Russen fürchten sich nicht vor Sanktionen

"Sanktionen gegen Russland - Santionen gegen mich!": Aktivisten protestieren gegen die Sanktionen vor der US-Botschaft in Moskau. Foto: Jewgeni Biljatow/RIA Novosti

"Sanktionen gegen Russland - Santionen gegen mich!": Aktivisten protestieren gegen die Sanktionen vor der US-Botschaft in Moskau. Foto: Jewgeni Biljatow/RIA Novosti

Wie eine neuere Umfrage zeigt, sehen die Russen den vom Westen verhängten Sanktionen zunehmend gelassener entgegen. Grund hierfür ist, dass sich bisher die Auswirkungen auf den Alltag in Grenzen halten und man sich mit der Drohkulisse arrangiert hat. Experten sehen aber mittelfristig Einschränkungen durch steigende Benzinpreise und fehlende Importwaren.

Nach einer aktuellen Erhebung des unabhängigen Lewada-Zentrums bereiten die Sanktionen des Westens den Russen weniger Sorgen als erwartet. Eine Umfrage nach dem Abschuss der Malaysia-Airlines-Maschine im Zeitraum vom 18. bis 21. Juli ergab, dass nur 36 Prozent der Russen wegen der von den USA und der EU gegen Russland verhängten Sanktionen beunruhigt sind. Dieses Ergebnis liegt deutlich unter den Werten von Anfang März, als noch 53 Prozent der Befragten angaben, sie hätten Angst vor Sanktionen. Im April räumten 42 Prozent in einer Stichprobe ein, sie fürchteten die Folgen der westlichen Strafmaßnahmen.

Die Ergebnisse der Erhebung machten auch deutlich, dass die Russen einer möglichen internationalen Isolation ihres Landes immer unerschrockener entgegensehen. So gaben in der jüngsten Befragung 38 Prozent der Teilnehmer an, eine internationale Isolation sei für sie eine bedrohliche Perspektive. Im April und im März äußerten sich in dieser Weise noch 42 Prozent beziehungsweise 56 Prozent.

Denis Wolkow, Soziologe am Lewada-Zentrum, deutet die Ergebnisse der Befragung als einen Gewöhnungseffekt an die Vorstellung von Sanktionen: „Als die ersten Sanktionen gegen Russland verhängt wurden, hatten die Russen noch Angst", sagt Wolkow. Diese Ängste verflüchtigten sich jetzt. „Das hängt vor allem damit zusammen, dass die möglichen konkreten Folgen der Sanktionen für die Bevölkerung nicht abschätzbar sind – somit baut sich keine reale Drohkulisse auf." Zudem nähmen, so Wolkow, nur wenige Russen die Situation ernst, weil das Thema nicht angemessen im russischen Fernsehen dargestellt würde.

 

Folgen der Sanktionen bleiben unklar

Allgemein herrscht in Russland Verärgerung angesichts der verhängten Sanktionen. So riefen bei zwei Drittel der Befragten die Sanktionen der USA gegen große russische Unternehmen wie den Ölgiganten Rosneft, die staatseigenen Banken Wneschekonombank und Gazprombank sowie gegen die Unternehmen des Verteidigungssektors Ablehnung hervor. Nur 28 Prozent sagten, sie stünden diesen Sanktionen gleichgültig gegenüber.

Zugleich gehen nur 29 Prozent der Russen davon aus, dass diese Sanktionen dem Land große Probleme bereiten werden, wohingegen 35 Prozent glauben, dass die durch die Sanktionen verursachten Probleme

nicht sehr schwer wiegen werden. 30 Prozent sind überzeugt, so zeigt die Befragung, dass diese Restriktionen die normale Bevölkerung nicht treffen werden.

Die Folgen der Sanktionen seien, so Wolkow, für die Durchschnittsbürger unklar: „Die Russen werden ihre Meinung zum Thema Sanktionen nur ändern, wenn sie eine logische Verknüpfung zwischen den Sanktionen und einer Verschlechterung ihres Lebensstandards herstellen können", erklärt Wolkow.

Es gibt indes einige Anzeichen einer Änderung dieser Einstellungen. Der Anteil der russischen Bevölkerung, der glaubt, dass die Sanktionen „tatsächlich nur einen engen Kreis von Eliten betrifft, die für die russische Politik gegenüber der Ukraine verantwortlich sind", ist von 63 Prozent im Mai auf 59 Prozent im Juli leicht zurückgegangen. Entsprechend ist die Zahl derer, die davon ausgehen, dass die Restriktionen für breitere Bevölkerungsteile Folgen haben werden, angestiegen – von 24 Prozent im Mai auf 34 Prozent im Juli.

Es sei zu erwarten, dass man sich der Folgen der Sanktionen in Russland erst mit einer gewissen Verzögerung bewusst werde, schätzt Sergej Smirnow, Direktor des Instituts für Sozialpolitik und sozialökonomische Programme an der Moskauer Higher School of Economics. „Die Sanktionen müssen erst greifen und erste Veränderungen im Leben der Bevölkerung bewirken", sagt der Experte und bestätigt damit Wolkows

Annahme. Die Russen werden Smirnow zufolge die Sanktionen spüren, wenn die Benzinpreise steigen, eine Flucht in den Dollar einsetzt oder es nicht mehr möglich ist, bestimmte Importwaren zu kaufen.

Schon bald werden die Russen die Situation anders wahrnehmen, bemerkt Sergei Markow, Direktor des Instituts für Politische Studien. „Der Effekt der letzten Sanktionen könnte schon im September spürbar sein, zum Start der Geschäftssaison", sagt Markow. Die Mehrzahl der Russen glaube nicht daran, dass die neuesten Sanktionen sie betreffen, weil sie von den früheren nichts bemerkt hätten. Während aber, so Markow, mit den Sanktionen der Stufen eins und zwei nur einzelne Personen belegt worden seien, zielten die neusten Strafmaßnahmen auf Schlüsselsektoren der russischen Wirtschaft.

Die Umfrage führte das Lewada-Zentrum vom 18. bis 21. Juli 2014 in 46 russischen Regionen unter 1 600 Befragten durch.

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