In wenigen Jahren wurde die Infrastruktur für die Olympischen Winterspiele in Sotschi aus dem Boden gestampft. Foto: Photoshot/Vostock Photo
Wenn die 22. Olympischen Winterspiele am 7. Februar starten, könnten so manche Sportfans überrascht sein: futuristische, hypermoderne Stadien direkt am Meer, ein atemberaubendes Panorama inmitten der schneebedeckten Berge des Kaukasus und ein von subtropischen Palmen eingerahmter Olympischer Park. Die Entwicklung des Bade- und Kurorts Sotschi zur Olympia- Gastgeberstadt war ein gewaltiges Unterfangen, das für ein „neues Russland" stehen soll, einer Großmacht mit einer modernen Wirtschaft.
Noch vor ein paar Jahren existierte praktisch nichts von der heutigen Infrastruktur. Die letzten Arbeiten an vielen olympischen Stätten – einschließlich des Stadions, in dem die Eröffnungs- und die Abschlussveranstaltung stattfinden sollen – wurden erst zu Neujahr fertiggestellt. Für die russischen Sportler werden also die Wettkampfstätten ebenso neu sein wie für ihre ausländischen Kollegen. Russland hat, als seine Wahl auf Sotschi als Austragungsort der Winterspiele fiel, ein altgedientes Modell auf den Kopf gestellt.
Russland bricht bewährte Traditionen
Dieses existierte so lange, wie Olympische Spiele lediglich in den USA, in Kanada und in Europa stattfanden, und bestand darin, ein altbewährtes Wintersport gebiet auszuwählen, es aufzupolieren und paar moderne Elemente hinzuzufügen. Russland dagegen schlug vor, in einer Stadt ohne große Alpinsporttradition, die eher als Sommerferienort an der „Russischen Riviera" bekannt ist, die Wettkampfstätten förmlich aus dem Boden zu stampfen. Weltweit spekuliert man darüber, ob es in Anbetracht des subtropischen Klimas am Schwaren Meer zu Olympia 2014 wirklich schneien wird.
Vor einem Jahrzehnt verfügte Sotschi über ein einziges Skigebiet. Damals ließ nichts vermuten, dass die Stadt einmal Austragungsort der Olympischen Spiele werden könnte. Alles hatte sich geändert, als Präsident Putin die Berge von Krasnaja Poljana zum Skifahren entdeckte und seitdem regelmäßig seinen Urlaub dort verbrachte.
Um die wohlhabenden Russen zu überzeugen, sich in den Skigebieten bei Sotschi statt im Ausland zu erholen, wurden keine Kosten gescheut. Rosa
Chutor ist das Kronjuwel unter den Skigebieten und zeichnet sich durch eine Abfahrtslänge von dreieinhalb Kilometern aus. Bei den Wettkämpfen müssen die Teilnehmer einen Höhenunterschied von 1075 Metern überwinden. Die Infrastruktur wurdemithilfe westeuropäischer und amerikanischer Experten gebaut. Blickt man vom Gipfel, könnte man meinen, man sei in den Schweizer oder österreichischen Alpen. Olympische Skiläufer aus den USA, die von einem Besuch in Sotschi zurückkehrten, berichteten von einem „winterlichen Disneyland".
Kritiker – und derer gibt es viele – monieren, dass Sotschi Putins persönliches Prestigeprojekt sei, der großangelegte Versuch, Russland wieder ins internationale Rampenlicht zu rücken. Andere weisen auf die explo dierenden Kosten hin – derzeit 40 Milliarden Euro –, die Sotschi zu den teuersten Spielen in der olympischen Geschichte werden lassen. Auch für die Bewohner stellte die emsige Bautätigkeit eine Belastung dar: Über die letzten Jahre war die Stadt eine der größten Baustellen Europas.
Was kommt danach?
Sotschi – das werden die größten und extravagantesten Olympischen Spiele der jüngsten Geschichte. 123 Tage dauerte schon der Fackellauf, in
dessen Zuge das Olympische Feuer an Bord der Internationalen Raumstation ISS gebracht und in einem aktiven Vulkan und den Tiefen des Baikalsees versenkt wurde. Nie wurden so viele Medaillen verliehen, wie es für diesen Februar in Sotschi geplant ist.
Aber die echte Bewährungsprobe steht an, wenn die Spiele vorbei sind. Dann stellt sich die Frage, ob sich die Region auch für den internationalen Tourismus als tauglich erweist. Schon jetzt gibt es für jedes olympische Bauobjekt Pläne für seine Nutzung danach. Erst kürzlich war das Eishockeystadion Veranstaltungsort des International Investment Forum. Das Olympische Dorf an der Küste soll ein exklusiver Wohnkomplex werden. Einige Anlagen werden demontiert und an anderer Stelle als „Geschenk an die Nation" wieder aufgebaut.
Peking, Sotschi, Rio de Janeiro
Und auf Sotschi warten schon die nächsten großen Ereignisse: Im Frühjahr findet hier ein Formel-1-Rennen statt, im Juni 2014 der G8-Gipfel der wichtigsten Industrienationen. 2018 ist das Olympiastadion einer der
Austragungsorte der Fußball-WM. Die Winterspiele in Sotschi sind Teil einer geopolitischen Tendenz, die der amerikanische Journalist und Globalisierungsexperte Thomas Friedman als „Flattening", als ein Abflachen der Welt bezeichnet hat: Die neuen, aufstrebenden Mächte nutzen internationale Großereignisse im eigenen Land, um ihr Debüt auf der Weltbühne zu verkünden.
Die Liste wächst ständig: Peking (Olympische Sommerspiele 2008), Südafrika (Fußball-WM 2010), Brasilien (Fußball-WM 2014 und Olympische Sommerspiele 2016), Pyeongchang (Olympische Winterspiele 2018) sowie Qatar (Fußball-WM 2022). Von dieser Warte aus betrachtet sind die Olympischen Winterspiele 2014 in Russland ein weiters Zeichen dafür, wie sich die Dinge in Zukunft entwickeln werden.
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