Aus dem Leben einer Fahrscheinkontrolleurin

Foto: Witalij Belousow / RIA Novosti

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Tatjana Charjuk arbeitet als Fahrscheinkontrolleurin im Moskauer Umland. Bei ihrer Arbeit trifft sie zumeist auf freundliche Menschen, zu denen sie stets ein gutes Verhältnis pflegt. Viele Stammgäste erkennen und grüßen sie auf der Straße.

Tatjana Charjuk war früher einmal Schaffnerin bei der Moskauer Straßenbahn. Doch als die Fahrscheine im öffentlichen Personennahverkehr (außer in der Metro) nur noch von den Fahrern verkauft wurden, musste sie sich zur Kontrolleurin umschulen lassen. In diesem Beitrag erzählt sie über sich, die Fahrgäste und ihre Arbeit. 

Über mich

2004 kam ich aus dem Gebiet Pensa, das in Zentralrussland liegt, nach Moskau. Die Not zwang mich, zum Geldverdienen hierher umzuziehen. In der Straßenbahn sah ich eine Stellenausschreibung, in der nach Schaffnern gesucht wurde. Ich ging sofort zum Straßenbahndepot, um mich zu bewerben.

Anfang 2006 wurde die Straßenbahn dann auf Fahrkartenentwerter mit Drehkreuz umgestellt, und die Schaffner wurden plötzlich überflüssig. Wir waren die letzte Schaffner-Generation, die eingestellt worden ist. Nun wurden wir zu Kontrolleuren umgeschult. In Moskau gibt es diesen Beruf heutzutage nicht mehr, aber im Moskauer Umland und in anderen russischen Städten sind wir immer noch aktiv.

Ich hatte immer schon ein Faible für Straßenbahnen. Meine erste Straßenbahn habe ich in meiner Kindheit gesehen: eine rote, die die Gleise entlangflitzte. Damals fuhren in meiner Stadt nur zwei bis drei Linien, und ich liebte es, mit ihnen durch die Stadt zu fahren.

Über mein Verhältnis zu den Fahrgästen

Manchmal sprechen wir die weiblichen Fahrgäste mit „Mädels“ an, obwohl sie manchmal schon an die siebzig Jahre alt sind. Aber sie lachen und scherzen – ihnen gefällt das. Mir gefällt es sehr, mit Menschen zu arbeiten. Natürlich kommt es auch schon einmal vor, dass Fahrgäste frech oder aggressiv werden. Aber auf unangemessenes Verhalten muss man immer angemessen reagieren. Unsere Hauptaufgabe besteht ja schließlich darin, dass die Leute für die Fahrt bezahlen – warum sollten wir also unsere Gefühle zeigen oder Ärger in uns hineinfressen? Bei mir zahlen alle ohne Murren, selbst die Betrunkenen und Rowdys – ich kann sie immer alle überreden.

Letzten Endes ist es ja ein Geschäft. Und deshalb müssen wir unsere Fahrgäste lieben, sie bezahlen schließlich Geld. Als ich als Schaffnerin angefangen habe, hat unsere Chefin, Jewgenija Kusnezowa, immer zu uns gesagt: „Mädels, ihr habt das Sagen in der Straßenbahn“. Die Leute kommen zu uns, um für die Fahrt zu bezahlen, warum soll ich sie denn schlecht behandeln? Für mich sind meine Fahrgäste auch wirklich Gäste.

Über das Vertrauen gegenüber den Fahrgästen

Bei uns in der Straßenbahnlinie 17 hat man die Drehkreuze aus allen Wagen wieder ausgebaut. Jetzt können die Fahrgäste wieder durch alle Türen einsteigen und müssen nur noch ihren Fahrschein an den Fahrkartenentwerter halten. Anfangs sind die Fahrgäste eingestiegen und wussten nicht, ob sie denn nun bezahlen müssen oder nicht – kein Schaffner und kein Drehkreuz, also sind sie einfach eingestiegen und haben sich hingesetzt. Ohne zu bezahlen. Das Vertrauen gegenüber den Fahrgästen ist so eine Sache – das hat bei uns eine ganze Weile gedauert. Aber die Leute haben sich recht schnell an das neue System gewöhnt. Heute wissen sie, dass sie für die Fahrt auch bezahlen müssen, wenn kein Schaffner im Wagen mitfährt.

