Seit dem Altertum galten die Haare einer russischen Frau als heiliger Teil des Körpers. Für eine verheiratete Frau war es eine schreckliche Schande, wenn sie versehentlich ihr Haar zeigte oder ihren Kopfschmuck verlor. Daher auch das Wort oprostowolositjsja, das ursprünglich barhäuptig, aber heutzutage sich lächerlich machen bedeutet. Jungen Frauen war allerdings gestattet, einen langen Zopf zur Schau zu stellen.
„Ein Mädchen vor einem Spiegel“ von Filipp Budkin. Wie man an einem einzelnen Zopf und einem offenen Oberkopf erkennen kann, ist dieses Mädchen noch nicht verheiratet. Aber wie eine Schleife in ihrem Zopf und ihr rotes Kleid andeuten, ist sie bereit für die Verlobung.
Public domainSeit dem Altertum glaubte man in Russland: Je länger und dicker der Zopf einer jungen Frau, desto begehrenswerter ist sie als Braut. Der Zopf wurde in drei Strähnen geflochten und musste streng senkrecht entlang der Linie des Rückgrats verlaufen. Unverheiratete Mädchen durften einen nach oben offenen Kopfschmuck tragen. Langes, dichtes Haar, das zu einem dicken Zopf geflochten war, galt nicht nur als Zeichen der Gesundheit, sondern auch als Symbol für weibliche Weisheit.
Wenn ein Mädchen begann, sich auf die Ehe vorzubereiten, wurde ein buntes Band in den Zopf geflochten. Zwei Bänder von der Mitte aus in den Zopf geflochten bedeuteten, dass das Mädchen bereits von einem Heiratsvermittler unter die Haube gebracht worden war und die Vorbereitungen für die Hochzeit im Gange waren.
"Moskauer Mädchen aus dem 17. Jahrhundert" von Andrej Rjabuschkin. Dies ist ein wohlhabendes Mädchen, wie ihr Pelzhut vermuten lässt. Sie ist bereits verlobt - obwohl sie einen einfachen Zopf trägt, befindet sich in ihrem Zopf eine doppelte Schleife, die in der Mitte beginnt.
Russisches MuseumVor der Hochzeit gab es die volkstümliche Zeremonie des Trauerns um den Zopf, sie war Teil des Dewítschiks (dt.: Junggesellinnenabschied). Die Freundinnen lösten den Zopf der Braut und kämmten ihn unter rituellen Gesängen in zwei Zöpfe, ordneten ihn auf dem Kopf an und setzten ihr einen Wolosník (einen Kopfschmuck, der direkt auf dem Haar lag) auf. Das war eine kleine Kappe aus dünner Seide mit einem Otschélje, einem Stoffband, das am Hinterkopf gebunden wurde. Auf der Krempe waren Amulett-Muster aufgestickt - Pflanzenornamente, die den Baum des Lebens symbolisierten. Das Otschélje bedeutete viel für eine Frau: Von dem Moment an, in dem ihr Haar darunter gesteckt war, galt sie als verheiratet – auch wenn die Hochzeit danach ins Wasser fiel.
„Vorbereitung der Braut auf die Hochzeit“ von W. E. Feklistow, 1848.
Public domainIm Gegensatz dazu war es alten Jungfrauen nicht erlaubt, ihre Zöpfe zu entflechten und ein Haarband anzulegen. Sie bedeckten ihren Kopf mit einem Tuch und es war ihnen verboten, den Kopfschmuck verheirateter Frauen zu tragen – eine Soróka oder einen Powójnik. Wenn eine Frau ihren Zopf abschnitt, war das ein Zeichen der Trauer um den verstorbenen Bräutigam und des Unwillens zu heiraten.
Ein Wolosnik, der der Zarin Agafja Gruschezkaja, der ersten Frau von Fjodor Aleksejewitsch, gehörte
Moskauer Kreml-MuseenNach der Hochzeit wurde die Frisur für immer vor neugierigen Blicken verborgen – sogar vor denen des Ehemanns! Er konnte das Haar seiner Frau nur im Bett sehen. Das Haar wurde zu zwei Zöpfen geflochten – sie symbolisierten die Einheit von Mann und Frau, und kein einziges Haar durfte unter dem Haarteil, über das ein Tuch und gegebenenfalls eine Kopfbedeckung gestülpt wurde, herausragen. Die Schläfen wurden rasiert.
„Bojarynja“ von Konstantin Makowskij. Das Mädchen trägt einen Powojnik - das bedeutet, dass sie bereits verheiratet ist.
Public domainZu Beginn des 18. Jahrhunderts begann sich die russische Gesellschaft zu polarisieren – bei den Bauern und der Kaufmannsschicht blieb die alte Ordnung bestehen und damit auch die traditionellen Frisuren für Männer und Frauen. Der Adel in der Hauptstadt und in Großstädten begann, nach der europäischen Mode zu leben und ließ für immer Zöpfe, Wolosniki und Powojniki hinter sich.
Herzogin von Fontanges
Sotheby’sDie Regeln für die Frisuren der russischen Frauen wurden seit der Petrinischen Zeit von französischen Modeschöpfern diktiert, zum Beispiel von Angelique de Roussil-Fontange, der Favoritin von König Ludwig XIV. Einmal band sie ihr zerzaustes Haar während eines Jagdausflugs mit einem Spitzenband zusammen. Der König, der diese Frisur bewunderte, bat Angelique, sie immer zu tragen – und am nächsten Tag erschienen die Hofdamen mit Fountanges im Palast. Im Laufe der Zeit wurden die Fountanges immer höher und ausgefallener – sowohl das Haar selbst als auch die Spitzenbänder wurden mit Puder und Stärke fixiert, um Stabilität zu gewährleisten. In Russland kamen Fountanges in den 1690er Jahren auf – sie wurden von den Ehefrauen und Töchtern der reichen Ausländer getragen. Solche Spitzenbänder für die Fountange-Frisur fanden man im persönlichen Besitz von Natalija Alexejewna, der Schwester von Peter, die solche Spitzen in Paris und bei Katharina I. bestellte.
