Fremdsprachen: Ein guter Lehrer ist Gold wert

Foto: Matthias Heyde / Humboldt-Universität zu Berlin

Foto: Matthias Heyde / Humboldt-Universität zu Berlin

Dr. Heike Wapenhans ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Slawistik der Humboldt-Universität zu Berlin und unterrichtet Russisch. Im Interview mit RBTH erzählt sie, dass sie die Liebe zur russischen Sprache ihrer ehemaligen Russischlehrerin verdankt und verrät, warum und wie heute in Deutschland Russisch gelernt wird.

RBTH: Frau Dr. Wapenhans, Sie stammen aus Ludwigsfelde, einer Stadt südlich von Berlin?

Dr. Wapenhans: Ja, in Ludwigsfelde wurde ich geboren. Meine Eltern lebten bis zu meinem fünften Geburtstag in einem kleinen Dorf in der Nähe. Dann sind wir nach Müncheberg umgezogen, das ist eine kleine Stadt in Brandenburg, im heutigen Landkreis Märkisch-Oderland. Zu DDR-Zeiten gehörte Müncheberg zum Kreis Strausberg im Bezirk Frankfurt-Oder.

Wo sind Sie zur Schule gegangen?

Ich bin von der ersten bis zur achten Klasse in Müncheberg zur Schule gegangen. Ab der fünften Klasse wurde Russisch unterrichtet, das war in der DDR so üblich. Ich hatte eine gute Russischlehrerin. Vielleicht bin ich deshalb selbst Russischlehrerin geworden.

War es in der DDR verpflichtend, in der Schule Russisch zu lernen?

Ja, Russisch war ein Pflichtfach. Ab der siebten Klasse gab es Englischunterricht als freiwilliges Angebot. Ich habe beides gelernt, Russisch und Englisch.

Haben Sie gerne Russisch gelernt? War es schwer für Sie?

Natürlich haben wir die russische Sprache gelernt, weil wir keine andere Wahl hatten. Aber ich habe es auch gerne gemacht, denn ich hatte eine sehr gute Lehrerin, Frau Bleil. Bei guten Lehrern lernt man jedes Fach gerne, egal, ob Russisch, Physik oder Chemie. Auf Russisch würde man

sagen: с учителями повезло, das heißt, ich hatte immer Glück mit meinen Lehrern. Zu Frau Bleil habe ich noch heute Kontakt. Sie arbeitet hier in Berlin und ist jetzt Leiterin der Lew-Tolstoi-Schule. Frau Bleil war damals noch ganz jung, ich war in ihrer ersten Russischklasse. Sie hat sich auch außerhalb des Unterrichts sehr engagiert und beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft „Für Freunde der russischen Sprache“ gegründet. In ihrem Haus hat sie uns Tee im Samowar zubereitet und es gab russische Süßigkeiten. Wir sind auch nach Berlin gefahren und sind ins Theater oder Kino gegangen. Wir haben zusammen die Zeichentrickserie „Ну, погоди!“ (zu Deutsch: „Na, warte!“) angeschaut. Das war toll. Wir haben eine Spracholympiade veranstaltet, die ich gewonnen habe. Frau Bleil hat mich in dem Wunsch, mich intensiv mit der russischen Sprache zu beschäftigen, stets bestärkt.

Ihre Ausbildung zur Russischlehrerin haben Sie in Russland absolviert?

Zunächst habe ich in Strausberg die erweiterte Oberschule besucht. Dort bekam ich das Angebot zu einem Auslandsstudium in der damaligen Sowjetunion. Die Anzahl der Plätze war begrenzt, nur die Besten durften in der Sowjetunion studieren. Das war eine Auszeichnung, über die ich mich sehr gefreut habe. In Halle haben wir dann ein Vorbereitungsjahr absolviert und genossen sehr intensiven Russischunterricht. Ich habe daher auch mein Abitur in Halle gemacht.

Das Studium führte Sie dann nach Kasan?

Ja. Ich hatte gehofft, in Woronesch studieren zu dürfen, wie meine Russischlehrerin Frau Bleil. Ich wollte ihr alles nachmachen und war daher zunächst ein wenig traurig, dass ich nach Kasan musste. Aber dort habe ich schließlich fünf Jahre verbracht und war am Ende sehr zufrieden.

Dr. Heike Wapenhaus. Foto aus dem

persönlichem Archiv. 

Welche Erinnerungen haben Sie an die Jahre Ihres Studiums?

Ich habe in Russland, also in der damaligen Sowjetunion, studiert, weil ich es selbst wollte. Ich denke heute noch gern an mein Studium zurück, ich würde das immer wieder machen und ich kann es auch allen empfehlen. Daher sage ich immer zu meinen Studenten: Wer Russisch lernen will, sollte nach Russland gehen. Wenigstens für ein Semester.

Wie lange unterrichten Sie nun schon Russisch in Deutschland?

