Die Ausbildung kostet in den verschiedenen Fahrschulen unterschiedlich viel, im Durchschnitt 450 bis 550 Euro. Foto: PhotoXpress
Vor Kurzem beschloss ich, mich in das Heer der Autofahrer einzureihen. Aber in Russland ist es gar nicht so einfach, eine Fahrerlaubnis zu erwerben.
Zuerst muss man sich zu einem Lehrgang in einer der vielen Fahrschulen anmelden. Die Wunder der russischen Bürokratie beginnen bereits in dieser Etappe. Dafür muss ich im Straßenverkehrsamt meinen Ausweis, ein Foto und eine medizinische Bescheinigung mit einem Attest verschiedenster Ärzte, vom Augenarzt, Nervenarzt, Psychologen und anderen Fachmedizinern, vorlegen – ohne diese Dokumente wird man nicht ans Steuer gelassen. In der Fahrschule kann man eine solche Bescheinigung allerdings ganz offiziell für elf Euro käuflich erwerben – auch ohne den Besuch der entsprechenden Ärzte.
Die Ausbildung kostet in den verschiedenen Fahrschulen unterschiedlich viel, im Durchschnitt 450 bis 550 Euro. In diesem Betrag sind der Theorieunterricht und die Fahrstunden enthalten, insgesamt 15 bis 25 Unterrichtsstunden. Auf Wunsch und nach persönlichem Eindruck des Fahrschülers kann man sich so lange vom Fahrlehrer unterrichten lassen, wie man möchte – zumindest, solange man sich die Zusatzstunden leisten kann.
Der Theorieunterricht besteht im ausführlichen Erlernen der Verkehrsregeln. Die Theorieprüfung ist das erste der Examen, das im Straßenverkehrsamt abgelegt werden muss. Mithilfe eines Tests am Computer – 20 Multiple-Choice-Fragen mit vier Lösungsvorschlägen – wird binnen zwanzig Minuten geprüft, wie gut man die Theorie beherrscht. Um die Prüfung zu bestehen, reicht es aus, die richtigen Antworten auf die Fragen auswendig zu lernen.
Parallel zum Theorieunterricht oder nach dessen Absolvierung beginnt der praktische Teil, das heißt der Fahrunterricht. In Russland wurde erst unlängst ein Gesetz verabschiedet, das die Prüfung mit Automatikschaltung erlaubt. Im Führerschein wird dann später ein entsprechender Vermerk eingetragen. Personen mit einem solchen Führerscheineintrag dürfen kein Fahrzeug mit Handschaltung steuern. Da das Gesetz zum Zeitpunkt meiner Prüfung noch nicht in Kraft getreten war, musste ich meine Prüfung aber mit Handschaltung ablegen.
Zweiteilige Prüfung
Die ersten Unterrichtsstunden werden normalerweise auf einem speziell ausgestatteten Übungsplatz durchgeführt. „Übungsplatz" ist übrigens auch die Codebezeichnung für die erste praktische Prüfung. Auf einer begrenzten Fläche müssen mehrere Übungen abgelegt werden, ohne dass dabei irgendwelche Hindernisse umgefahren werden. Die schwierigste Aufgabe war für mich das Anfahren am Hang mit Handbremse: vorsichtig Gas geben, Kupplung kommen lassen, Handbremse lösen, zwei Meter fahren und wieder anhalten.
Die zweite Prüfungsetappe ist das eigentliche Fahren. Dies erfolgt in der Stadt auf eigens dafür zugelassenen Straßen. Hier hängt alles vom Fahrlehrer ab. Einige fahren mit ihren Fahrschülern bereits in der dritten Unterrichtsstunde „in die Stadt", wenn der Schüler noch gar nicht so richtig vom Fleck kommt, geschweige denn das Auto steuern kann. Einige triezen ihre Leute auf dem Übungsplatz, bis diese alle Übungen nahezu blind absolvieren können. Der Fahrlehrer gibt gleich zu verstehen, dass die Prüfung ohne zusätzliche Hilfe praktisch nicht zu bestehen sei: Einige, besonders die Uneinsichtigen, probieren es bis zu sechs Mal – dann endet die Gültigkeit der abgelegten Theorieprüfung und man muss noch einmal von vorne anfangen. Die Mitarbeiter des Straßenverkehrsamts wissen schon, wie sie einen unwilligen Fahrschüler, der zu stur ist, für die Prüfung einen Extraobolus zu zahlen, durchfallen lassen. Diese „Sonderhilfe" kostet 420 Euro und garantiert, dass die Prüfung beim ersten oder zweiten Mal bestanden wird.
