Terroranschlag in Wolgograd: Motive weiterhin unklar

Die Selbstmordattentäterin, die den Anschlag in der südrussischen Stadt Wolgograd verübte, stand seit Langem unter Bobachtung durch die Sicherheitsdienste. Nach Aussagen von Nachbarn war die religiöse Frau schwer krank und hatte finanzielle Sorgen.

Mitarbeiter des Ermittlungskomitees der Russischen Föderation und weitere Ermittler setzen die Untersuchung der Explosion in einem Reisebus in Wolgograd am Dienstag fort. Wie der offizielle Vertreter des Ermittlungskomitees, Wladimir Markin, berichtete, wurden bis zum gestrigen Tag durch die Ermittlungsbeamte mehr als 50 Augenzeugen befragt. Die mutmaßliche Terroristin Naida Asijalowa aus Dagestan ist demnach mit dem Reisebus der Linie Machatschkala–Moskau bis nach Wolgograd gereist. Aus bisher unbekanntem Grund verließ sie den Reisebus ca. eine Stunde vor der Explosion in der Nähe der Wolgograder Akademie des Ministeriums des Innern.

Laut dem vorläufigen Ermittlungsergebnis war die Sprengkraft der Explosion geringer, als zunächst von den Massenmedien vermutet – sie entsprach ungefähr einem halben Kilogramm TNT. Der Sprengstoffgürtel war zur Verstärkung seiner zerstörerischen Wirkung jedoch mit Dübeln gespickt. Nach Angaben der Ermittler hatte Asijalowa einen Fahrschein für den interregionalen Reisebus nach Moskau gekauft, diesen aber in Wolgograd verlassen, als er fast schon aus der Stadt herausgefahren war. Anschließend kehrte sie in das Zentrum Wolgograds zurück. Entweder war dieses Vorgehen so geplant gewesen oder aber Asijalowa änderte ihren Plan.

Laut den Sicherheitsdiensten wurde Naida Asijalowa der Sprengstoffgürtel von ihren Mittätern erst in Wolgograd übergeben, da dies in Machatschkala zu riskant gewesen wäre. Er wäre wahrscheinlich noch vor dem Einsteigen in den Reisebus bei der Personenkontrolle aufgespürt worden. In Machatschkala werden solche Kontrollen der Überlandbusse schon seit Längerem durchgeführt.

Quelle: YouTube

Nach Informationen von Rossijskaja Gaseta standen Asijalowa und ihr Umfeld bereits seit Langem im Visier der russischen Sicherheitsdienste. Angeblich sei deren Festnahme bereits beschlossen gewesen. Asijalowa wusste, dass nach ihr gefahndet wurde und hielt sich deshalb auch nicht längere Zeit an ein und demselben Ort auf.

Nach Meinung der Sicherheitsdienste sei es für den terroristischen Untergrund in den vergangenen Jahren zunehmend schwerer, Nachwuchskräfte zu rekrutieren. Die meisten Verbrecher seien entweder bereits nicht mehr am Leben oder befinden sich in Haft. Deshalb handle es sich bei den heutigen „Glaubenskämpfern“ um ehemalige Studenten oder gar Schüler. Die meisten von ihnen würden über das Internet angeworben. 

Wer war Naida Asijalowa?

Die Tat der mutmaßlichen Selbstmordattentäterin versetzte die Bewohner ihres 2 500 Menschen zählenden Heimatdorfes Guniba in den Bergen Dagestans im Süden Russlands in einen tiefen Schock.

Russischer Pass der mutmaßlichen

Terroristin Naida Asijalowa. Foto: AP

„Ich kenne diese Familie recht gut“, erzählte die Nachbarin Asijalowas, Patimat Naschmudi, einem Journalisten der lokalen Zeitung. „Sie wohnen in einem kleinen Haus. Rawsat Asijalowa, die Mutter der Terroristin, lebt nach dem Auszug ihrer Töchter inzwischen allein. Sie arbeitet als Briefträgerin. Naida lebte bis zu ihrem fünften Lebensjahr in einem Kinderheim. Dass sie überhaupt existierte und dass die Mutter sich von ihr getrennt hatte, war niemandem bekannt. Als das Kinderheim in den 1980ern geschlossen wurde, erhielt der Großvater einen Brief mit der Nachricht, dass seine Enkelin sich dort befinde. Daraufhin nahmen sie das Mädchen zu sich.“

Ihr Heimatdorf habe Naida Asijalowa schon vor Langem verlassen, erzählen andere Nachbarn. Damals sei sie nicht besonders religiös gewesen, doch das habe sich vor drei Jahren geändert: „In den dagestanischen Dörfern sind die meisten Bewohner gläubig. Aber sie haben keine missionarischen Ambitionen und versuchen auch nicht, den Älteren beizubringen, wie und wem man glauben soll. Doch genau das machte Naida. Letztendlich sagte ihr Vater sich öffentlich von ihr los. Später dann fuhr die Mutter zu ihrer Hochzeit nach Moskau. Sie rühmte sich damit, was für einen tollen Ehemann ihre Tochter habe, einen Türken. Naida hatte Probleme mit der Gesundheit. Der türkische Ehemann bezahlte all die teuren Zahnarztrechnungen.“

Bald hätten die neuen Zähne zu schmerzen begonnen. Die Kronen hätten entfernt werden müssen, da alles entzündet war. Die Rede sei gar von einem Sarkom gewesen, bei dem die Knochen faulen. Der türkische Ehemann habe die Scheidung eingereicht, und das Geld habe nun nicht mehr für die Behandlung, selbst nicht einmal für die täglichen Ausgaben gereicht. In sozialen Netzwerken habe sie Naida Asijalowa versucht, Geld für die Operation zu sammeln. Die Nachbarn schließen nicht aus, dass sich auf ihren Aufruf hin möglicherweise auch Verbrecher meldeten, die ihr die Medikamente beschafften und sie in die Abhängigkeit trieben.

Bei den Kämpfern erhielt Asijalowa einen zweiten, einen islamischen Namen zu: Amaturachman. Ihr zweiter Ehemann, eine Russe, der ebenso der terroristischen Gruppierung angehört, hat den Spitznamen „Schiraf“ („Giraffe“).

Ihren neuen Ehemann Dmitrij Sokolow habe die junge Frau in Moskau bei einem Arabisch-Lehrgang kennengelernt. Es heißt, er sei zum Islam übergetreten und zu einem aktiven Mitglied der organisierten Kriminalität in Machatschkala geworden, wo er sich zum Sprengstoffexperten entwickelte. Er sei es auch gewesen, so behaupten es die Rechtsschutzorgane, der seinerzeit die Sprengvorrichtungen für den Anschlag auf Geschäfte in Machatschkala anfertigte.

„Sokolow, der den Namen Abdul Jabbarangenommen hat, ist Mitglied der Bandengruppierung von Machatschkala. Er fertigte auch den Sprengstoffgürtel an, mit dem die Terroristin Madina Alijewa sich im Zentrum Machatschkalas in die Luft sprengte. Damals kam eine Person ums Leben, mehr als 15 wurden verletzt“, heißt es aus den Staatsschutzbehörden der Republik Dagestan.

Dieser Beitrag erschien zuerst in Rossijskaja Gaseta.

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