Gesetz trotz Proteste

Die Menschenrechtsaktivisten meinen, dass die Verabschiedung des Gesetzes zu einer Einschränkung der Grundrechte sexueller Minderheiten führt. Die Plakataufschrift lautet: "Gemeinsam gegen die Homophobie, Gewalt und Diskrimination". Foto: RIA Novosti

Die Menschenrechtsaktivisten meinen, dass die Verabschiedung des Gesetzes zu einer Einschränkung der Grundrechte sexueller Minderheiten führt. Die Plakataufschrift lautet: "Gemeinsam gegen die Homophobie, Gewalt und Diskrimination". Foto: RIA Novosti

Russische Abgeordnete wollen das umstrittene Gesetz zum Verbot der „Propaganda für Homosexualität unter Minderjährigen“ durchsetzen. Während sich in der Öffentlichkeit Widerstand regt, arbeiten Politiker an einer Präzisierung des Entwurfs.

Einige russische Abgeordnete treten entschieden für den Erhalt der klassischen Familienwerte ein und haben sich den Kampf gegen nichtkonventionelle Lebensgemeinschaften auf die Fahnen geschrieben. Vergangene Woche verabschiedete die Staatsduma in erster Lesung einen Gesetzesvorschlag über das „Verbot der Propaganda für Homosexualität unter Minderjährigen". Der Entwurf präzisiert indessen nicht, was genau darunter zu verstehen ist. Die Abgeordneten haben jetzt vier Monate Zeit, um die Konkretisierungen zur zweiten Lesung vorzubereiten oder möglicherweise zu überdenken.

Den Gesetzentwurf erarbeiteten Parlamentsabgeordnete des 3 300 Kilometer von Moskau entfernten Gebietes Nowosibirsk. Ihr Vorhaben

verankerten die Parlamentarier im Verwaltungskodex, in den sie die Verantwortung für die Propaganda schwuler und lesbischer Beziehungen unter Kindern und Jugendlichen einführten. Im Falle eines Verstoßes gegen das Gesetz wird die Polizei Bußgelder in Höhe von 100 bis 125 Euro von einfachen Bürgern kassieren, 1 000 bis 1 250 Euro von Amtsträgern sowie 10 000 bis 12 500 Euro von juristischen Personen wie zum Beispiel Massenmedien für Kinder, die gleichgeschlechtliche Beziehungen zur Schau stellen.

Eine solche Propaganda, so die Abgeordneten des Gebietes Nowosibirsk, könne „verzerrte Vorstellungen über die soziale Gleichwertigkeit traditioneller und nichttraditioneller sexueller Beziehungen" erzeugen. Welches Format einer Information als Propaganda gelten soll, präzisiert das Gesetz jedoch nicht. Seine Autoren betonen lediglich, dass die homosexuelle Orientierung an sich nicht bestraft wird.

Änderungen am Gesetzentwurf kann die Duma bis zum 25. Mai 2013 annehmen. Darauf folgt eine zweite Lesung und danach eine dritte, die nur selten verschoben wird. So kann das im Unterhaus angenommene Gesetz dem Oberhaus – dem Föderationsrat – bis zum Ende der Frühjahrs-Sitzungsperiode Mitte Juli zur Prüfung und dann weiter dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorgelegt werden.

 

Proteste gegen das Gesetz

Die Bekämpfung der Homosexualität hat in Russland Geschichte. Die sowjetische Vergangenheit steht noch lebendig vor unseren Augen, als die Möglichkeit gleichgeschlechtlicher Liebe zum Beispiel unter Frauen überhaupt verneint, „Unzucht zwischen Männern" wiederum fast 60 Jahre lang strafrechtlich verfolgt wurde. „Liebhaber" konnten bis zu fünf Jahren einsitzen, „Vergewaltiger Minderjähriger" bis zu acht Jahren. Die entsprechenden Artikel des Strafgesetzbuches wurden erst im Jahr 1993 abgeschafft. Noch 1992 wurden über 200 Personen wegen homosexueller Beziehungen zu Freiheitsstrafen verurteilt. Zuverlässige Angaben darüber, in welchem Ausmaß diese Straftatbestände tatsächlich verfolgt wurden, liegen nicht vor.

Im heutigen Russland wird eine unkonventionelle sexuelle Beziehung offiziell nicht strafverfolgt. In immerhin neun Regionen aber ist die Propaganda unter Minderjährigen verboten, namentlich in Sankt Petersburg und im Gebiet Nowosibirsk, wo die Gesetzesinitiative gestartet wurde. Zuvor hatte die Duma mehrfach vergleichbare Initiativen unter Berufung auf die Verfassung abgelehnt.

Vertreter der LGTB-Bewegung sind verschiedentlich gegen die Verabschiedung des Gesetzes mit Aktionen an die Öffentlichkeit getreten. Nach Aussagen des russischen LGTB-Netzes dient nicht eines der in den Regionen geltenden Gesetze dem Schutz Minderjähriger. Sie sind vielmehr reine Instrumente zur Unterdrückung zivilgesellschaftlicher LGBT- und Menschenrechtsaktivisten.

Wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte, führe die Verabschiedung des Gesetzes zu einer Einschränkung der Grundrechte sexueller Minderheiten und verstoße damit gegen die internationalen Verpflichtungen eines Landes, sie vor Diskriminierung zu schützen. Menschen würden für etwas vollkommen Legitimes bestraft, für ihre Selbstverwirklichung und den Wunsch nach einem authentischen Leben, das Gesetz ließe sich nämlich sehr weit auslegen, so die Auffassung der Menschenrechtsaktivisten.

Die öffentliche Meinung wird die Position der föderalen Gesetzgeber jedoch kaum ins Wanken bringen. Die stellvertretende Vorsitzende des Komitees für Angelegenheiten gesellschaftlicher Vereinigungen, früher Vorsitzende des Dumaausschusses für Familienfragen und Initiatorin des Adoptionsverbots russischer Kinder durch US-Bürger Jekaterina Lachowa glaubt, dass die gegen die Abgeordneten angerollte Kampagne nichts anderes als eine Intrige der „Homo-Lobby" auf höchster Ebene sei. „Ich denke, dass meine Kollegen entschieden auftreten werden. Umso mehr, als der Präsident in seiner Botschaft an die Föderationsversammlung geistige, moralische und familienbezogene Werte an erster Stelle gesetzt hat", erinnert die Abgeordnete in einem Gespräch mit Russland HEUTE.

Lachowa stimmt der Notwendigkeit von Änderungen am Gesetz zur zweiten Lesung zu, insbesondere einer Präzisierung des „Propaganda"-Begriffs. Schließlich könnten selbst die häufigen Parlamentsdebatten über dieses Gesetz als Propaganda ausgelegt werden. Die Politikerin schließt nicht aus, dass parlamentarische Anhörungen unter Hinzuziehung der Öffentlichkeit, unter anderem auch von Vertretern der LGBT-Bewegung erforderlich sein werden. Lachowa persönlich möchte jedoch Angehörige sexueller Minderheiten selbst nicht zu Wort kommen lassen. Die würden, so glaubt sie, dann ohnehin nur ihre Interessen verteidigen.

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