Russische Schule in Sewastopol. Foto: Sergej Sawostjanow / Rossijskaja Gazeta
Dmitri Larionow ist Russischlehrer in Kasachstan. Dort ist er auch zur Schule gegangen, aber sein Studium absolvierte er zum Teil in Russland: „Die ersten Semester habe ich in Astana, der Hauptstadt von Kasachstan, studiert, an einer Außenstelle der Universität. Danach ging es in Moskau weiter.“ Heute unterrichtet Larionow Russisch und freut sich über das große Interesse an der Sprache in seiner Heimat, in der noch über 20 Prozent Russen leben. Im Norden Kasachstans sprechen ganze Regionen Russisch. Ein großer Teil der kasachischen Zeitschriften und Zeitungen erscheinen in russischer Sprache. Auch in der Schule lernen die Kinder wieder Russisch. „Kasachstan kann als zweisprachig bezeichnet werden“, sagt Larionow.
Russisch hat Tradition
Zu Zeiten der Sowjetunion war die russische Sprache die Verkehrssprache. Und das war sie in der Tat, nicht nur bei offiziellen Anlässen. Auch die Bewohner nicht-russischer Republiken der Sowjetunion sprachen Russisch miteinander. In manchen Regionen war die russische Sprache tief verwurzelt, zum Beispiel in der Ukraine, in Belarus oder eben in Kasachstan, in anderen Regionen wie Estland oder Armenien eher weniger. An den Schulen war Russisch ein obligatorisches Unterrichtsfach, und um in der Sowjetunion Karriere machen zu können, waren gute Russischkenntnisse unerlässlich. Im Jahr 1991 änderte sich die Situation grundlegend, als die Sowjetunion in 15 unabhängige Länder zerfiel. Dort genießt Russisch heute ein sehr unterschiedliches Ansehen.
In den baltischen Staaten beispielsweise ist das Ansehen eher gering. Lettland, Litauen und Estland sind Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Die Bevölkerung dieser Länder, darunter auch viele ursprünglich
russischsprachige Einwohner, orientieren sich daher mehr an Europa. In Estland und Lettland ist die russische Sprache so wenig populär, dass für die russischsprachigen Einwohner sogar eine besondere Kategorie der Staatsbürgerschaft eingeführt wurde: der Status des sogenannten „Nichtbürgers“. Die russischsprachigen Teile der Bevölkerung sind teilweise Nachfahren von Angehörigen des Militärs, die als Besatzer wahrgenommen wurden, aber auch diejenigen, die die Sprachprüfungen in Estnisch oder Lettisch nicht bestanden haben. In Lettland gehören dieser Gruppe etwa 287 000 Einwohner, also immerhin etwa 15 Prozent der Bevölkerung, an, in Estland sind es rund 90 000 (etwa sieben Prozent). Die „Nichtbürger“ haben jedoch dieselben europäischen Rechte wie die anderen Einwohner.
Russisch liegt im Trend
In Kirgisistan, wo Kirgisisch die Staatssprache ist, hat Russisch hingegen den Status einer Amtssprache inne. In den Schulen wird Kirgisisch gesprochen, aber an den Universitäten werden viele Fächer in russischer Sprache gelehrt.
Lilit Dabagjan hat in Bischkek am philosophischen Institut der Slawischen Universität studiert, wo die Unterrichtssprache Russisch war. „In der Stadt sprechen viele Russisch“, sagt Dabagjan. „Eine meiner Freundinnen hat eine kirgisische Schule besucht. Im Unterricht sprachen alle Kirgisisch, in den Pausen wechselten sie dann zu Russisch. In diesen Kreisen war das modern und angesehen“, erzählt sie weiter.
Mit dieser Geschichte greift Dabagjan ein wichtiges Thema auf: das zunehmende Interesse an der russischen Sprache in vielen postsowjetischen Ländern. Viele junge Menschen dort glauben, dass ihre berufliche Laufbahn in irgendeiner Form mit Russland verbunden sein und man daher ohne gute Russischkenntnisse nicht weit kommen wird – wie es bereits zu sowjetischen Zeiten der Fall war.
Zwischen den russlandorientierten Staaten und den baltischen Staaten ist die Ukraine angesiedelt. Doch auch dort liegt Russisch im Trend. Russisch spricht in der Ukraine die Hälfte der Bevölkerung, aber bis vor Kurzem hatte die russische Sprache nur auf der Halbinsel Krim den Status einer Amtssprache. Im Jahr 2012 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Russisch in den Regionen, in denen russischsprachige Einwohner über zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, den Status einer Amtssprache verleiht. An den Universitäten wird zwar ausschließlich in ukrainischer Sprache gelehrt, doch an den Schulen lernt man Russisch als Fremdsprache.
Die jungen Ukrainer in den russischsprachigen Regionen orientieren sich auch an Russland, wie beispielsweise Nikolai Fedin aus Charkiw. Der junge Mann studiert derzeit in Moskau. Zuvor hatte er in Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, ein Studium mit Ukrainisch als Unterrichtssprache absolviert. Anschließend wollte er seine Ausbildung in
Russland fortsetzen, doch die russische Emigrationsgesetzgebung erschwert die Zulassung zum Studium. „Ausländer in Russland zahlen Gebühren für ihr Studium, während das Studium für russische Staatsbürger kostenlos ist“, erklärt der Student. „Ich hatte Glück, ich habe Verwandte in der Nähe von Moskau. Ich bekam eine Aufenthaltsgenehmigung und konnte daher ohne Gebühren weiterstudieren.“
Ungeachtet der Hürden der russischen Emigrationsgesetzgebung studieren heute an den russischen Universitäten ungefähr 30 000 Studenten aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Setzt sich der Trend der vergangenen Jahre fort, wird ihre Zahl steigen.
Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland
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