Sprachen lernen für mehr Toleranz

In der Moskauer „Schule der Migrantensprachen“ werden die vier wichtigsten Sprachen der russischen Gastarbeiter und Einwanderer unterrichtet. Die Initiatoren erhoffen sich von dem Kulturprojekt mehr Toleranz zwischen Russen und Migranten.

Foto: Jelena Potschetowa

Nawrus Gulsod unterrichtet hauptberuflich an der Tadschikischen Staatlichen Nationaluniversität, wo er seinen Studenten Tadschikisch, Persisch und Kalligrafie beibringt. Seit zwei Jahren leitet er das Zentrum für Tadschikische Sprache und Kultur an der Moskauer Staatlichen Linguistik-Universität. Zusätzlich gibt er nun auch noch vier Mal pro Woche Unterricht in den Sprachen, die die meisten russischen Arbeitsmigranten sprechen: Moldauisch, Usbekisch, Kasachisch und Tadschikisch.

Die Idee, dass die Moskauer sich mit den am häufigsten gesprochenen Sprachen ihrer Gastarbeiter auseinandersetzen, hatte die Sankt Petersburger Künstlerin Olga Schitlina. Aus ihrer Projektidee wurde inzwischen ein offizielles Kulturprojekt.

 

Tadschikisch ist Trend

Bei den Moskauern stößt das Projekt auf großes Interesse. Zwischen 15 und 40 Personen versammeln sich regelmäßig im Pavillon der eigens eingerichteten neuen „Schule der Migrantensprachen" im Moskauer Museon-Park. Die große Zahl neuer Sprachschüler schreckte Nawrus Gulsod zunächst, wie er erzählt: „Ich dachte: Wie soll ich denn 40 Personen unterrichten? Von der Uni war ich immer nur Gruppen von sechs bis sieben Studenten gewohnt."

Das Durchschnittsalter der Schüler liegt zwischen 25 und 35 Jahren, der jüngste von ihnen ist 15, der älteste fast 70 Jahre alt. Manche besuchen alle vier Sprachkurse. Die beliebteste Sprache in der Schule ist Tadschikisch, sie ist gleichzeitig auch die exotischste der angebotenen Sprachen. „Tadschikistan war 70 Jahre lang Teil der UdSSR. Die Russen, die dort gelebt haben, haben Tadschikisch nie gelernt, weil alle Tadschiken Russisch gesprochen haben", erklärt Gulsod. Auf Vorkenntnisse kann er bei seinem Unterricht also kaum hoffen. „Es wird schon ein Erfolg sein, wenn die Schüler am Ende grundlegende Sachen verstehen können", sagt Gulsod.

Der Unterricht wird bis Ende Juli andauern. „Wir haben die Schüler vorab gewarnt, dass sie sich keine Illusionen machen sollten, die Sprachen komplett erlernen zu können", sagt auch Veronika Sergejewa, die Koordinatorin für Bildungsprogramme des Museons. „Sie werden in den drei Monaten nicht viel mehr als eine Basis für Gespräche auf einfachem Niveau erhalten."

Das schreckt die Interessenten nicht ab. Auch die zweite Unterrichtsstunde im Tadschikischen findet in einem überfüllten Raum statt. Gulsod gestaltet seinen Unterricht mit viel Humor, wobei die Grammatik nicht zu kurz kommt: Gulsod erklärt die Zeiten und Verbkonjugationen im Tadschikischen.

 

Verständnis für andere Kulturen wecken

Die Motive für den Besuch der Sprachschule sind verschieden. Der Großteil lernt die Sprachen für die Arbeit. Die zweitgrößte Gruppe besteht aus Migranten, die aus Moldau, Usbekistan, Tadschikistan oder Kasachstan ausgewandert sind und teilweise schon sehr lange in Russland

leben. Sie können in ihrer Muttersprache kommunizieren, aber weder schreiben noch lesen. Veronika Sergejewa nennt noch eine dritte Gruppe: „Es kommen auch liberal eingestellte Bürger, für die das Erlernen der Sprache eine Geste der Toleranz ist."

Jewgenij Kotschkin ist einer der Sprachschüler, die das Tadschikische für die Arbeit benötigen. Er ist erst kürzlich aus Tadschikistan zurückgekehrt, wo er ein ganzes Jahr lang gearbeitet hat. Sprachkenntnisse konnte er während seines Aufenthaltes nicht erwerben. So hofft er nun, in der „Schule für Migrantensprachen" Erfolg zu haben. Er findet, das Sprachenlernen sei nicht nur für die Arbeit interessant, sondern auch für die persönliche Entwicklung.

Auch Sprachschüler Sergej lernt für seinen Beruf. Er ist als Berater in der Gesellschaft „Migrant Service" tätig, die Ausländern hilft, Arbeitsgenehmigungen zu erhalten und Patente anzumelden. Er gehört zu denen, die alle vier Sprachen lernen wollen.

Der Historiker Artjom hingegen besucht den Kurs aus rein persönlichen Motiven. „Mich interessiert es einfach, eine andere Sprache zu lernen. Und ich würde gerne wissen, was die Migranten reden. Schließlich gibt es sehr viele von ihnen in Moskau", sagt er.

Doch nicht alle Moskauer sind begeistert von dem Projekt, es gab auch kritische Stimmen. „Im Internet gab es auf die Werbung für unsere Schule sehr viele negative Kommentare mit der Bemerkung, dass wir ‚uns ja gleich

in Tadschiken verwandeln' können, und dass ‚sie es sind, die die russische Sprache lernen sollen'. Aber wir haben keine Angst vor Anfeindungen", berichtet Veronika Sergejewa. „Wenn du beim Erlernen einer anderen Sprache auch lernst, die fremde Kultur zu respektieren, ist das in gewisser Weise Toleranzunterricht", sagt sie.

Zum Stichwort Toleranz wird in der nächsten Zeit zusätzlich ein Vorlesungsprogramm organisiert. Thema wird sein, wie die Kulturen dieser vier Länder die russische Kultur beeinflusst haben. Nach dem Ende des Kurses wird eine Umfrage stattfinden, die das Angebot evaluieren soll. Gefragt wird, ob jemand die Sprache weiterlernen möchte, welche Ziele verfolgt wurden und ob diese durch die Teilnahme an den Kursen erreicht werden konnten. Die wichtigste Frage aber wird sein, ob es den Schülern gefallen hat.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Gazeta.ru

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