Die Sprachkenntnisse der Ausländer werden zukünftig noch vor Erteilung einer Arbeitserlaubnis in Russland obligatorisch geprüft. Foto: Getty Images / Fotobank
In einer globalisierten Wirtschaft gelten Fremdsprachen heute als wichtige berufliche Schlüsselqualifikation. Vor dem Erlernen einer neuen Sprache stellen sich daher viele die Frage, welche ihnen wohl am meisten nützen wird. Karrierechancen sollten aber nicht das einzige Auswahlkriterium für eine Fremdsprache sein. Interesse an Land, Leuten und Kultur kann auch ein wichtiger Faktor sein, denn es lernt sich leichter, was Spaß macht.
Eine Art Lingua franca ist heute das Englische. In Europa sind Deutsch und Französisch weitere wichtige Sprachen. Für den gesamten russischen Raum hingegen ist noch immer Russisch die Sprache der Wahl. Allein in Russland selbst leben mehr als 140 Millionen Menschen, weltweit wird Russisch von etwa 240 Millionen Menschen gesprochen. In Deutschland lernen heute viel weniger Menschen Russisch als zu DDR-Zeiten, doch das Interesse an der Sprache wächst wieder. Zahlreiche Universitäten haben entsprechende Studienangebote im Programm und bieten Sprachkurse an. RBTH hat drei Menschen getroffen, die Russisch aus verschiedener Motivation heraus erlernt haben. Gemeinsam ist ihnen, dass sie die Sprache lieben.
Leiterin der Abteilung für PR und Öffentlichkeitsarbeit des Goethe-Instituts Moskau, Simone Voigt hat Russisch gelernt, um ihr die russische Kultur zu erschließen. Foto aus dem persönlichen Archiv.
Voigt studierte schließlich Russisch/Russistik und kam als Austauschstudentin nach Moskau. „Später, als ich schon ziemlich gut Russisch konnte, habe ich schnell Jobangebote von deutschen Organisationen bekommen und hätte auch in der Wirtschaft arbeiten können“, berichtet Voigt. Am wichtigsten ist ihr allerdings ihr russischer Mann. Voigt lacht: „Im Grunde bin ich auch mit der russischen Sprache verheiratet.“
Foto aus dem persönlichen ArchivBojan Krstulovic, Chefredakteur der „Moskauer Deutschen Zeitung“, rät davon ab, Russisch aus Karrieregründen zu erlernen: „Die Sprache ist schwer, der Nutzen für den Beruf eher gering. Obwohl viele deutsche Unternehmen in Russland arbeiten, gibt es nur wenige Stellen für deutsche Arbeitnehmer. Und in Deutschland mangelt es sicher nicht an Menschen, die sehr gut Russisch sprechen. Wenn es nur um die Karriere geht, investiert man seine Zeit besser in seine Weiterbildung.“ Für den studierten Philosophen gibt es ein viel besseres Argument, Russisch zu lernen: „Es ist nicht nur eine sehr schöne Sprache, sie öffnet auch den Zugang zu einem der bedeutendsten europäischen Kulturräume. Wenn es dann mit dem Job nicht klappt, kann man zumindest Puschkin im Original zitieren.“
Der heutige Chefredakteur hatte erst nach seinem Studium mit dem Russischen angefangen: „Zuerst habe ich drei Monate lang aus Büchern gelernt, dann bin ich zu einem einmonatigen Sprachkurs ins Puschkin-Institut nach Moskau gekommen. Diese erste Russland-Reise dauerte am Ende dann ein ganzes Jahr, in deren Verlauf Russisch zu meiner vorübergehenden Hauptsprache wurde – weniger dank des Unterrichts, den ich schon bald nicht mehr besuchte, sondern durch das Leben und Arbeiten in Moskau.“ Der 36-Jährige hält russische Sprachkenntnisse für unbedingt notwendig, um mit dem russischen Alltag, egal ob auf einer Reise oder als Expat, klarzukommen: „Ohne Sprachkenntnisse kann ich mir in Moskau überhaupt keinen Alltag vorstellen, sondern nur eine Verkettung von vielen Abenteuern.“
Das sieht wohl auch die russische Regierung so: Ab Januar 2015 sind alle Ausländer, darunter auch die deutschen Staatsbürger, die in Russland arbeiten und leben, verpflichtet, Russischkenntnisse nachzuweisen. Die Sprachkenntnisse werden zukünftig noch vor Erteilung einer Arbeitserlaubnis obligatorisch geprüft.
Nikolai Atzpodien absolvierte sein Praktikum beim Deutschen Historischen Institut in Moskau. Foto aus dem persönlichen Archiv.
Nikolai Atzpodien, ein 23-jähriger Geschichtsstudent aus Konstanz, hatte anfangs nicht daran gedacht, die russische Sprache später auch im Beruf einzusetzen. Er kam auf die Idee, Russisch zu lernen, weil seine Urgroßmutter aus Moskau stammte. Inzwischen glaubt Atzpodien allerdings, dass ihm seine Russischkenntnisse auch berufliche Perspektiven eröffnen: „Gerade hinsichtlich der russisch-deutschen Wirtschafts- und Kulturbeziehungen findet man genügend Möglichkeiten, seine Sprachkenntnisse anzuwenden.“
Atzpodien studiert schwerpunktmäßig osteuropäische Geschichte. Dank seiner Sprachkenntnisse hatte er bei einem Aufenthalt in Moskau die Gelegenheit, im Russischen Staatlichen Archiv für Alte Akten mit russischen Originaldokumenten zu arbeiten. Sein Pflichtpraktikum absolvierte Nikolai Atzpodien beim Deutschen Historischen Institut in Moskau, einer Organisation, die die deutsch-russischen Beziehungen in der Geschichte erforscht: „Ich bin deswegen nach Moskau gegangen, weil ich in meinem Auslandssemester schon gute Erfahrungen mit der Stadt gemacht habe und diese bestätigen und vertiefen wollte. Meine Aufgaben bestanden vor allem in der Redaktion von wissenschaftlichen Texten und in der Mithilfe bei Projekten und Veranstaltungen. Gleichzeitighabe ich auch einen Einblick in den Bibliotheksbetrieb bekommen und konnte die Bibliothek nutzen, um eine ausstehende Hausarbeit zu schreiben und ein Thema für meine Masterarbeit zu finden.“ All das wäre ohne Russisch sicher nicht möglich gewesen. Im Deutschen Historischen Institut arbeiten zudem Russen und Deutsche zusammen, das setzt selbstverständlich auch eine gemeinsame Sprache voraus.
Heute hat Atzpodien viele russische oder russischsprachige Freunde, mit denen er seine Sprachkenntnisse trainiert und verfeinert: „Viele habe ich über die Erasmus-Initiative unserer Uni kennengelernt, wo Konstanzer Studenten internationale Austauschstudenten betreuen. Außerdem kümmere ich mich im Rahmen der Hochschulgruppe Osteuropa um den Russisch-Deutschen Stammtisch, der zwei Mal im Monat stattfindet.“
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