Kommunalka: Wohnen ohne Klassenschranken

In den Kommunalkas wurden sowjetische Ideale gelebt. Foto: TASS

In den Kommunalkas wurden sowjetische Ideale gelebt. Foto: TASS

Gemeinschaftswohnungen entsprechen etwa der deutschen Wohngemeinschaft. Zu Sowjetzeiten waren sie eine weit verbreitete Wohnform. Doch wer heute in eine Kommunalka zieht, ist meist weniger auf der Suche nach kommunistischen Idealen als vielmehr nach günstigem Wohnraum.

Die Kommunalka ist eine Wohnform, bei der sich mehrere Parteien eine Gemeinschaftswohnung teilen. Besonders typisch waren Kommunalkas für die Sowjetunion. Nach der Oktoberrevolution 1917 wurde der Wohnraum verstaatlicht und in diesem Zusammenhang die großzügigen Wohnungen ehemals wohlhabender Bürger in Gemeinschaftswohnungen umgewandelt. Wohnraum war knapp, insbesondere, da in den wirtschaftlich schwierigen 1920er-Jahren viele Menschen vom Land in die Großstädte zogen, um dort zu arbeiten. Diese Menschen bekamen häufig ein Zimmer in einer Kommunalka. Zehn Quadratmeter Wohnraum standen damals einem erwachsenen Arbeiter zu, Kindern die Hälfte. Von einem Tag auf den anderen wurden nun aus ehemaligen Bauern und Bildungsbürgern Nachbarn, die sich ein Badezimmer teilen mussten. Ein Ansatz, der zur sowjetischen Ideologie passte: Alle waren gleich, es gab keine Klassenunterschiede.

Jeder Bewohner einer Kommunalka hatte eine eigene Klingel und einen eigenen Stromzähler. Vom Flur aus konnten die einzelnen Zimmer betreten werden, vor jeder Tür lag eine Fußmatte. Persönliche Gegenstände und Kleidung wurden im eigenen Zimmer aufbewahrt. Im Flur lagerten Fahrräder oder Skier. Dort befand sich auch das Gemeinschaftstelefon, selten gab es noch einmal einen eigenen Anschluss auf den Zimmern.

Das Badezimmer wurde ebenfalls gemeinschaftlich genutzt, jedoch hatte jeder Bewohner ein eigenes Waschbecken und seine eigene Klobrille. Es war ein Tabu, die Toilettengegenstände des Nachbarn zu benutzen. So konnte denn auch der Nachbar die schöne Nachbarin bei der Körperpflege beobachten, unter dem Vorwand, er wolle nur darauf achten, dass sie nicht seine Seife benutzt, erzählt man sich aus dem Alltag der Kommunalka. Im Gegensatz zu Privatwohnungen war es durchaus üblich, im Badezimmer der Kommunalka Hinweisschilder wie „Bitte das Klo wieder sauber verlassen!", „Bitte kein Toilettenpapier in die Kloschüssel werfen!" oder einfach „Nimm nichts, was dir nicht gehört!" anzubringen, wie der Kulturwissenschaftler Ilja Utechin in seiner Arbeit („Otscherki kommunalnowo byta"/ zu Deutsch: „Der Alltag in der Kommunalka") erzählt. Die Kommunalka galt als öffentlicher Ort.

Die Hausarbeit wurde durch einen Putzplan geregelt, der für jeden Bewohner gut sichtbar im Hausflur hing. Jeder kam einmal an die Reihe. Alle Bewohner kamen gemeinsam auch für etwaige Instandhaltungsarbeiten, für den Erhalt der Sanitäranlagen und andere Renovierungen auf. Zog man nicht mit den anderen an einem Strang, so bedeutete dies, Widerstand gegen die restlichen Bewohner zu leisten, was das Leben in der Wohngemeinschaft zu einem wahren Alptraum machen konnte.

 

Wachsame Nachbarn

In der Kommunalka trafen sich die Bewohner am häufigsten in der gemeinsamen Küche, zum Kochen oder Abwaschen. Hier versammelte man sich auch, um Probleme zu diskutieren, wie etwa den Umgang mit störenden Mitbewohnern. Dabei war man nicht immer zimperlich.

