Der Ball, der 1903 im St. Petersburger Winterpalast stattfand, war aus mehreren Gründen von Bedeutung. Erstens markierte er das 290-jährige Bestehen der Romanow-Dynastie, das vom ganzen Reich ausgiebig gefeiert wurde; zweitens war es ein Kostümfest, bei dem sich die Eliten gerne als russische mittelalterliche Adlige verkleideten.
Es war die letzte offizielle prachtvolle Veranstaltung der Romanows und für das gesamte Russische Reich. Grund dafür war der Russisch-Japanische Krieg (1904–1905), den das Land verloren hatte, und die Revolution von 1905. Diese Ereignisse markierten den Beginn großer Veränderungen für ganz Russland.
Dank der Künstlerin Olga Schirnina können wir nun einen Blick auf dieses legendäre Ereignis werfen... in Farbe!
Alexandra Fjodorowna hatte den großen Plan, einen Kostümball zu veranstalten. 390 Gäste wurden eingeladen, die sich in Kostüme des 17. Jahrhunderts kleiden sollten: die Hofdamen in mit Edelsteinen besetzten Sommerkleider und Kokoschniks, die Männer dagegen in teure, üppige Mäntel und Pelze im Bojaren-Stil.
Den Memoiren jener Zeit zufolge kam der Zarin die Idee einige Tage vor Beginn des Jahres 1903, als sie beim Frühstück mit den Gästen über altrussische Garderobe diskutierte. Die Adligen waren davon überzeugt, dass diese Mode zurückkehren werde, da sie bereits zu Zeiten Peters I. die Anleihen bei den Europäern erlebt hatten und sich nun wieder mit Interesse auf ihre Wurzeln besannen. Zur Regierungszeit Alexanders III., des Vaters Nikolaus’ II., erlebten die traditionellen russischen Werte in allen Bereichen einen Neubeginn.
Die erste Reaktion der Mitglieder des Zarenhofes war jedoch negativ. „Russische Kostüme kosten ein Vermögen... Außerdem macht es nicht gerade Spaß, in schweren Kleidern und Pelzen zu tanzen. Die arme Alexandra Fjodorowna hat definitiv […] eine Vorliebe für unpassende Dinge“,schrieb Iwan Wsewoloschskij, der ehemalige Direktor der Kaiserlichen Theater.
Aus den oben genannten Gründen lehnten etwa einhundert Gäste ihre Teilnahme ab. Die Zarin bestand jedoch darauf, dass alles wie geplant ablief: Gäste, die sich keine Kostüme leisten konnten, ließen sich diese auf Kosten der Staatskasse anfertigen, mit der einzigen Bedingung, dass sie die Kostüme nach dem Ball den Kaiserlichen Theatern übergeben würden.
Die Vorbereitungen für den Ball hatten begonnen und in der Hauptstadt herrschte Chaos: Es gab so viele Bestellungen für klassische Kostüme, dass die Schneider es nicht mehr rechtzeitig schafften. Fürstin Xenia Alexandrowna erhielt eine knappe Stunde vor Beginn des Festes ein unfertiges Kleid.
Die Damen von St. Petersburg verbrachten ihre gesamte Zeit damit, das private Moskauer Museum für Altertümer zu stürmen, um die Stile und der Schmuck der russischen Volkstrachten zu studieren.
Zahlreiche Familienjuwelen schmückten die Kostüme. Der Saum des Kleides und der Kokoschnik der Fürstin Sinaida Jussupowa waren beispielsweise mit Edelsteinen von Cartier besetzt. Nikolaus II. selbst war als Alexej Michailowitsch, zweiter Zar aus der Romanow-Dynastie, gekleidet. Er trug eine echte Zaren-Kopfbedeckung und ein Zepter, die man von der Rüstkammer des Moskauer Kremls ausgeliehen hatte.
Diese Versuchung, echte Schätze aus vergangenen Epochen zu verwenden, führte sogar zu einer unangenehmen Situation. Auf dem Ball verlor Nikolaus' jüngerer Bruder, Großfürst Michail Alexandrowitsch, eine große Diamantspange für seine Pelzmütze, die einst Paul I. gehörte.
Das Fest dauerte drei Tage – vom 11. bis zum 13. Februar. Es begann mit einer russischen Verbeugung, bei der sich alle Gäste vor dem Zaren und der Zarin verneigten. Es folgten eine Opernvorstellung und später der eigentliche Ball mit Festessen und Tanz.
Das Menü war allerdings zeitgemäß. Es gab zum Beispiel Consommé mit Trüffeln, venezianischen Salat mit Lattich, Ente auf Rouener Art, kalte Charlotte und anderes mehr.
Der Ball von 1903 sorgte in der russischen Gesellschaft für Furore. Nationale Motive waren wieder in Mode und gefragt.
Ein Jahr nach diesem Ball erhielt Alexandra Fjodorowna ein Fotoalbum, das wir heute sehen können. Es wurde für wohltätige Zwecke in Auftrag gegeben und in Massenproduktion mit der Aufschrift Den russischen Kriegern im Fernen Osten hergestellt.
Seit 1904 war es jedoch nicht mehr möglich, solch rauschende Feste zu veranstalten. Es gab noch einen letzten Hofball, aber einen sehr bescheidenen, der nur für den engsten Kreis der Zarenfamilie veranstaltet wurde.