Um in den Genuss der in Russland niedrigen Steuern zu kommen, muss man nicht unbedingt über die russische Staatsangehörigkeit verfügen. Foto: PhotoXPress
Nachdem der französische Schauspieler Gérard Depardieu Anfange 2013 seinen russischen Pass triumphierend entgegengenommen hat, twitterte Vizepremier Dmitri Rogosin: „Im Westen sind die Besonderheiten unseres Steuersystems kaum bekannt. Wenn sich das ändert, steht uns eine massenweise Umsiedlung reicher Europäer nach Russland bevor."
Seit den ersten Massenprotesten musste sich die russische Regierung im gesamten vergangenen Jahr immer wieder mit dem Thema befassen, dass
die Elite des Landes am liebsten emigrieren würde. Sie versuchte, sich und ihre Landsleute davon zu überzeugen, dass in Wirklichkeit niemand vorhabe, das Land zu verlassen. Und nun taucht plötzlich Gérard Depardieu auf: Der Franzose hatte sich in Steuerfragen mit Präsident François Hollande überworfen und Russland daraufhin gebeten, ihn bei sich aufzunehmen. „Wir gehen davon aus, dass diese Angelegenheit bereits entschieden ist, und zwar positiv entschieden", erklärte Wladimir Putin, als er bei der Pressekonferenz im Dezember 2012 nach Depardieus Staatsangehörigkeit befragt wurde.
Wie Dmitri Peskow, der Pressesprecher des Präsidenten der Wochenzeitschrift Kommersant Wlast mitteilte, hatte Depardieu sich an das russische Außenministerium sowie in einem persönlichen Brief sogar an Wladimir Putin gewandt und um Erteilung der russischen Staatsangehörigkeit gebeten. Wenige Tage nach Putins Bemerkung erging ein Erlass, demzufolge Depardieu die russische Staatsbürgerschaft erhalten sollte. Bei einem Treffen in Sotschi überreichte der russische Präsident dem französischen Schauspieler dann persönlich seinen russischen Pass und Depardieu wurde feierlich empfangen.
Niedrige Steuerlast für einfache Bürger – hohe für Geschäftsleute
Für Reiche unterscheidet sich Russland in einigen Punkten positiv von Europa. Um in den Genuss der in Russland – verglichen mit Europa – niedrigen Steuern zu kommen, muss man noch nicht einmal gezwungenermaßen über die Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation verfügen.
Man kann auch Staatsangehöriger eines beliebigen anderen Landes oder sogar staatenlos sein. Wichtig ist nur, dass man sich im Laufe von 12 aufeinanderfolgenden Monaten mehr als 183 Tage in Russland aufhält. Ausreisen für Urlaubs- oder Studienzwecke sowie ärztliche Behandlungen von weniger als sechs Monaten zählen dabei nicht. Im Gegenzug bezahlt der russische Staatsbürger dann lediglich 13% Steuern.
Ein weiterer entscheidender Punkt ist, dass die Steuerlast noch nicht einmal von der Höhe der Einkünfte abhängt, was in anderen Ländern selten der Fall ist. Der stellvertretende Direktor des Zentrums für Finanzpolitik Aleksandr Derjugin äußert sich dahingehend folgendermaßen: „Ebenfalls günstig ist es, in Kirgisien und Kasachstan zu leben. Dort liegt die Einkommenssteuer bei 10%, allerdings weiß wahrscheinlich kaum jemand etwas darüber".
Theoretisch hat Russland demnach gute Chancen, reiche und steuerüberdrüssige Europäer anzulocken. Doch die Praxis sieht anders aus. „Für einfache Bürger mag es bei uns günstig sein, doch im Gegensatz dazu, ist die Steuerlast für Geschäftsleute bei uns sehr hoch, weshalb nicht viele Geschäftsmänner bzw. -frauen zu uns kommen. Wenn es sich hierbei nicht um eine einmalige Werbeaktion handelt und die Regierung tatsächlich daran interessiert sein sollte, reiche Ausländer anzulocken, sollte der Präsident dies zum Ausdruck bringen. Er sollte persönlich – und nicht nur ein einziges Mal – öffentlich erklären, dass weder eine Erhöhung der Steuersätze noch eine Abkehr von der flachen Steuerskala geplant seien", so Derjugin weiter.
So schnell geht es meist dann doch nicht
Doch selbst für die unverbesserlichsten reichen Europäer, die sich nun plötzlich dafür entscheiden, Depardieus Mitbürger werden zu wollen, könnte sich der Weg zum russischen Staatsbürger als recht mühsam erweisen. „Es existieren verschiedene Kriterien für den Nachweis des steuerlichen Wohnsitzes in Russland, die mit dessen „Zentrum der Lebensinteressen", mit Immobilien und mit seiner Familie zusammenhängen. Die Anerkennung des steuerlichen Wohnsitzes in Russland ist außerdem noch keine Garantie dafür, dass man von Steuerzahlungen in anderen Ländern befreit ist", erläutert Michail Filinow, Partner der Gruppe für individuelle Besteuerung bei PricewaterhouseCoopers Russland.
Unter russischen Geschäftsleuten trifft man sehr häufig die Situation an, dass sich deren Geschäftsinteressen und sie selbst sich in Russland, die Familie und die Immobilien jedoch im Ausland befinden. In diesem Fall kann der Geschäftsmann, auch wenn er den größten Teil des Jahres hier verbringt und auch seinen steuerlichen Wohnsitz in Russland hat, gleichzeitig als steuerlich ansässig in Frankreich oder Spanien gelten – je nach der Gesetzgebung der jeweiligen Länder.
Doch auch wenn Russland als Steueroase und Paradies für eine ausschweifende Lebensführung sehr anziehend sein mag, muss jeder – selbst der reichste und erfolgreichste Ausländer – sich zunächst einmal mit dem russischen Migrationsdienst auseinandersetzen, bevor er einen russischen Pass erhält. Diese Prozedur ist notwendig, denn schließlich ist ein Erlass wie im Falle von Depardieu ein absoluter Einzelfall.
Der Föderale Migrationsdienst Russlands lies verlauten, es gäbe bei der Behörde keinen fertigen Plan zur sofortigen Verleihung der Staatsbürgerschaft an bekannte Ausländer. „Es kommt nicht gerade häufig vor, dass der Präsident Dinge mit einem entsprechenden Erlass regelt und wir innerhalb kürzester Zeit die Unterlagen dazu vorlegen. Ich verstehe nicht, weshalb Depardieus Staatsbürgerschaft eine derartige Reaktion ausgelöst hat, denn das macht unser Land nur noch anziehender für Ausländer", erklärt Salina Kornilowa, Pressesekretärin der Behörde.
Laut Statistik des Föderalen Migrationsdienstes erhielten im vergangenen Jahr 51.276 Personen die russische Staatsbürgerschaft. Nach Angaben von Frau Kornilowa befinden sich darunter von Jahr zu Jahr auch immer mehr „hochqualifizierte Spezialisten aus Europa", obwohl nach wie vor die meisten neuen Staatsbürger aus Ländern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten stammen.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Kommersant Wlast.
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