Tanya Bessonova. Foto aus dem persönlichen Archiv.
Tanya Bessonova (23) war als 20-Jährige an der Universität Potsdam im Studiengang Politikwissenschaft eingeschrieben. In Sankt Petersburg studierte die gebürtige Sachalinerin (russische Insel im Pazifik nördlich von Japan) Public Relations am Institut für Ökonomie und Recht. In Deutschland war sie erstmals als 18-Jährige zu Besuch. Um dort ein Auslandsstudium machen zu können, lernte sie am Goethe-Institut ein Jahr lang Deutsch.
„Es war mir klar, dass ich ein Hindernis vor mir hatte: Weder mein Deutsch noch mein Englisch waren besonders gut", erzählt mir Tanya am Telefon, „doch die Uni Potsdam bietet ein Propädeutikum für ausländische Studierende an. Daran habe ich teilgenommen und dabei mein Deutsch verbessert. Nach sechs Monaten habe ich die DSH-Prüfung (Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang) absolviert und bestanden. Das erste Semester habe ich fast nur mit dem Erlernen der Sprache verbracht: Phonetik, Grammatik und so weiter."
Russland HEUTE: Waren denn die ersten Erfahrungen dort so, wie Du es Dir vorgestellt hast, und was war anders als erwartet?
Tanya Bessonova: Es war schwieriger, als ich es erwartet hatte. Bei dem vielen Deutschlernen habe ich mein Englisch fast vergessen. Und ich hatte gedacht, dass Englisch mein Rettungsboot sein würde, wenn ich etwas auf Deutsch noch nicht sagen könnte. Plötzlich ging das aber nicht mehr so richtig. Die Menschen auf der Straße und in der Uni waren aber geduldig mit mir und meinen Sprachproblemen. Überhaupt hatte ich mir die Uni weniger freundlich vorgestellt. Ich dachte, sie sei anonymer. Meine Tutorin zum Beispiel war sehr hilfsbereit und half mir bei den Problemen, die ich hatte. Auch die Atmosphäre war freundlicher, als ich es bisher kannte.
Hattest Du ein Bild von Deutschland, bevor Du kamst, und hat es sich geändert?
Wie viele Russen hatte ich die Vorstellung, dass alle Deutschen ‚quadratisch, praktisch, gut' sind. Ehrlich gesagt ist das auch nicht ganz falsch. Aber damit verbunden war auch die Vorstellung, dass sie nicht können, was man „Thinking out of the box" nennt. Und das stimmt nicht. Sie waren dann doch selbstständiger und selbstbewusster, als ich es erwartet hatte." Dann fällt ihr eine Anekdote ein: „In Russland gibt es den Unterschied zwischen Warm- und Kaltmiete nicht, da die Heizung oft nicht reguliert werden kann. Entweder sie ist an oder aus. Wenn es zu kalt ist, zieht man sich etwas über, und wenn es zu heiß wird, dann macht man das Fenster auf. Bevor ich herkam, haben mich Freunde gewarnt, dass diese
Praxis in Deutschland schnell sehr teuer werden kann. Richtig verstanden habe ich das erst, als ich hier war.
Was waren die wertvollsten Erfahrungen für Dich?
Dass es auch internationale Dozenten an der Uni gab, fand ich gut. Ich erinnere mich auch an eine Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung über russische Politik, an dem ich teilgenommen hatte. Die Veranstaltung zog viele Besucher an, nicht nur Studenten und Dozenten, sondern auch normale Berufstätige. Und sie hatten individuelle Meinungen, bei denen man hörte, dass sie nicht nur nachgeplapperte TV-Meinungen waren. Diese Begegnungen haben mir gefallen.
Wie ist es mit persönlichen Kontakten?
Ich halte noch viele Kontakte, auch zu anderen internationalen Studenten aus Georgien, Moldawien, Polen, Bulgarien und den USA zum Beispiel."
Gibt es Dinge, die Du gerne vor dem Austausch gewusst hättest, oder die Du gerne verbessern würdest?
Ich wünschte mir, ich wäre nicht so scheu gewesen und hätte mehr mit Menschen kommuniziert. Es hat sich ja herausgestellt, dass ich wegen der Sprachbarriere gar nicht so besorgt hätte sein müssen.
Was würdest Du Studenten empfehlen, die sich überlegen, semesterweise ins andere Land zu gehen?
Habt keine Angst, kommt und seid aktiv, seid nicht träge, geht raus und redet mit vielen Menschen, lernt sie kennen!
Tanya arbeitet jetzt als Assistenz der Geschäftsführung eines Unternehmens in Sankt Petersburg. Sie bedauert, dass sie zurzeit mehr mit Englisch als mit Deutsch zu tun hat. Sie möchte allerdings bald beruflich in einem Feld tätig sein, in dem sie mehr mit Deutsch und Deutschen zu tun haben wird.
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