Zudem war Privatsphäre oft Fehlanzeige. „Meine Nachbarn wissen, wer gestern bei mir zu Besuch war. Und sie interessieren sich dafür, wer mich vorgestern besucht hat", heißt es im Lied „Kommunalnye kwartiry" (zu Deutsch: „Gemeinschaftswohnungen") von Fjodor Tschistjakow. Bespitzelungen, üble Nachrede und Neid waren die Schattenseiten des Lebens in den Gemeinschaftswohnungen. Jahrelang währende Nachbarschaftsstreitigkeiten waren die Folge. Um den Nachbarn zu ärgern, wurde dann auch schon einmal Draht in die Seife des anderen getan oder Waschpulver in die Suppe gekippt.

Grundsätzlich fanden die meisten Bewohner aber eine gemeinsame Sprache und halfen einander. Häufig entstanden so auch enge, durch Nächstenliebe geprägte Beziehungen. Dann kümmerte man sich gegenseitig um die Kinder oder pflegte die Großeltern der Nachbarn. Man half sich bei der Arbeitssuche oder lieh einander Geld. Das Leben in der Kommunalka stärkte die soziale Verantwortung und das Miteinander.

Vertreter älterer Generationen traten oft als Lehrer in den Gemeinschaftswohnungen auf. Irina Kagner, die in einer Kommunalka gelebt hat, erinnert sich: „In der Kommunalka lebten auch Menschen, die vorher aufgrund ihrer beruflichen Position eine eigene Wohnung hatten. Nun mussten aber alle enger zusammenrücken." So lebten Vertreter der Intelligenzija und Arbeiter Seite an Seite und die einst Bessergestellten wurden zu Vorbildern. „Man schaute sich vieles von ihnen ab, man hörte auf sie. Sie brachten einem Geschmack bei und lehrten einem das Leben. So wurden aus den Arbeiterkindern, die in der Kommunalka aufwuchsen, kultivierte Erwachsene", erzählt Kagner.

 

Sehnsucht nach Privatsphäre

Der Niedergang der Kommunalka begann Mitte der 1950er-Jahre, als in der UdSSR massenhaft neuer Wohnraum geschaffen wurde. Eine eigene Wohnung galt nun wieder als etwas Erstrebenswertes. „Meine Großeltern lebten lange Zeit in einer Kommunalka in der uliza Sretenka, wo außer ihnen noch etwa 40 weitere Personen wohnten. Als sie endlich ihre eigene Wohnung bekamen, saß mein Großvater einfach mit dem Rücken zur Wand auf dem Boden in der Küche und genoss die Ruhe", erinnert sich die Moskauerin Marina.

Der Trend, aus den Gemeinschaftswohnungen auszuziehen, erreichte in den 1990er-Jahren seinen Höhepunkt, als Kaufleute im Gegenzug für Zimmer im Zentrum Moskaus den ehemaligen Bewohnern der Gemeinschaftswohnungen eine ganze Wohnung pro Person anboten. Allerdings wurden nicht alle Kommunalkas aufgelöst. Heute schätzt man, dass Gemeinschaftswohnungen in Moskau etwa zwei Prozent des gesamten städtischen Wohnraums ausmachen. Laut dem Moskauer Amt für Wohnraumpolitik soll es 2011 rund 91 000 Gemeinschaftswohnungen gegeben haben, genaue Zahlen gibt es nicht. Die Nachfrage nach den Kommunalkas in Moskau ist konstant, sie überzeugen durch die günstige Miete. Andere Wohnungen kosten oft ab 600 Euro aufwärts pro Monat. Ein Zimmer in einer Kommunalka ist schon ab  250 Euro zu haben. Das ist vor allem für junge Leute attraktiv.

Das Angebot an Gemeinschaftswohnungen wächst wieder, seit es in Russlands Städten mehr und mehr Scheidungen gibt. So vermieten in Sankt Petersburg und Moskau viele Geschiedene Zimmer in ihren Wohnungen, um durch die Miete etwas dazuzuverdienen, was wiederum eine neue Generation an Gemeinschaftswohnungen in Russland schafft. Gleichzeitig steigt auch die Nachfrage nach Kommunalkas wieder. Eine vierköpfige Familie, die in einer Kommunalka wohnt, hätte zum Beispiel laut russischem Recht Anspruch auf eine Zweizimmerwohnung. Tatsächlich bevorzugen solche Familien aber Einzimmerwohnungen, wenn diese günstiger gelegen sind, etwa in Stadtnähe. Kommunalkas wird es also in Russland sicherlich noch lange geben.

Alle Rechte vorbehalten. Rossijskaja Gaseta, Moskau, Russland

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