscher, die dem Zarenhof dienten.

In einer unruhigen Novembernacht des Jahres 1741 betrat um Mitternacht die schöne Zarewna Elisabeth Petrowna, gekleidet in einen Kavalleriekürass, die Kaserne der Grenadiere des Preobraschenskij-Regiments. „Meine Freunde! Ihr wisst, wessen Tochter ich bin, folget mir! Wie ihr meinem Vater gedient habt, so dienet mir mit eurer Treue!“ – mit diesen Worten wandte sich die Tochter des Zaren Peter I. an die Armee und forderte sie auf, den Eid auf sie zu leisten und ihr bei der Erstürmung des Winterpalastes zu folgen. Die Wachen, die Elisabeth anhimmelten, trugen sie buchstäblich auf ihren Armen zu dem Ort, an dem sich die Braunschweigische Familie befand – der kleine Thronfolger Iwan Antonowitsch und dessen Eltern. So kam es zum friedlichsten Palastumsturz im Russischen Reich.

Ausländische Konspiratoren

Unter Historikern besteht keine Einigkeit darüber, wie groß der ausländische Einfluss auf den Staatsstreich war. Ihre Dienste boten die Vertreter Schwedens und Frankreichs, Baron von Nolken und der Marquis de La Chétardie, an – doch einigen Berichten zufolge war Elisabeth Petrowna mit ihren Bedingungen nicht zufrieden. Der Staatsstreich selbst fand eher spontan statt, und die Gesandten waren nicht vollständig über die Pläne der künftigen Zarin informiert.

Prinzessin Elisabeth Petrowna und Peter II. auf der Jagd

Zwei Ausländer, die aus den deutschen Ländern nach Russland gekommen waren, standen jedoch in diesem entscheidenden Moment an Elisabeths Seite. Sie hießen Johann Hermann L’Estocq und Christopher Jacob Schwarz, die sich beide als echte Abenteurer erwiesen.

L’Estocq war französischer Abstammung, wurde aber in Lüneburg geboren und wuchs dort auf, wo er bei seinem Vater Medizin studierte und seine Ausbildung in Paris abschloss. Historikern zufolge hatte er „von Kindheit an ein unbändiges Temperament, eine Vorliebe für Prunk und Abenteuer“, war aber klug und aufmerksam. Er mag nicht der begabteste Arzt gewesen sein und hatte kein Diplom, aber das allgemeine Niveau der Medizin zu jener Zeit und sein Charisma halfen ihm, sich irgendwie über Wasser zu halten.

Johann Hermann L’Estocq

In Russland fasste L’Estocq, der Peter dem Großen gefiel, am Hof Fuß, fiel dann aber in Ungnade. Unter Peters Frau Katharina I., die ihn zum Arzt am Krankenbett ihrer Tochter Elisabeth machte, kehrte er jedoch zurück. Sie kamen sich näher: L’Estocq half der Zarewna nicht nur in medizinischen Angelegenheiten, sondern unterstützte sie auch bei ihren Vergnügungen. Abgesehen von ihrem Gefolge konnte der Ausländerin auch die Gunst des übrigen Hofes für sich gewinnen. Während der Regierungszeit von Anna Iwanowna genoss er einen gewissen Einfluss in den Kreisen des Zarenhofs und war nicht mittellos.

Wie L’Estocq seinen Landsmann Schwarz anwarb

Während L’Estocq von adliger Geburt war, stammte Schwarz aus einfachen sächsischen Verhältnissen. Wie genau er nach Russland kam, ist nicht bekannt, aber seinem Unternehmergeist ist es zu verdanken, dass der Deutsche schließlich eine Anstellung als Musiklehrer bei Elisabeth Petrowna fand – obwohl er „ein ungebildeter Musiker war und bis dahin kaum seinen Lebensunterhalt verdiente“.

Grenadiere des Preobraschenskij-Regiments rufen Elisabeth Petrowna zur Kaiserin aus.

Dennoch suchte Schwarz immer wieder nach geeigneten Verwendungsmöglichkeiten für seine Talente: Er versuchte sich als Mitglied der russischen Botschaft in China, als Kartograph, Ingenieur und Mitglied der geographischen Abteilung der Akademie der Wissenschaften – in letzterer Funktion war er sogar an der Überführung des Leichnams von Anna Iwanowna zur Beerdigung in die Peter-und-Paul-Kathedrale beteiligt.

