Möglicherweise entgleiste die U-Bahn schon vor der Weiche. Foto: RIA Novosti
Das Zugunglück ereignete sich am Dienstagmorgen zur Hauptverkehrszeit zwischen den U-Bahnstationen Park Pobedy und Slawjanski Boulevard der Arbatsko-Pokrowskaja-Linie im Westen der Stadt. Dabei entgleisten drei Waggons, ein Waggon verkeilte sich im Tunnel. Es war das schwerste Unglück in der Geschichte der Moskauer U-Bahn. 23 Menschen kamen ums Leben, mehr als 200 Menschen erlitten zum Teil schwere Verletzungen.
Neue Erkenntnisse
Bislang ging man als Unglücksursache von einer defekten Weiche aus. Nun berichtet die Zeitung „Kommersant", dass Fachleute auf dem Beton zwischen den Gleisen frische Abschürfungen entdeckt hätten, die von einem Fremdkörper unter dem Zug stammen könnten. Der Zug könnte daher bereits vor der Weiche entgleist sein. Konstantin Matwejew, Generaldirektor der Baugesellschaft Mosinshprojekt, erklärte, dass eine nicht befestigte Herzstückspitze, ein Weichenelement, zwar gegen die Vorschriften verstoße, einen solchen Unfall jedoch nicht verursachen könnte. Für diese Annahme sprächen, so der Experte, fehlende Radspuren auf den Herzstückspitzen der Weiche.
Leonid Baranow, ein führender wissenschaftlicher Mitarbeiter des Moskauer Instituts für Verkehrsingenieure, ist der Auffassung, dass dieser Verdacht gründlich überprüft werden müsse. Dazu seien bereits Fachleute im Einsatz. „Ich habe nach der Besichtigung noch einige andere Vermutungen, sie sind jedoch vorerst abzuwägen und zu analysieren", sagte Baranow.
Pjotr Birjukow, Vize-Bürgermeister von Moskau, erklärte hingegen, dass das Unglück durch einen „Verstoß gegen die Betriebsvorschriften für Weichenstellvorrichtungen" verursacht worden sei. Allerdings fügte er später hinzu, dass auch „Materialmüdigkeit", Wagendefekte und „äußere Einflüsse" nicht auszuschließen wären, und versprach, die ersten Ergebnisse der Untersuchungskommission am Freitag vorzulegen. Das Moskauer Bürgermeisteramt teilte dazu mit, dass „die verunglückten Schienenfahrzeuge und die U-Bahngleise an diesem Streckenabschnitt der vollumfänglichen planmäßigen Überprüfung unterzogen wurden, die in den Betriebsnormen der Metro vorgesehen sind".
Die ursprüngliche Annahme des Katastrophenschutzes, dass die Notbremsung des Zuges durch einen Spannungsabfall ausgelöst worden wäre, bestätigte sich nicht.
Bauunternehmen im Visier der Ermittler
Die Moskauer Behörden hatten noch am Unglückstag zwei Gleisarbeiter festgenommen. Waleri B., Vorarbeiter der Moskauer Metro und dessen Assistenten Juri G. Die Beiden wurden bereits verhört und sollen nun dem Haftrichter vorgeführt werden.
Nach Angaben der Ermittler werden seit Ende Mai 2014 auf dem Streckenabschnitt zwischen Park Pobedy und Slawjanski Boulevard Gleis- und Weichenarbeiten vorgenommen, um die Arbatsko-Pokrowskaja-Linie mit der im Bau befindlichen benachbarten Nebenlinie Kalininskaja zu verbinden. „Waleri B. und Jurij G waren unmittelbar in die Durchführung der Arbeiten an dem Weichensystem einbezogen, ihnen oblag auch die Kontrolle der Ausführung", heißt es in einer Erklärung. „Die Ergebnisse der bisherigen Ermittlungen legen nahe, dass diese Arbeiten unsachgemäß vorgenommen wurden. Der Weichenmechanismus war mit einem Drei-Millimeter-Draht fixiert, der dem Druck nicht standhielt", wird weiter ausgeführt.
Die Behörden versprechen eine vollständige Aufklärung des tragischen Unglücks: „Die Ermittlungsbehörde wird ausnahmslos alle an dieser Tragödie Beteiligten feststellen und strafrechtlich zur Verantwortung
ziehen, von den Arbeitern bis zu den Angehörigen der Leitungsebene, die die Einhaltung der Sicherheitsnormen der Moskauer Metro in vollem Umfang zu kontrollieren und sicherzustellen haben."
Laut Angaben der Zeitung „Iswestija" hat die Polizei zwischenzeitlich auch den Chef der Gleisarbeiter sowie Subunternehmer und Montagearbeiter, die unmittelbar an der Installation der Weiche beteiligt waren, ins Visier genommen. In Zeitnot geraten, hätten sie Druck auf die Gleisarbeiter ausgeübt, damit diese das Abnahmeprotokoll zur Weichenvorrichtung ohne Besichtigung unterschreiben, so der Verdacht. Daher sei die Weiche trotz mangelhafter Fixierung in Betrieb genommen worden. Die möglichen Folgen hätten den Verantwortlichen bewusst sein müssen, erklärte Wassili Scheljakow, ein Vertreter der U-Bahngewerkschaft: „Ein Draht kann verwendet werden, damit sich eine Schraubverbindung nicht löst. Aber einen Draht um eine Weiche zu wickeln, ist einfach fahrlässig. Jeder Ingenieur weiß, was das für Folgen haben kann", sagte er.
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