Russische Behörden fordern neue Gesetze zur Drogenbekämpfung. Foto: ITAR-TASS
„Rauchmischung", „Badesalz", „Mix" – unter diesen Bezeichnungen wird eine Gruppe narkotischer Substanzen gehandelt, die man in Russland als „Spice" kennt. Ihre Wirkung ähnelt der von Cannabis, es handelt sich jedoch um rein chemische Substanzen. Die Droge kam Ende der 2000er-Jahre als legaler Stoff nach Russland. Mittlerweile ist Spice unter Jugendlichen die beliebteste Droge und für die russischen Justizbehörden ein ernsthaftes Problem.
Am Montag fand in Moskau eine Sitzung des Staatlichen Anti-Drogen-Komitees statt. Wichtigster Punkt auf der Tagesordnung waren die Ende September, Anfang Oktober in Russland bekannt gewordenen Todesfälle und Vergiftungen nach dem Konsum von Spice. Über 700 Personen haben schwerwiegende Vergiftungen erlitten, 25 Konsumenten starben. Nach Aussage von Viktor Iwanow, Direktor des Föderalen Dienstes zur Kontrolle des Drogenhandels, sei die Lage inzwischen unter Kontrolle, doch insgesamt zeigte er sich pessimistisch, was den Kampf gegen Drogen betraf. Iwanow forderte neue Gesetze.
Die Drogenhändler hängen die Behörden ab
Spice ist keine fest definiert Art von Droge, sondern ein Sammelbegriff für eine ganze Familie narkotischer Stoffe, deren Zusammensetzung sich ständig ändert. Vertreter des Föderalen Dienstes zur Kontrolle des Drogenhandels erklärten, dass es unzählige Arten von Spice gibt. Das mache es so schwierig, die Droge zu verbieten. Hersteller der Droge könnten die chemische Formel einer in Russland bereits verbotenen Mischung geringfügig verändern und schon sei die neue Substanz wieder legal. Auch die Variante MDMB, die im Verdacht steht, die Vergiftungen und Todesfälle ausgelöst zu haben, ist noch immer nicht verboten. Grund dafür ist vor allem, dass ein Verbot ein komplizierter bürokratischer Vorgang ist, der Monate dauern kann. In dieser Zeit haben die Drogendesigner längst neue Formeln entwickelt. „Sie sind dreihundert Mal so schnell wie der Staat", zog Iwanow eine bittere Bilanz.
Iwanow forderte daher vereinfachte Verbotsverfahren. Er verwies auf die Praxis im Ausland: In vielen Staaten hätten die zuständigen Behörden das Recht, innerhalb kürzester Zeit, etwa binnen einer Woche, den Handel mit Substanzen, die als Gefahr für die Bevölkerung gewertet werden, für eine Dauer von drei Jahren zu verbieten. Das ermöglicht die unverzügliche Strafverfolgung von Drogenhändlern. Das Staatliche Anti-Drogen-Komitee unterstützte Iwanows Forderung, den Russischen Dienst zur Kontrolle des Drogenhandels mit vergleichbaren Vollmachten auszustatten.
Der im vergangenen Jahr gegründete Nationale Anti-Drogen-Verband will die zersplitterten gesellschaftlichen Organisationen, die sich dem Kampf gegen den Drogenhandel verschrieben haben, zusammenschließen. Wie der Vorstandsvorsitzende Nikita Luschnikow in einem Gespräch mit RBTH bestätigt, ist Spice heute eine der gefährlichsten Drogen in Russland. „Hatte Spice früher ausschließlich eine psychoaktive Wirkung, so wirkt die Droge
heute zusätzlich auf die Atmung, das Herz-Kreislauf-System und die Koordinierung der Bewegungen. Die Zusammensetzung dieser Mischungen ist so beschaffen, dass sie nach nur einmaligem Konsum abhängig machen kann. Früher waren Todesfälle infolge eines Konsums von Spice sehr selten, aber das hat sich geändert, wie die jüngsten Ereignisse zeigen", sagt er.
Der Kampf gegen den Handel mit Spice ist nicht einfach. Der Verkäufer kommt mit dem Käufer meist überhaupt nicht in Kontakt. Die Käufer überweisen lediglich eine bestimmte Summe auf ein Konto und erhalten danach eine Mitteilung über den Ort, an dem der Stoff versteckt ist. Das kann ein Blumenbeet oder eine Bushaltestelle sein, jeder beliebige Ort. Die Droge wird von Kurieren an den vereinbarten Ort gebracht. Der Kurier verdient etwa 150 Rubel (etwa drei Euro). „Das ist nicht viel, aber es ist leicht verdientes Geld. Es finden sich immer Leute, die an diesem Job interessiert sind", erklärt Luschnikow.
Langzeitschäden drohen
Welche Folgen der Drogenkonsum haben kann, erzählt uns Konstantin. Wir treffen ihn in einem Aufnahmestudio, wo er als technischer Direktor arbeitet. Konstantin wurde in Sotschi geboren und ist ein hagerer Mann um die Dreißig. Drogen konsumierte er seit seinem neunzehnten Lebensjahr, seit drei Jahren ist er clean. Konstantin hat auch regelmäßig Spice konsumiert.
„Rauchmischungen, Salze, Spice – diese ganzen Stoffe kamen als legale Produkte Ende 2000 nach Sotschi", erzählt Konstantin. „Man konnte sie einfach in Geschäften kaufen. Also dachte man, wenn der Verkauf erlaubt ist, wird es schon nicht schädlich sein." Die Wirkung von Spice, so erinnert sich Konstantin, ließ sich nie vorhersagen. „Manchmal wurde mir einfach schlecht, manchmal schwebte ich vor Glück", beschreibt er. „Wenn die Wirkung vorüber war, wurde man apathisch, fühlte sich niedergeschlagen. Die Droge war beliebt, weil man sie leicht beschaffen konnte, und sie war
legal. Heute wird Spice sogar auf Schulhöfen geraucht. Bis heute gilt diese Droge als harmlos und überhaupt nicht vergleichbar mit Heroin", sagt der junge Mann.
Synthetische Drogen wie Spice zerstören das Nervensystem wesentlich schneller als jede andere Droge, glaubt Konstantin. „Ich spüre die Folgen heute noch, manchmal habe ich aus heiterem Himmel irgendwelche Zuckungen. Die neuronalen Verbindungen haben sehr gelitten. Im Rehazentrum habe ich Leute gesehen, die jahrelang Heroin gespritzt haben. Nach drei bis vier Monaten Abstinenz waren ihre Hirnleistungen praktisch komplett wieder hergestellt", erzählt er. Die Langzeitwirkung von Spice dagegen scheint alarmierend: „Wer zwei oder drei Jahre lang Spice konsumiert hat, wird sehr lange mit Nervenschäden zu kämpfen haben. Körperlich ist er vielleicht gesünder als der Heroin-Junkie, aber im Kopf bleiben die Folgen lange spürbar. Spice-Konsumenten haben es sehr schwer, wieder in die Realität zurückzufinden", sagt Konstantin, der es wissen muss.
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