„Porträt einer Frau“ von Jean-Marc Nattier, 1738. Eine einfache Frisur, die von der Herzogin von Shrewsbury populär gemacht wurde.
Saint Louis Art MuseumBereits in den 1710er Jahren war die Fountange-Mode in Europa plötzlich wieder vorbei. Im Jahr 1713 erschien eine englische Untertanin, die Herzogin von Shrewsbury, vor dem gealterten Ludwig XIV. mit der einfachsten Frisur – glatt gestyltem Haar und fallenden Locken. Von da an wurden einfache Frisuren, manchmal mit einem ins Haar geflochtenen Strauß oder Band, für europäische Aristokraten üblich. In Russland trugen einige ältere Damen der Gesellschaft noch bis in die 1720er Jahre hinein eine Fountange.
Russische Zatin Elisabeth Petrowna, 1742, unbekannter Künstler. Elisabeth Petrowna trägt ebenfalls eine einfache, mit Perlen und einer Feder geschmückte Frisur.
Private collectionIn der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts herrschten hohe und komplexe Frisuren und Perücken vor – sie wurden von Gräfin du Barry, der Mätresse von Ludwig XV. und Marie-Antoinette, der Frau von Ludwig XVI. in Mode gebracht. In Russland herrschte zum Glück für russische Adelsdamen ab den 1760er Jahren Katharina die Große, eine Frau von etwa 160 Zentimetern Größe, an den hohen Frisuren komisch ausgesehen hätten. Unter Katharina trugen die adligen Frauen also keine hohen Perücken, Frisuren oder Haarteile. Und nach der Großen Französischen Revolution verschwanden diese Frisuren in Europa.
Porträt einer jungen Frau (1807-10) von Gioacchino Giuseppe Serangeli. Frisur „a la victime“.
Ashmolean Museum, University of Oxford, UKDas Echo der Revolution war in der Beliebtheit der Frisur Schertwa (dt.: Opfer), einer Nachahmung der zur Hinrichtung auf der Guillotine Verurteilten, zu spüren – das Haar am Hinterkopf wurde kurz gehalten und die Locken nach vorne geglättet. Diese Frisur wurde sowohl von Frauen als auch von Männern getragen – ebenso wie die Titus-Frisur, benannt nach dem Helden aus Voltaires Theaterstück Brutus.
Kaiserin Alexandra Fjodorowna, Gemahlin von Nikolaus I., trägt einen „Apollo-Knoten“.
Public domainIn den 1830er Jahren wurde die Mode wieder raffinierter. Das Haar wurde an den Schläfen gelockt und am Ober- oder Hinterkopf zu einem Dutt zusammengefasst. Bei der Apollo-Knoten-Frisur wurde das Haar in einem hohen „Korb“ angeordnet, der mit einem Drahtgestell verstärkt wurde.
Das Staatsporträt von Königin Victoria von George Hayter (Detail).
Royal Collection1837 wurde Königin Victoria, die glattes schwarzes Haar hatte, gekrönt. Für die Krönung wählte sie eine Frisur à la Clotilde – zwei Zöpfe um die Ohren gewickelt, das Haar glatt nach hinten gestrichen. Diese Frisur wurde in den 1830-1840er Jahren bei russischen Adeligen sehr beliebt.
„Eine Familie zur Teestunde“ von Timofej Mjagkow, 1844. Sie können die Mädchen mit viktorianischen Frisuren sehen.
Tretjakow-GalerieJahrhunderts waren üppige Locken an den Schläfen und um die Ohren herum sowie ein Dutt am Hinterkopf immer noch in Mode, aber solche komplexen Frisuren konnten sich nur adlige Damen leisten, die Zeit und Geld für Friseure hatten. Den europäischen Frauen, und mit ihnen auch dem russischen Adel, wurde wiederum durch Königin Victoria „geholfen“, die einfache, glatte Frisuren trug. Das viktorianische Zeitalter kultivierte das Ideal einer bescheidenen und klugen Frau, eines häuslichen Engels, für den eine hochkomplizierte Frisur unpassend gewesen wäre. Es war jedoch erlaubt, die Frisur mit einer Perlenkette oder einem Kopfschmuck, einer Ferronnière, zu verzieren.
Maria Anna von Bayern, Königin von Sachsen, von Joseph Karl Stieler, 1842. Maria Anna trägt eine Ferronnière.
Sotheby'sÜppige Krausen und Frisuren mit übereinanderliegenden Locken kamen in den 1870er Jahren wieder in Mode. Vorne und oberhalb der Schläfen wurde das Haar hochgekämmt, um Volumen zu verleihen, am Oberkopf wurde es in Schlaufen oder Zöpfen angeordnet, und hinten fiel das Haar in langen Locken. Aber im Allgemeinen waren die Frisuren der Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits sehr vielfältig und von den Moden verschiedener Epochen inspiriert.
Eine Frau in einem Kleid, 1870er Jahre. Die Frisur ist wieder groß, wie in der Mitte des 17. Jahrunderts.
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