Ich unterrichte seit 1996 Russisch an der Berliner Humboldt-Universität.

Wie unterscheiden sich die Bildungssysteme von Deutschland und Russland, vor allem im Hinblick auf die Vermittlung von Fremdsprachen?

Auch das hängt immer vom Lehrer ab. Oft ist es so, dass Lehrer die Sprache so vermitteln, wie sie es selbst einmal gelernt haben. In Russland wird viel Wert auf Grammatik gelegt und auf Übersetzungslehre. Die kommunikative Methode wird zwar auch angewandt, aber bei Weitem nicht so stark wie in Deutschland.

Wie unterrichten Sie? Haben Sie eine eigene Methode?

Zurzeit gebe ich gar keinen Sprachunterricht im klassischen Sinne. Ich bin jetzt mehr in der Fachdidaktik tätig.

Und früher, als Sie noch aktiv unterrichtet haben?

Ich hatte oft Studenten, die schon sehr gute Russischkenntnisse hatten. Mit diesen habe ich authentische Texte besprochen. Anhand von Texten aus dem Internet oder aus Zeitungen haben wir konkrete Fragestellungen diskutiert, etwa die Rolle der Frau in Russland oder das Schulwesen. Da ging es dann zum Beispiel um die Frage des Für und Wider von Schuluniformen. Das waren oft interessante Themen von persönlichem Interesse für die Studenten. Und um seine Meinung dazu äußern zu können, sind gute Sprachkenntnisse wichtig. Mein Unterricht war also sehr anwendungsorientiert.

Viele Ihrer Studenten haben also bereits sehr gute Russischkenntnisse. Sind diese Studenten Russen oder Deutsche?

Das ist eine schwierige Frage. Viele sprechen Russisch als Muttersprache oder wenigstens als Herkunftssprache. Die Muttersprachler sind in Russland zur Schule gegangen und haben dort teilweise schon ein Studium angefangen. Sie sind russisch sozialisiert. Sie haben die kulturellen Gegebenheiten in Russland vor Ort kennengelernt. Das ist ein

Vorteil gegenüber den Studenten, die Russisch als Fremdsprache gelernt haben, beziehungsweise auch den Studenten mit Russisch als Herkunftssprache. Das sind diejenigen, die in Deutschland geboren wurden und zu Hause noch Russisch sprechen, aber manchmal schon gar nicht mehr richtig schreiben können. Sie haben hier die deutsche Schule absolviert und daher Russisch als Fremdsprache gelernt. Sie haben dann natürlich ganz andere soziokulturelle Kenntnisse als die Studenten, die in Russland aufgewachsen sind. Mittlerweile studieren bei uns etwa 70 Prozent russische Muttersprachler und Studenten mit Russisch als Herkunftssprache.

Wie viele Studenten nutzen ihre Russischkenntnisse nach dem Hochschulabschluss beruflich?

Das ist auch schwierig zu beantworten. Viele unserer Absolventen möchten schon gern als Russischlehrer arbeiten, aber das Stellenangebot ist begrenzt. Wir haben Absolventen, die das Studium hier an der Universität mit „sehr gut“ abgeschlossen haben, auch das Referendariat, das ist die zweite Ausbildungsstufe. Sie werden im Schuldienst jedoch nur mit ihrem zweiten Fach, also zum Beispiel Englisch, eingesetzt. Entweder gibt es an der Schule gar keinen Russischunterricht mehr oder es gibt noch genug Russischlehrer, die das Fach unterrichten können.

Welche Perspektive hat die russische Sprache in Deutschland?

Ich hoffe, dass sich die derzeitigen politischen Verstimmungen nicht auf das Interesse an der russischen Sprache oder auf das Studium auswirken. Das, was wir jetzt erleben, ist eine Tragödie, die negative Folgen haben könnte. Insgesamt gehe ich aber davon aus, dass die Zahl derjenigen, die die russische Sprache erlernen wollen, stabil bleibt.

Hat die derzeitige Ukraine-Krise die Einstellung der Studenten zur russischen Sprache sehr beeinflusst?

Nein. Die Lage wird von allen mit großer Sorge beobachtet und man sieht es als Drama und Tragödie. Ich bekomme einerseits die Informationen von deutscher Seite, dann mache ich das russische Fernsehen an und sehe die dortigen Nachrichten. Und dann habe ich das Gefühl, dass weder die eine noch die andere Seite mich richtig beziehungsweise umfassend informiert. Und das ist ein Dilemma. Wir kennen doch die historischen Ursachen und wissen, dass man derartige Konflikte nicht so einseitig sehen darf. Dass die einfache Bevölkerung leiden muss, wird hier mit großem Mitgefühl wahrgenommen. Aber die Studenten sagen deshalb nicht: „Ich möchte nicht mehr Russisch lernen.“

 

Tatiana Firsowa ist Chefkorrespondentin von RIA Novosti in Berlin.

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