Schwartz' abenteuerliche Ader und gleichzeitig seine Unbedeutendheit zogen L’Estocq an. Dieser Abenteurer ging im Palast ein und aus und erregte bei niemanden Verdacht – möglicherweise war er mit Elisabeth Petrownas Kammerzofe verheiratet, hatte also allen Grund, oft zu kommen. Er war bereit, für die Aussichten, die sich ihm boten, Risiken einzugehen, und vereinte die Energie und den Ehrgeiz, die für den Erfolg des Unternehmens notwendig waren. Später wurde über den Sachsen geschrieben: „Er spielte seine Rolle so geschickt, dass er, ohne sich oder seine Komplizen bis zur letzten Minute in Verdacht zu bringen, mehrere verschiedene Intrigen gleichzeitig durchführte.“

Vorbereitungen auf den Staatsstreich

Nach L’Estocqs Plan sollte Schwarz unter den Truppen Stimmung machen: Der Sachse nahm an Soldatenfesten teil, spielte mit den Wachen Karten und versuchte auf jede Weise, deren Sympathien zu gewinnen. Das gelang allerdings, auch Elisabeth selbst ganz gut: Sie kam oft in die Kaserne zu Besuch, geizte nicht mit Geschenken und war sich nicht zu Schade, die Patin diverser Kinder von Soldaten zu werden. Die Gardisten selbst nannten die zukünftige Zarin Mutter.

Elisabeth Petrowna und Grenadiere des Preobraschenskij-Regiments im Schlafzimmer von Anna Leopoldowna. Volksstich aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Über seine Freunde am Hof verfolgte Schwarz die Geschehnisse in der Braunschweiger Familie: Die Kammerfrau der Kronprinzessin Anna Leopoldowna und ihr Mann, der Kammerdiener des Fürsten Anton Ulrich, berichteten den Verschwörern über alles, bis hin zu der Geschäftskorrespondenz, die die hohe Familie erhielt. Schwarz fungierte auch als Vermittler zwischen den Verschwörern, die aufgrund ihrer Position nicht so offen handeln konnten. L’Estocq selbst war in gleicher Weise engagiert und unterhielt Kontakte zu ausländischen Gesandten.

Das Vertrauen der Zarin in L’Estocq sowie sein Mitwirken bei wichtigen organisatorischen Entscheidungen sicherten weitgehend den Erfolg des Putsches. In kritischen Momenten gelang es ihm, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Stimmung der Zarewna selbst aufrechtzuerhalten. So besuchte L’Estocq am Morgen vor dem Staatsstreich Elisabeth Petrowna, um ihr Mut zu machen, und überreichte ihr eine von ihm gezeichnete Skizze seiner Gönnerin. Auf der einen Seite des Papiers war Elisabeth mit einer Zarenkrone abgebildet, auf der anderen mit einem Nonnenvelan (Schleier), daneben standen Räder und Galgen. Die Botschaft lautete: Die Zarewna steht vor der Wahl, entweder den russischen Thron zu besteigen oder in einem Kloster eingesperrt zu werden und von dort aus die Hinrichtung ihrer Getreuen zu beobachten. Für Elisabeth Petrowna, die an Wohlstand gewöhnt war und ihre Schönheit nicht in den Mauern eines Klosters begraben wollte, war das asketische Klosterleben eine schreckliche Aussicht.

Porträt der Kaiserin Elisabeth Petrowna, 1743

Am Tag des Staatsstreichs und danach

In der Nacht vom 25. November (6. Dezember), als die Verschwörer schließlich beschlossen, ihr Komplott durchzuführen, befanden sich Schwarz und L’Estocq mitten im Geschehen in der Nähe von Elisabeth. Sie begleiteten sie in die Kaserne und dann zum Winterpalast, wo sie die Höflinge über den Vorfall informierten.

Nach der Machtergreifung vergaß die Zarewna ihre Gefolgsleute nicht: Schwarz wurde zum Oberst befördert, was ihm nicht gefiel, und ein Jahr später erhielt er in Livland ein Grundstück. Er zog auf sein Gut, wo er 15 Jahre später von seiner eigenen Leibeigenen ermordet wurde, die versuchte, sich gegen die Übergriffe des Sachsen zu wehren.

Porträt der Kaiserin Elisabeth Petrowna

Das Schicksal von L’Estocq war noch dramatischer. Am Tag nach dem Staatsstreich erhielt er den Rang eines Geheimrates, den Posten des Ersten Leibarztes und des Ersten Direktors der Medizinischen Kanzlei sowie der gesamten medizinischen Fakultät. Von der Zarin begünstigt, machte er ein beträchtliches Vermögen und hatte großen Einfluss am Hof, aber mit der Zeit sorgten L’Estocqs ausländische Sympathien für das Zerwürfnis zwischen ihm und der Zarin. L’Estocq gab seine Intrigen nicht auf und wurde schließlich einer neuen Verschwörung beschuldigt – dieses Mal mit dem Ziel, seine ehemalige Gönnerin zu stürzen. Er wurde gefoltert und zum Tode verurteilt, aber später in die Verbannung geschickt. Erst 1762 holte Peter III., der den Thron bestiegen hatte, L’Estocq nach St. Petersburg zurück und versetzte ihn in den Adelsstand.

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