Für Gott und Vaterland

In den letzten Monaten wurden immer mehr Militärgeistliche rekrutiert die Moral russischer Soldaten zu stärken. Foto:  Ridus.ru / Wassilij Maksimow

In den letzten Monaten wurden immer mehr Militärgeistliche rekrutiert die Moral russischer Soldaten zu stärken. Foto: Ridus.ru / Wassilij Maksimow

Die Rekrutierung von Militärgeistlichen nimmt in Russland stetig zu, da die Regierung unter Wladimir Putin verstärkt auf traditionelle orthodoxe Werte zur Stärkung des Patriotismus unter den Soldaten setzt.

Auf einem mit Schnee bedeckten Feld mitten im Gebiet Rjasan, etwa 160 Kilometer von Moskau entfernt, lassen sich fünf kräftige russisch-orthodoxe Priester zu Boden fallen. Ihre Arme zeigen in Richtung Himmel. Doch was klingt, als würden diese Priester anfangen zu beten, ist tatsächlich die Vorbereitung auf ihren nächsten Fallschirmsprung.

Bald werden sie gemeinsam mit gewöhnlichen Militärkadetten in ein Flugzeug steigen, in die Höhe fliegen, aus dem Flugzeug springen und die Reißleine ihres Fallschirms ziehen – in der Hoffnung, dass Gott über sie wacht und der Fallschirm tatsächlich aufgeht.

 

Auf patriotischer Mission im Namen der Kirche

Die Priester sind die neuesten Rekruten einer anwachsenden Armee von Militärgeistlichen. Derzeit dienen knapp 1 000 Geistliche in der russischen Armee. Sie werden mitunter auch im Ausland eingesetzt, beispielsweise auf Militärstützpunkten in ehemaligen Ländern der Sowjetunion.

In den letzten Monaten wurden immer mehr Militärgeistliche rekrutiert, da Präsident Wladimir Putin seit seiner Wiederwahl im vergangenen Jahr der politischen Linie seiner Regierung verstärkt traditionelle orthodoxe Werte zugrunde legt. So lautet auch die Mission der Militärgeistlichen, die Moral russischer Soldaten und den Patriotismus in der Bevölkerung zu stärken.

Vater Michail Wasiljew, 41, ein ehemaliger Militärgeistlicher, der gemeinsam mit russischen Truppen in den Krisenherden Kosovo, Tschetschenien und Kirgisistan stationiert war, begleitet die „Fallschirmpriester" durch ihre Ausbildung und koordiniert die Beziehungen zwischen der Kirche und den Fallschirmeinheiten.

Eine kleine montierbare Kirche begleitet die Priester auf ihrer Mission. Diese wird ebenfalls mit einem Fallschirm zu Boden transportiert und dort von den Priestern und den Kadetten zusammengebaut. Dieser Kirchenbausatz nach IKEA-Art sei in den Bergen „sehr praktisch", da es dort keine Flugplätze gebe, so Vater Wasiljew. Letztes Jahr haben etwa 7 000 Soldaten „auf dem Feld" die Kommunion empfangen, so der Priester.

Während dem letzten von insgesamt elf Fallschirmsprüngen passierte für Vater Wasiljew das Unvorstellbare: Sein erster Fallschirm ging nicht auf und der zweite öffnete sich erst in einer Höhe von 610 Meter über dem Boden, was viel zu spät war, um den Fall noch aufzufangen. Infolge des Sturzes erlitt er schwere Wirbelsäulenverletzungen. Seitdem ist der Geistliche nicht mehr gesprungen. „Ich habe dank der Gnade Gottes überlebt", meint Vater Wasiljew. „Wenn man mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug springt, dann weiß nur Gott allein, ob sich dieser öffnen wird."

Die Militärgeistlichen erfüllen eine patriotische Mission der orthodoxen Kirche: Sie halten für Soldaten Gottesdienste ab und segnen Militärausrüstungen, von Schiffen bis Raketen, mit Weihwasser.

