Die Belagerung von Leningrad: Wie Blinde die Stadt vor den Nazis verteidigten

"Lauscher" W. Aleksejew im Kampfeinsatz.

"Lauscher" W. Aleksejew im Kampfeinsatz.

L.Bernsteine
Blinde „Lauscher“ erfuhren vom Anflug der deutschen Bomber auf die Stadt, lange bevor diese in Sichtweite waren. Anhand der Motorengeräusche konnten sie den Typ und die Marke der Flugzeuge und manchmal auch ihre ungefähre Anzahl bestimmen.

Am 8. September 1941 schlossen die deutschen Truppen den Einkreisungsring um Leningrad. Es begann die schreckliche 872-tägige Belagerung der zweitwichtigsten Stadt der UdSSR.

Die Luftwaffe setzte Leningrad massiven Bombenangriffen aus, und alle verfügbaren Luftabwehrkräfte und -mittel wurden zum Schutz der Bürger, Wohngebiete und Denkmäler eingesetzt. Damals traten zum ersten Mal in der russischen Militärgeschichte spezielle blinde Kämpfer gegen feindliche Flugzeuge an.

Einzigartiges Gehör

Deutsche Ju 87-Bomber greifen an.

Neben dem Radar waren die wichtigsten Mittel zur Erkennung feindlicher Flugzeuge die so genannten Schalldetektoren. Diese unhandlichen Konstruktionen bestanden aus verschieden großen Systemen aus Schalltrichtern, mit denen das Brummen herannahender feindlicher Flugzeuge auf große Entfernung erfasst werden konnten.

Speziell ausgewählte Soldaten, so genannte sluchatschí (dt.: Lauscher oder Horcher), lauschten auf dieses Dröhnen. Die Schalldetektoren wurden so lange justiert, dass der Schall in den Ohren der Spezialisten die gleiche Intensität hatte. Nachdem der Lauscher eine Annäherung des Feindes festgestellt hatte, warnte er sofort seine Kameraden, woraufhin zahlreiche Suchscheinwerfer in den Himmel gerichtet wurden, um nach Zielen zu suchen. Daraufhin wurden die Flugabwehrkanonen in Bereitschaft gebracht.

Schalldetektor.

Leider ließ die Wirksamkeit der ersten Lauscher zu wünschen übrig, und Ende 1941 entschloss sich das Kommando zu einem kühnen Schritt – man wollte Blinde einsetzen. Um feindliche Flugzeuge aufspüren zu können, brauchten man nicht nur ein ausgezeichnetes, sondern auch ein einzigartiges Gehör – und die Blinden waren damit ausgestattet.

Anfang 1942 gab es nur noch etwas mehr als dreihundert blinde Menschen in der Stadt. Viele von ihnen arbeiteten in spezialisierten Werkstätten, wo sie Tarnnetze für Gebäude, Handschuhe für Soldaten oder Hausschuhe für Verwundete herstellten. Andere stärkten die Moral der Soldaten, indem sie in Musikgruppen für sie auftraten.

Sowjetische Flugabwehrschützen feuern auf feindliche Flugzeuge.

Die Auswahl war hart. Frauen wurden sofort aussortiert, da der Dienst große körperliche Ausdauer erforderte. Von einer medizinischen Kommission wurden dreißig Personen untersucht, von denen zwanzig an speziellen Ausbildungskursen teilnahmen. Schließlich wurden zwölf der Männer mit dem besten Gehör als Lauscher ausgewählt.

Blinde Helden

Die neuen Akustik-Kämpfer, die gestern noch Klaviere gestimmt oder Akkordeon gespielt hatten, waren gezwungen, während ihres Dienstes viele Stunden lang extreme Belastungen aushalten. Oft mussten sie während der Bombardierung der Stadt das Donnern der Flugzeuge unter der Artilleriekanonade heraushören.

Schalldetektor im Kampfeinsatz.

Semjon Bytowój, ein Schriftsteller und Dichter, der die Blockade miterlebte, beschrieb 1974 in seinem Roman Die Ballade von Leningrad die Leistung der blinden Lauscher: „Nachdem sie ihre Pelzmützen und Lederhelme abgenommen hatten, die fast ihr ganzes Gesicht bedeckten, lehnten sich die Lauscher in den Sitz zurück und begannen, ihre Köpfe an die glatten, mit Leder bezogenen Kopfstützen zu legen, Dann drehten sie die Handräder, wodurch sich die Sprachtrichter langsam und vorsichtig schwenkten. Die Luft war voll von verschiedenen Geräuschen, die ein kontinuierliches Rauschen erzeugten, mit dem gelegentlichen entfernten Rattern eines Maschinengewehrs, dem Pfeifen einer Granate oder dem dumpfen Klatschen einer detonierten Mine…“

„Diese Suche in der Luft dauerte stundenlang, wenn nicht sogar die ganze Nacht, und die ganze Zeit musste man die Schalltrichter drehen und den Kopf in der gleichen Position halten“, schrieb Bytowój. „Die Anstrengung verursachte schreckliche Schmerzen in den Schläfen und die Halswirbel schienen zu knacken. Es erforderte eine unglaubliche Anstrengung, Konzentration und Ausdauer, um in den Himmel zu lauschen, wo jeden Moment ein verdächtiges Geräusch auftauchen konnte.“

Schalldetektor im Kampfeinsatz.

Die blinden Verteidiger stellten sofort ihre hohe Effizienz unter Beweis. Sie konnten feindliche Flugzeuge hören, lange bevor sie sich der Frontlinie näherten. Noch war es still in der Stadt, aber die Lauscher berichteten bereits über die Gefahren, die ihr drohten. Sie waren in der Lage, den Typ und die Marke der sich nähernden deutschen Flugzeuge zu bestimmen und manchmal auch deren ungefähre Anzahl in einer Rotte.

Unter diesen besonderen Soldaten gab es auch Opfer. Awerkij Nikonow fiel im Februar 1942, und Wassilij Zyplenkow, der im Sommer desselben Jahres aus gesundheitlichen Gründen demobilisiert wurde, starb bald darauf an Mangelernährung.

Die anderen blinden Lauscher schafften es jedoch, bis zur lang erwarteten Beendigung der Blockade Leningrads im Jahr 1944 zu überleben. Nach dem endgültigen Sieg kehrten sie, ausgezeichnet mit zahlreichen Orden für die Rettung des Lebens von Tausenden von Menschen und die Erhaltung von Hunderten von Kulturdenkmälern, zu ihren zivilen Berufen zurück.

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