Quelle: Daria Andrejewa
Der 35-jährige Igor Zaprjagajlo aus Belgorod ist einer der Freiwilligen, die Hilfstransporte nach Donezk und Lugansk fahren. Er gibt zu, dass er Angst hat, doch er betrachte diese Aufgabe als seine Pflicht, sagt er. In Igors Familie hat Pflichterfüllung Tradition, er stammt aus einer Militärfamilie. Sein Vater Aleksandr leitet die Landsmannschaft in Charkow im Belgoroder Bezirk.
Die Strecke von Belgorod nach Donezk ist 750 bis 800 Kilometer lang, berichtet Igor. Fast zwei Tage dauert es, die umkämpfte Region zu erreichen. In Rostow am Don gibt es einen Umschlagplatz, dorthin werden alle gesammelten Güter gebracht, darunter auch Medikamente, die für die
Krankenhäuser von Donezk und Lugansk bestimmt sind. Igor ist hauptsächlich für den Medikamententransport verantwortlich: „Wir hatten erst kürzlich eine Lieferung für eine Verbrennungsstation einer Klinik in Donezk und für das Lugansker Bezirkskrankenhaus. Darunter waren zum Beispiel Präparate, die die Wundheilung unterstützen“, beschreibt Igor seine wichtige Aufgabe. Aber auch Lebensmittel hat er schon gefahren.
„An der Grenze empfangen freiwillige Koordinatoren aus den Volksrepubliken Donezk und Lugansk die Autos mit humanitärer Hilfe“, erzählt Igor. „Natürlich kommt es vor, dass man uns beschießt. Doch wir überwachen die humanitären Korridore ständig.“ An einigen Orten müsse man manchmal einen halben Tag oder sogar einen ganzen Tag lang warten, bis die Lage sich wieder beruhigt. „Manchmal lassen die ukrainischen Militärs – damit meine ich nicht die Nationalgardisten oder Ultranationalisten des Rechten Sektors – die Hilfstransporte passieren“, fügt Igor hinzu.
Igor leistet seinen Freiwilligendienst seit Mitte Juni. Die Belgoroder Landsmannschaft organisiert die Hilfslieferungen. Anfangs ging man davon aus, dass höchstens ein Transport pro Woche durchgeführt werden würde, doch es werden immer mehr. „Die Hilfsbereitschaft ist groß, immer mehr Leute wollen etwas spenden“, freut sich Igor. Im Durchschnitt sammeln sie zwei Tonnen Hilfsgüter.
Gefährliche Nächstenliebe
Anatolij Trojnow bietet seine freiwillige Hilfe schon seit dem 7. März an. Die ukrainischen Militärs setzen zeitweise sogar ein Kopfgeld auf ihn aus. Das konnte Anatolij nicht abschrecken. Der 30-Jährige ist im Donbass aufgewachsen und hat noch familiäre Bindungen dort. Anatolij würde aber ohnehin helfen, aus Überzeugung.
Vor dem Krieg besaß der junge Mann ein kleines Geschäft. Doch im Moment steht ihm der Sinn nicht nach Geschäfte machen. Anatolij ist im Donezk aufgewachsen. 17 Jahre lang lebte er in Listwjanka, so wie sein Onkel, sein Patenonkel und zwei seiner Neffen. „Meine Mutter lebt auch hier in Donezk und sie will bleiben“, erzählt er und fügt hinzu: „Die Menschen dort sind für mich wie Brüder. Wenn ich die Bilder im Fernsehen sehe, kann ich nicht gleichgültig bleiben.“
Anatolij hat erleben müssen, wie freiwillige Helfer bei der Durchführung eines Hilfstransportes starben. Dennoch verzichten Anatolij und die anderen auf schwere gepanzerte Fahrzeuge, denn mit diesen kann man nicht so schnell fahren und auch nicht so große Mengen transportieren. Anatolij würde gerne noch viel mehr Fahrten mit viel mehr Hilfsgütern machen: „Ich würde gerne 15 Tonnen auf einmal bringen“, sagt er, doch es gebe nicht genügend Fahrzeuge. Anatolij träumt von einem Kamaz, einem russischen LKW. Aber da gibt es noch ein Problem: Treibstoff ist knapp.
Anatolijs Arbeit ist gefährlich. Anfangs markierten sie die Hilfstransporter, in der Hoffnung, dann nicht angegriffen zu werden. „Allerdings wurden markierte Fahrzeuge bevorzugt angegriffen. Die ukrainischen Militärs machten geradezu Jagd auf die humanitären Güter“, berichtet er. Anatolij glaubt, den Grund zu kennen: „Sie haben selbst Hunger.“ Trotz der Gefahren will Anatolij weitermachen, bis zum Ende der Gefechte: „Ich fahre, solange es eine Straße zwischen Russland und dem Donbass gibt“, stellt er klar, denn zurzeit kommt humanitäre Hilfe für Donezk nur aus Russland.
Anfangs herrschte Misstrauen gegenüber den freiwilligen Helfern. „Unsere Partner, die uns unterstützen, baten anfangs um Videoberichte, denn offenbar gibt es sogar bei humanitären Hilfeleistungen unehrliche
Menschen“, erzählt Anatolij und verweist auf ein Sprichwort: „Für den einen ist Krieg ein Krieg, für den anderen die eigene Mutter.“ Auch die russisch-orthodoxe Kirche bat früher um Berichte, inzwischen vertraut sie den Helfern rund um Anatolij: „Wir laden die Hilfsgüter einfach ein, bekreuzigen uns und machen uns mit Gott auf den Weg.“ Wenn sie ihr Ziel erreicht haben, melden sich die Helfer telefonisch.
Anatolij kann viele Geschichten erzählen, vor allem vom Schrecken des Krieges. Am meisten beeindruckt hat ihn aber ein kleines Mädchen. „Eines Tages, als wir an einer Sammelstelle für Hilfsgüter warteten, kam das Mädchen zu mir, es war vielleicht gerade einmal vier Jahre alt“, erinnert er sich. „Es reichte mir ihre Puppe und bat mich, sie den Kindern in Slawjansk zu geben.“ Anatolij hat dem Mädchen diesen Wunsch erfüllt.
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