Wolgograd: Terroranschläge erschüttern Millionenstadt

Nach drei Terroranschlägen werden die Sicherheitsmaßnahmen an Bahnhöfen und in Flughäfen im ganzen Land verstärkt. Foto: ITAR-TASS

Nach drei Terroranschlägen werden die Sicherheitsmaßnahmen an Bahnhöfen und in Flughäfen im ganzen Land verstärkt. Foto: ITAR-TASS

Die südrussische Stadt Wolgograd ist in zwei Monaten von drei Terroranschlägen erschüttert worden. Die Sicherheitsmaßnahmen sollen nun weiter verstärkt werden – doch die Frage, warum die Anschläge passieren konnten, bleibt.

Wolgograd liegt im Süden von Russland, jedoch relativ weit von den Konfliktherden und föderal wichtigen Städten sowie rund 700 Kilometer von dem Durchführungsort der Olympischen Winterspiele Sotschi entfernt. Hier ist es am Sonntag und Montag bereits zum zweiten und dritten Mal innerhalb der letzten zwei Monate zu einer Tragödie gekommen. Im Bahnhof gab es eine Explosion, bei der 18 Menschen starben – schlimmere Folgen konnten von dem Sicherheitssystem des Bahnhofs verhindert werden. Am Montagmorgen kam es zur Explosion in einem Oberleitungsbus, bei der mindestens zehn Menschen ums Leben kamen. Nun wurden die Sicherheitsmaßnahmen in allen Bahnhöfen und Flughäfen des Landes verstärkt.

 

Augenzeugen berichten von einer Selbstmordattentäterin

Ein russisches Sprichwort sagt, ein Geschoss fällt nicht zweimal auf dieselbe Stelle. Wolgograd, das von „Brennpunkten" weit entfernt liegt, widerlegte diese Annahme: Bereits zum dritten Mal während der letzten zwei Monate wurde die Stadt Ziel eines Terroranschlags. Vor zwei Monaten sprengte eine Selbstmordattentäterin einen Nahverkehrsbus in die Luft, am Sonntag gab es eine Explosion auf dem Bahnhof „Wolgograd-1" im Zentrum der Stadt und am Montag nun eine Explosion in einem Oberleitungsbus.

Wasilisa Wasiljewa arbeitet in einer Küche im Gebäude gleich gegenüber des Bahnhofs in Wolgograd und erinnert sich an die Ereignisse am Sonntag: „Die Explosion war so stark, dass sie unser Haus erschütterte. Wir dachten, wir würden selbst in die Luft gesprengt werden", erzählt die junge Frau. „Wir rannten auf die Straße und sahen, dass die Explosion vom Bahnhof kam. Auf der Treppe am Haupteingang lagen Menschen, die Explosion hatte alle Fenster im Gebäude zerstört, und aus den Fenstern des zweiten Stocks im mittleren Bereich, wo die Skulpturen stehen, quoll schwarzer Rauch hervor. Die Bahnhofsuhr war im Moment der Explosion stehengeblieben, genau um 13:07 Uhr. Mein Freund Pascha rief sofort seinen Freund an, der bei der Polizei am Bahnhof arbeitet. Der antwortete, dass er verletzt sei und nicht sprechen könne. Da verstanden wir, dass etwas Schlimmes passiert war."

Nach vorläufigen Angaben sind 18 Menschen ums Leben gekommen und 37 wurden verletzt, von ihnen nur sieben leicht. Unter den schwerverletzten Opfern ist auch ein siebenjähriges Mädchen. Rettungswagen und die Feuerwehr waren umgehend vor Ort. Die Polizei umzingelte das Gebäude, die ersten Kommandos mit Spürhunden und Sprengstoffexperten rückten an.

Wie Augenzeugen berichteten, habe eine Frau ihre Tasche auf das Band des Röntgengeräts gestellt und sei durch den Metalldetektor gegangen. In diesem Moment sei der Sprengsatz detoniert. Nach dem Anschlag im November wurden die damals verstärkten Sicherheitsvorkehrungen weiter aufrechterhalten. Die Metalldetektoren und das Röntgengerät funktionierten am Sonntag einwandfrei, doch wie es aussieht, war die Stadt dennoch angreifbar.

Beinahe sofort nach der Explosion gab die Nationale Terrorrkommission bekannt, dass es sich um eine Selbstmordattentäterin gehandelt haben könnte. Das Strafverfahren im Zusammenhang mit der Explosion wurde in zwei Anklagepunkten des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation eröffnet: „Terroranschlag" und „Gesetzeswidrige Verbreitung von Sprengsätzen und Sprengstoffen".