Die Verbindung der Orthodoxen Kirche mit Patriotismus in Russland reicht bis in die Zarenzeit zurück. Damals lautete das Credo der Alleinherrscher „Orthodoxie, Autokratie und Nationalität". Auch heute noch findet es starken Widerhall in der Politik und Gesellschaft Russlands. Unter den Bolschewiken wurde die Kirche zwar verfolgt und während des Regimes von Joseph Stalin wurden Kirchen in die Luft gesprengt, aber während des Zweiten Weltkriegs war es Priestern erlaubt, Gottesdienste abzuhalten. Damit wollte man eine Welle des Patriotismus erzeugen, um die Verteidigung des sowjetischen Vaterlandes voranzutreiben.

Der Drang, immer mehr Geistliche zu taktischen Zwecken zu rekrutieren, verstärkte sich aber besonders ab dem Zeitpunkt, als Sergej Schoigu, ein enger Verbündeter von Präsident Putin, im November des vergangenen Jahres zum Verteidigungsminister ernannt wurde. So wurden vom Ministerium alleine in den letzten Wochen 15 Geistliche rekrutiert, so der Hohepriester Sergij Priwalow, der die Beziehungen der Kirche mit dem Militär leitet.

 

Soldaten wird moralische Unterstützung geboten

Für Vater Wasiljew ist jedoch das große Vorhaben der Regierung, durch den Einsatz von Geistlichen den Patriotismus im Land zu stärken, eher von geringer Bedeutung. Für ihn ist es wichtiger, Soldaten, die sich in schwierigen Situationen befinden, moralisch zu unterstützen.

Bevor er 1999 seinen ersten Dienst als Militärgeistlicher im Kosovo ableistete, hatte Vater Wasiljew noch nie Wunden oder blutende Menschen gesehen. „Das kann einen ziemlich mitnehmen", sagt er.

Während der nächsten vier Jahre bereiste Vater Wasiljew Tschetschenien jährlich fünf bis zehn Mal, immer für mehrere Tage bis einige Monate, um dort für die Soldaten während des Zweiten Tschetschenien-Kriegs Gottesdienste abzuhalten. „Viele der Soldaten waren noch Jugendliche, denen man Gewehre in die Hände gedrückt hatte", erzählt der Geistliche. „Sie brauchten deswegen einen Priester, um wieder zu Verstand zu kommen."

In den Kriegszeiten wurden auch sehr viele Soldaten getauft, erklärt Vater Wasiljew. „Viele wenden sich an Gott, wenn sie großer Gefahr ausgesetzt sind", sagt er und erinnert sich daran, „wie natürlich es sich anfühlte, wenn man über ein Minenfeld ging und dabei zu Gott betete".

Neben dem Abhalten von Gottesdiensten organisierte Vater Wasiljew in der Heimat verschiedenste Sachen für die Soldaten in Tschetschenien und brachte sie ihnen später mit, darunter Süßigkeiten, Socken, Fäustlinge und Rasierutensilien, aber auch Navigationssysteme und Kettensägen. Außerdem war er damit beschäftigt, ältere Menschen aus Grosny nach Moskau zu evakuieren, wo sie in Altersheimen untergebracht wurden. „Das waren zurückgelassene alte Menschen. Viele von ihnen hatten ihre Familien verloren", erzählt er. „Wir mussten nach ihnen in zerstörten Häusern, Schützengräben und sonst wo suchen."

Soldaten kommen in vielen Situationen zu Vater Wasiljew, um Rat bei ihm zu holen: Sie suchen ihn auf, wenn sie einer Frau einen Heiratsantrag

machen wollen, oder wenn sie nicht wissen, ob sie noch beim Militär bleiben sollen, oder sie kommen zu ihm, wenn sie schwere Verletzungen im Krieg erlitten haben.

„Wir helfen Soldaten, das Menschliche in sich nicht zu verlieren, damit sie nicht zu Tieren werden", erklärt der Geistliche. Aber seine geistliche Tätigkeit sei auch oft sehr banaler und profaner Art. „Nüchtern betrachtet geht es eigentlich darum, so viele wie möglich davor zu bewahren, ihre Ehefrauen zu betrügen oder ihr Vaterland zu verraten. Es liegt nicht in meiner Verantwortung, mich mit der Feuertaufe zu befassen. Obwohl meine Ziele, Sünden und Erniedrigungen zu bekämpfen sowie Schimpfworten und Flüchen Einhalt zu gebieten, auch eher unrealistisch sind."

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