Migration: Russland will ehemalige Sowjetbürger als Arbeitskräfte

Ein seit fünf Jahren laufendes Regierungsprogramm zur Rückführung ehemaliger Sowjetbürger nach Russland hat kaum Erfolg. Foto: Lori/Legion Media

Ein seit fünf Jahren laufendes Regierungsprogramm zur Rückführung ehemaliger Sowjetbürger nach Russland hat kaum Erfolg. Foto: Lori/Legion Media

Seit fünf Jahren will ein Regierungsprogramm ehemalige Sowjetbürger zur Rückkehr nach Russland bewegen und damit den Arbeitskräftemangel im Land bekämpfen. Aber das Programm hat wenig Erfolg.

Dank des staatlichen Programms zur Förderung des freiwilligen Umzugs von Landsleuten aus dem Ausland nach Russland sind bis heute etwa 15 000 Menschen nach Russland emigriert. Bei der Planung des Programms rechnete man damit, dass der Zuwanderungsstrom Hunderttausende Menschen pro Jahr umfassen würde. Darüber hinaus glaubte man, dass durch die Zuwanderung auch das Problem des Arbeitskräftemangels gelöst werden könne. Jedoch entsprechen jene Orte, an denen die Migranten angesiedelt werden sollen, nicht immer deren Vorstellungen.

 

Anreize schaffen gegen den Arbeitskräftemangel

In den sechs Jahren, in denen das Umsiedlungsprogramm nun existiert, haben sich die Begünstigungen für den freiwilligen Umzug praktisch nicht verändert. So ist es den Migranten laut Programmregelung erlaubt, einen Fünf-Tonnen-Container mit Möbeln für eine dreiköpfige Familie ins Land zu bringen, ohne dafür Zollgebühren zahlen zu müssen. Außerdem werden die Kosten für die Zugtickets zurückerstattet und es fallen auch keine Zollgebühren für die Einfuhr eines PKWs an.

Nach dem Umzug in die von Beamten ausgewählten Regionen zahlt man den Umsiedlern eine einmalige Beihilfe aus, bis zu 5 500 Euro für den Antragsteller und 2 750 Euro für jedes weitere Familienmitglied. Als bevorzugte Regionen werden dabei die grenznahen Gebiete betrachtet, wo die klimatischen Bedingungen eher ungünstig sind. Dazu zählen Burjatien, Transbaikalien, die Regionen Kamtschatka, Primorje sowie Chabarowsk und die Oblasten Amur, Irkutsk, Madagan, Sachalin sowie die Jüdische Autonome Oblast. In den anderen Regionen betragen die Beihilfen weniger: nur 900 bis 1 400 Euro.

„Das Programm ist dafür vorgesehen, den Arbeitskräftemangel in jenen Regionen zu kompensieren, in denen eine schwierige demografische Situation vorherrscht. In der Realität jedoch können die Umsiedler am Arbeitsmarkt nicht mit der örtlichen Bevölkerung konkurrieren", erklärt Natalja Pronina, die mit ihrer Familie in die Oblast Lipezk umgesiedelt ist.

 

Natalja Pronina, die in Taschkent ihr ganzes Leben lang als Krankenschwester tätig war, hatte Glück, denn in Lipezk gab es ein Defizit an Gesundheitsfachpersonal. Man half ihr, in der Notfallambulanz eine Stelle zu bekommen, ihr selbst zahlte man eine Beihilfe in Höhe von 900 Euro und den anderen fünf Familienmitgliedern jeweils 350 Euro. „Da wir in der Stadt niemanden kannten, sind wir in ein Hotel für Umsiedler gezogen, wo wir pro Person und pro Nacht drei Euro zahlten. Allerdings war uns das zu teuer, weswegen wir eine Wohnung gemietet haben", erzählt Pronina.

Ihr Mann hingegen konnte nur inoffiziell eine Stelle in einer Möbelfabrik bekommen, bei der er Sofas überzieht, obwohl er in seiner Heimat als Ingenieur tätig war – ohne Staatsbürgerschaft wird eben niemand offiziell angestellt. Fast das gesamte, aus dem Verkauf des in Taschkent befindlichen Hauses gewonnene, Geld gab die Familie für Lebensmittel sowie für die gemietete Wohnung aus. „Mit dem Geld konnte man in Lipezk ohnehin nur ein Zimmer kaufen", erklärt sie.

 

Unzumutbare Auflagen schrecken Migranten ab

Für Umsiedler ist es somit fast unmöglich, eine Wohnung zu kaufen. Laut Angaben des Föderalen Migrationdienstes der Oblast Lipezk konnten sich von allen Programmteilnehmern nur zehn Prozent auf eigene Kosten eine Wohnung leisten, vier Prozent sind in temporäre Unterbringungszentren gezogen und die restlichen Umsiedler haben eine Wohnung gemietet.

Gemäß dem Gesetz ist für Umsiedler zwar eine Vergabe von Krediten zur Finanzierung von Immobilien vorgesehen, jedoch habe in drei Jahren keine einzige umgesiedelte Familie von diesem Recht Gebrauch gemacht.