 

„Ich wurde von einem Lichtblitz geblendet"

An diesem Unglückstag war auch Walentina Ustinowa mit ihrem Neffen Iwan Konowalow aus der kaukasischen Stadt Kisljar nach Uljanowsk, das an der Wolga liegt, unterwegs. In Wolgograd mussten sie umsteigen und hätten um 15 Uhr den Zug „Kislowodsk-Jekaterinburg" nehmen sollen. In der südrussischen Stadt hatten sie mehrere Stunden Aufenthalt, die sie damit verbrachten, in der Stadt spazieren zu gehen. Als sie in den Warteraum am Bahnhof zurückkehrten, geschah es.

„Am Anfang gab es einen kleinen Knall", berichtet Iwan, „ich dachte, dass jemand ein Knallbonbon vor Neujahr hat explodieren lassen. Dann knallte es aber richtig, mit Fensterglassplittern und Feuer. Ich habe es noch geschafft, das Gesicht mit den Händen zu verdecken. Wir waren relativ weit von der Explosion entfernt, und doch hat die Flamme meinen Mantel angesengt. Über das Fenster gelangten wir schnell ins Freie."

Swetlana Demtschenko und ihre Freundin befanden sich in der Nähe des Explosionsorts. „Ich wurde von einem Lichtblitz geblendet und bin auf den Boden gefallen. Wahrscheinlich hat mich das gerettet", erzählt Swetlana.

Tatjana und Ljudmila arbeiten in der Putzkolonne des Bahnhofs und reinigten dort den zentralen Bereich des Gebäudes, wo die Metalldetektorrahmen aufgestellt sind. Doch sie hatten Glück: Um 13 Uhr hatten die Frauen Mittagspause und sie gingen ins Kellergeschoss, um in einem Dienstraum zu essen. Wenige Minuten später kam es zur Explosion.

 

Wolgograd ist auf den Terror vorbereitet

Nach dem Unglück stauten sich in der Nähe der Stadt die Fernverkehrszüge. Anderthalb Stunden nach dem Terroranschlag hatte die Direktion der „Wolga-Eisenbahn" das An- und Abfahren der Regionalzüge organisiert: Der provisorische „Bahnhof" liegt gegenüber des Hauptbahnhofs und ist mit einer Fußgängerunterführung mit diesem verbunden. In den anliegenden Straßen des abgeriegelten Bahnhofs stauten sich Reisende und Menschen, die Reisende abholen wollten.

Der Gouverneur der Region Sergej Boschenow sagte, dass die Familien der Getöteten finanzielle Hilfe in Höhe von 22 220 Euro aus dem Reservehaushalt der Wolgograd-Region erhalten würden, unabhängig davon, wo die Verstorbenen wohnten. Die Verletzten würden 4 445 Euro erhalten, diese Summe werde abhängig von der Schwere der Verletzungen noch erhöht.

„Jetzt arbeiten alle städtischen Dienste nach dem Schema, das bereits im Oktober angewandt wurde", sagt Boschenow. „Aber ich möchte betonen: Es gibt keine Angst und Panik unter der Bevölkerung in Wolgograd. Alle Krankenhäuser verfügen über das Notwendige, um den Verwundeten zu helfen. Wir haben auch Kontakt zu Krankenhäusern in der Hauptstadt und werden bei Bedarf Verletzte nach Moskau transferieren. In Moskau wird ein Flug des Rettungsdienstes für einen möglichen Transport der Verletzten vorbereitet." Die Schwerstverletzten befinden sich zur Behandlung im städtischen Notfallkrankenhaus Nr. 25. Die Art der Verletzungen sei zumeist explosions- oder feuerbedingt.

 

Gab es mangelnde Sicherheitsvorkehrungen?

Experten schweigen bisher und antworten nicht auf die Frage, warum die Tragödie in der Stadt an der Wolga sich wiederholt hat. Auch vor dem Hintergrund des dritten Terroranschlags am Montagmorgen, bei dem ein Oberleitungsbus während des Berufsverkehrs explodiert war, wird die Frage nach mangelnder Sicherheit geklärt werden müssen.

Zunächst aber seien die Sicherheitsvorkehrungen an allen Transportknotenpunkten des Landes noch einmal verstärkt worden, wie die Nachrichtenagentur „Interfax" unter Berufung auf die Pressestelle des Innenministeriums berichtet.

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