Und wer einmal erwischt worden ist, kommt beim nächsten Mal häufig selbst auf den Kontrolleur zu und hält seinen Fahrschein hin. Und sie erzählen dann, dass sie schon einmal eine Strafe zahlen mussten und nun nicht mehr ohne gültigen Fahrschein unterwegs sind. Das Bußgeld für das Fahren ohne gültigen Fahrschein beträgt immerhin 1 000 Rubel (umgerechnet 20 Euro), wer mit einer fremden Sozialkarte unterwegs ist, muss 2 500 Rubel (umgerechnet 50 Euro) zahlen. Wie kann man denn ein fremdes Dokument verwenden? Man nutzt ja schließlich auch keinen fremden Personalausweis.

Über Schwarzfahrer und die Angewohnheit, für die Fahrt zu zahlen

Schwarzfahrer müssen bei uns nicht immer ein Bußgeld bezahlen. Manchmal ergreifen wir auch nur erzieherische Maßnahmen. Besonders die Studenten tun mir leid. Sie bekommen manchmal das Geld nicht rechtzeitig von ihren Eltern überwiesen. Schließlich sind ja nicht alle Studenten Moskauer, die bei ihren Eltern wohnen. Es kommt auch vor, dass Fahrgäste zwar einen Fahrschein haben, ihn aber nicht entwertet haben. Das betrifft nicht nur die Studenten, das kommt in allen Altersgruppen vor. Da gibt es völlig unterschiedliche Typen – manche haben einen teuren Pelzmantel an, fahren aber ohne Fahrschein. Vielleicht brauchen sie etwas Adrenalin oder wollen auch nur provozieren? Das weiß ich nicht.

Ich glaube, dass alles von der Erziehung abhängt. Wir gehen doch auch nicht in den Laden und nehmen Waren mit, ohne zu bezahlen. Manche Mütter entwerten einen Fahrschein für ihr Vorschulkind, das eigentlich nicht bezahlen müsste. Auf meinen erstaunten Blick hin antworten sie dann: „Die Kinder sollen sich ruhig von klein auf daran gewöhnen.“

Es ist übrigens gar nicht so, wie viele glauben: Die Menschen, die im öffentlichen Nahverkehr unterwegs sind, sind keinesfalls alle erschöpft oder haben schlechte Laune. Oft grüßen die Moskowiter freundlich, lächeln und scherzen sogar. Viele Fahrgäste sind eigentlich Optimisten. Gegen Abend werden sie vielleicht etwas müde, aber ihre Laune ist trotzdem meist gut.

Über die Stammkunden unter den Fahrgästen

Es gibt Fahrgäste, denen wir ständig begegnen. Sie erkennen uns, grüßen freundlich und erkundigen sich, wie es uns geht. Manchmal erkennen sie uns auch auf der Straße.

Manchmal hat man mit richtigen Spaßvögeln zu tun. In einem Laden im Moskauer Umland hat mich einmal ein junger Mann gegrüßt und gefragt: „Erinnern Sie sich noch an mich?“ Wir hatten ihm zwei Wochen zuvor ein Bußgeld abgenommen. Alle Fahrgäste halten ihren Fahrschein an den Fahrkartenentwerter, er aber legte nur seine flache Hand dran und setzte sich hin. Er hatte weder einen Fahrschein noch Geld einstecken, wir mussten ihm also einen Bußgeldbescheid ausstellen. Der Bursche kam aus Dagestan – ein positiver, gut aussehender Kerl. Er erzählte mir, dass er, nachdem er den Bußgeldbescheid ausgestellt bekommen hatte, vom Pech verfolgt wurde – unter anderem verlor seinen Personalausweis und hatte Probleme auf der Arbeit. Aber nachdem er die Strafe bezahlt hatte, lief es in seinem Leben wieder besser. Wir haben ihm damals, als wir den Bußgeldbescheid ausgestellt haben, noch gewünscht, dass dieses Bußgeld die größte Unannehmlichkeit in seinem Leben sein soll. Er hat uns für die Strafe deshalb sogar noch gedankt.

Und da ist dann auch noch die junge Frau, die Bußgeldquittungen sammelt. Zwanzig Stück hat sie schon. Sie erkundigt sich immer nach dem Namen des Kontrolleurs, und wenn sie in ihrer Sammlung noch keine Quittung mit der Unterschrift dieses Kollegen hat, bittet sie darum, dass er ihr einen Bußgeldbescheid ausstellt.


Dieser Beitrag erschien zuerst beim Magazin "Bolschoj gorod".

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