„Die Auflagen sind unzumutbar", meint Walerij Pronin. „Man muss, um einen Kredit zu bekommen, erst zwei Bürgen finden. Und bevor wir nach Lipezk kamen, kannten wir niemanden. Außerdem muss man ein geregeltes und hohes Einkommen haben, aber ohne Staatsbürgerschaft wird man eben nur inoffiziell angestellt. Auch muss man am Wohnsitz ständig gemeldet sein, und wer macht das schon bei einer gemieteten Wohnung?"

Über die gesamte Dauer des Programms sind lediglich 70 000 Menschen wieder nach Russland zurückgekehrt. Bei einem beträchtlichen Teil davon handelt es sich um gering qualifizierte Arbeiter. Bei einigen wurde die Niederlassungsbewilligung sogar eingeschränkt, sodass sie in einer bestimmten Region erst zwei Jahre leben mussten, um das Recht zu erhalten, sich in einer anderen Region Russlands niederzulassen.

„Bei einem Verstoß gegen diese Auflage hat man von den Umsiedlern die Beihilfen wieder zurückgefordert. Noch vor einem Jahr war es sogar verboten, in einen anderen Bezirk der Region umzuziehen. Immerhin will nicht jeder ständig in einem Dorf leben", erklärt Swetlana Gannuschkina, Vorsitzende der Organisation „Graschdanskoe Sodejstwie" („Bürgerhilfe").

Einen Teil der ehemaligen Sowjetbürger, die gemäß den Programmbestimmungen über ein solches Recht verfügen würden, wiesen die regionalen Behörden sogar ab.

„Wir haben uns dazu entschlossen, der in der Oblast Nowgorod tätigen Programmleitung zu schreiben und zu fragen, welchen Bezirk sie uns

empfehlen könnten", erzählt Elena Minakowa, die in die Nowgoroder Region umgesiedelt ist.

Während sie auf Antwort von der Programmleitung wartete, arbeitete Minakowa illegal als Kindermädchen. Alle drei Monate musste sie mit ihrer Familie nach Kirgisien fahren, um sich dort an der Grenze zu melden, da es Bürgern, die aus dem grenznahen Ausland stammen und nur über ein befristetes Visum verfügen, nicht erlaubt ist, länger als drei Monate in Russland zu bleiben.

„Nach drei Monaten antwortete man uns dann, dass die Programmleitung nicht über das Recht verfüge, für uns die Entscheidung bezüglich eines passenden Bezirks zu treffen. Wir schrieben ihnen jedoch noch einmal. Denn immerhin ziehen wir mit unseren Familien um und müssen alles in Kirgisien zurücklassen, alles verkaufen und unsere Staatsbürgerschaft ablegen. Wir mussten irgendeine Sicherheit haben, dass man uns im Bezirk aufnehmen wird. Später hat man uns dann angehört und uns vorgeschlagen, eine Bewerbung zu verfassen."

 

Der Staat ist um Problemlösungen bemüht

Experten glauben, dass die Umsiedler auch in die vom Staat bevorzugten Regionen, wo das Klima rauer ist, umziehen könnten, wenn man dort anstatt lediglich Beihilfen auszuzahlen, günstigere Lebens- und Arbeitsbedingungen schaffen würde. Die Schaffung solcher Bedingungen für die „Heimkehrer" ist aber noch Zukunftssache.

Im Ministerium für regionale Entwicklung ist man zudem überzeugt, dass das Programm ein enormes Potenzial in sich birgt. „Natürlich stoßen wir auf Probleme, die mit der Umsetzung des Programms zusammenhängen, doch wir haben alles daran gesetzt, um diese in konkreten Fällen zu lösen. So wurde die ganzen Jahre über daran gearbeitet, mehr Regionen in das Programm miteinzubeziehen," sagt Olga Wychowanez, stellvertretende Leiterin der Abteilung „Umsetzung des staatlichen Programms zur Förderung des freiwilligen Umzugs von Landsleuten aus dem Ausland nach Russland" im Ministerium für regionale Entwicklung.

Sie hätten festgestellt, dass ein beträchtlicher Teil der potenziellen Umsiedler von einem Umzug absieht. Die meisten wollten zu ihren Verwandten und Bekannten oder in Regionen ziehen, wo sie eine Chance auf eine gut bezahlte Stelle haben und schnell einen Wohnsitz finden können. Doch oft seien die von ihnen bevorzugten Regionen nicht Teil des Programms und ihnen stünde somit keine Hilfe beim Umzug zu.

„Die vom Ministerium für regionale Entwicklung und den Subjekten der Russischen Föderation aufgebrachten Mühen brachten entsprechend

Ergebnisse: 2009 traten dem staatlichen Programm zehn neue Regionen bei und gegen 2012 wuchs die Zahl der teilnehmenden Subjekte auf 40 an. Das macht praktisch die Hälfte des Landes aus", so Wychowanez. „Dieses Programm ist bis dato das einzige umfassende staatliche Programm, das im Bereich der Migration umgesetzt wird, und könnte als Modell für weitere Migrationsprogramme dienen."

Die Beamten zeigen sich zuversichtlich, die Probleme in den Griff zu bekommen: Anfangs sei geplant gewesen, ehemalige Sowjetbürger in Russland nur bis 2012 aufzunehmen, doch inzwischen sei man dazu bereit, sie jederzeit zu empfangen.

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