Geduld ist gefragt
Nach Absolvierung des Fahrunterrichts und der internen Prüfungen, die als Generalprobe für die Prüfung im Straßenverkehrsamt dienen, wird es richtig ernst. Im Straßenverkehrsamt hat man früh um 8 Uhr zu erscheinen, wenn die Behörde öffnet. Dort muss man sich dann anmelden und warten, bis man zur Theorieprüfung aufgerufen wird. Die Prüfungen in Moskau können nur in einigen ausgewählten Straßenverkehrsämtern abgelegt werden, weshalb sich dort immer lange Schlangen bilden. Sitzgelegenheiten gibt es keine und die Wartezeit kann unangenehm lang sein.
Ich kam kurz vor 8 Uhr an und konnte meine Theorieprüfung um 10 Uhr ablegen – als eine der Ersten! Andere mussten bis 13 Uhr warten. Von 14 bis 15 Uhr ist im Straßenverkehrsamt Mittagspause und die Prüfungen werden unterbrochen – alle Besucher haben das Gebäude für diesen Zeitraum zu verlassen, egal ob es draußen regnet oder stürmt.
Nachdem ich also meine Theorieprüfung um halb elf bestanden hatte, wurde gegen zwölf über Lautsprecher verkündet, dass die Prüflinge für die nächste Etappe erst nach dem Mittagessen aufgerufen werden. Viele verließen nach dieser niederschmetternden Nachricht das Gebäude, um erst einmal etwas zu essen. Ich dagegen blieb da und wurde zu meinem Erstaunen gegen 13 Uhr über den Lautsprecher zusammen mit zehn anderen Leuten aufgefordert, zum Übungsplatz zu gehen, um die praktische Prüfung abzulegen. Ich benachrichtigte ein paar Leute, die Mittagessen gegangen waren, per Handy. Was aus den anderen wurde, weiß ich nicht. Aber wer seinen Termin verpasst, wird häufig in der nächsten Runde nicht berücksichtigt, und ich möchte nicht wissen, was jemand anstellen muss, der seinen Termin auf diese Weise verpasst hat.
Ich hatte Glück: Als ich auf den Übungsplatz kam, durfte ich gleich zum Auto gehen und die Prüfung ablegen. Dem Fahrschüler fällt es so schon schwer genug, sich mit den Pedalen, dem Lenkrad und den ganzen Bedienelementen zurechtzufinden, aber wer für die Extra-„Hilfe" nicht bezahlen möchte, muss gleich besonders schwere Übungen ausführen, ohne die Chance zu bekommen, sich erst an das Auto zu gewöhnen. Wie dem auch sei, die Übungen absolvierte ich erfolgreich, auch wenn ich den Motor auf der „Rampe" abwürgte. Aber ich rollte nicht zurück und bekam noch eine zweite Chance. Am Ende dieser Prüfungsetappe erhielt ich den Vermerk „Bestanden".
Die zweite Etappe war die „Stadtfahrt". Dazu wurde ich dann erst nach
dem Mittagessen aufgerufen – so gegen 16 Uhr. Alle Prüflinge wurden von den Mitarbeitern des Straßenverkehrsamts auf die Autos verteilt, mussten dann aber noch anderthalb Stunden warten. Ich absolvierte meine Fahrt nicht schlecht und parkte den Wagen am Ende wieder am Startpunkt. Von dem äußerst unzufriedenen Verkehrspolizisten erfuhr ich jedoch, dass ich ein „Nicht bestanden" bekommen hatte, da ich – nachdem ich beim Fahren hinter einem Fahrschüler wie dieser abgebogen war, mein Vorhaben nicht durch das Setzen des Blinkers angekündigt hatte.
Nach fast zehn Stunden, die ich an diesem Ort zugebracht hatte, verfügte ich nicht einmal mehr über die Kraft, mich aufzuregen. Die Wiederholungsprüfung wurde für die folgende Woche angesetzt. Diesmal kam ich bereits um 7:40 Uhr ins Straßenverkehrsamt. Und obwohl die Behörde noch geschlossen war, standen bereits über zwanzig Leute vor mir. Weshalb ich mit einer Wartezeit von ungefähr dreieinhalb Stunden rechnen müsse, wie man mir mitteilte. Das Ganze verlängerte sich um eine Stunde, die ich bei Minusgraden verbringen musste, um auf den Beginn der Stadtfahrt zu warten. Ich hielt bei winterlichen minus fünf Grad Celsius eine Stunde lang aus – ich konnte eigentlich froh sein, dass es an diesem Tag nicht minus 15 Grad waren. Als ich dann abgeholt wurde, spürte ich meine Füße nicht mehr und meine Füße spürten die Pedale nicht mehr. Dennoch verlief die Prüfung fehlerfrei und ich hatte dieses Mal bestanden.
Und was werde ich nun mit meinem frisch erworbenen Führerschein anfangen? Ich kaufe mir ein Auto, düse los und werde dann stundenlang im legendären Moskauer Stau stehen.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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